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Gewerbliche Erzählungen.
stürmenden Russen und stimmten hier ein furchtbares Siegesge-
schrei an, welches Keinen mehr ärgerte, als unfern Leberecht Würzig.
„I so soll Euch doch gleich Der und Jener," schrie er,
„aber wartet nur, ich will Euch schon noch ein Paar Denk-
zettel geben!"
Dabei riß er seine Flinte vom Rücken und wollte dieselbe
frisch laden, allein er hatte keine Munition mehr; Pulver und
Kugeln waren zu Ende gegangen!
„Wer hat noch Munition, Kameraden?" schrie er mit
seiner Löwenstimme.
Allein da gab es bei dem ganzen Regiment auch nicht
eine einzige Kugel mehr, so tapfer hatten die türkischen Jungen
gefeuert. Würzig schlug sich verzweifelnd vor die Stirn.
„Seht Ihr nicht," schrie er, „wie die russischen Kujone
unsere Verlegenheit merken? Da reiten auf kaum halber Schuß-
weite einige Dutzend Stabsoffiziere und schneiden Grimassen zu
uns herüber! Ei, könnte Euch nur gleich Der und Jener—"
Würzig weinte vor Wuth wie ein Kind. Und mit den
Zähnen schlug er aufeinander, daß förmlich die Funken herum-
sprangen. Plötzlich schien ihm ein neuer Gedanke beizukommen.
„Hat denn nicht wenigstens Keiner kein Pulver nicht
mehr?" schrie er in den bewaffneten Haufen hinein.
Da sprang ein kleiner türkischer Füsilier vor, dem die
Ruffen die Patrontasche mit einem Hiebe so gespalten hatten,
daß sämmtliche Kugeln aus derselben gefallen und nur das
Pulver zurückgeblieben war. Diesen Vorrath des Zufalls bot
der kleine Türke seinem großen deutschen Kameraden und dieser
hätte vor Freude den Muselmann gleich umarmen mögen, wenn
er nur Zeit gehabt hätte. So aber griff Würzig nach seiner
Flinte, schüttete eine Ladung Pulver hinein, griff dann in seinen
Mund und — brach mit kräftigem Rucke sich einen Zahn aus,
den er in die Flinte lud. Dann legte er rasch an, zielte und
— pautz! stürzte ein russischer General vom Pferde herab auf
den Sand ohne noch ein Glied zu rühren.
Mit Blitzesschnelle lud Würzig wieder, brach einen zweiten
Zahn aus und schoß mit demselben Erfolg einen zweiten Stabs-
offizier vom Pferde.
Die Türken, welche das mit ansahen, trauten ihren Augen
kaum und glaubten nichts anderes, als daß der Corpora! Würzig
nur ein Vetter des Teufels sein könne, denn in Zeit von vier
Minuten hat er seine sämmtlichen zwciunddreißig Zähne ver-
schaffen und damit eben so viele Stabsoffiziere des russischen
Heeres getödtet. Zuletzt nahm er noch ein goldenes Draht-
gestelle aus dem Munde, drehte dies in der Hand zu einer
Kugel zusammen und schoß damit noch den drciunddreißigsten
Stabsoffizier innerhalb vier Minuten sieben und einer halben
Sekunde!!! Das letzte Opfer war der bekannte russische Ge-
neral Schilder; unter den übrigen von Würzig Getödtetcn befan-
den sichGeneralmajor Putschikoff, GenerallieutenantSchmarskosi,
Oberst Gartschnikoff und viele andere gleich hoch gestellte Offiziere.
Welches Erstaunen erregte cs aber im russischen Lager,
als man bei der Section der gefallenen Offiziere in den fabel-
haft kleinen Schußwunden nichts weiter als — Zähne fand,
welche den Stempel trugen
F. Lohmer, Zahnarzt in Augsburg.
(vide Münchener Industrie-Ausstellung Catalog-Nr. 2385).
Also waren Würzig's schöne Zähne dennoch
nur falsche gewesen, die er sich nach jener Schlägerei hatte
in Augsburg einsetzen lassen und die jetzt ein ganzes Land
in Schrecken gejagt hatten. Denn einige Tage darauf wurden
auf Vorstellung des Generalissimus an den Kaiser die Vorbe-
reitungen zur Aufgabe Silistrias getroffen.
„Man wollte (so hieß es in der Rückantwort des
„Kaisers) nichts mit solchen verdammten Kerlen zu thun
„haben, die mit Augsburger Zähnen statt mit Kugeln
„schössen, da man überhaupt hierin nur die strategische
„Mitwirkung des ff Teufels ff erkennen müßte."
Die zweiunddreißig aus den Wunden geschnittenen Zähne
hat man übrigens nach Petersburg gebracht und in sonst
wohlunterrichteten Kreisen vermuthet man, daß sie
leicht in spätern Zeiten Bayern als ein easus belli entgegen-
gehalten werden sollen.
Silistria aber ward bald darauf aufgcgeben.
Am Tage nach jener Asiaire schrieb Würzig folgenden Brief:
Herrn Zahnkünstler F. Lohmer in Augsburg.
Ew. Wohlgeborcn ersuche ich um ein neues vollstän-
diges Gebiß Nr. 5, wie ich solches vor drei Jahren selbst
bei Ihnen kaufte. Zugleich bitte ich Sie, vorstehende
wörtlich wahre Erzählung an die Redaktion der flie-
genden Blätter in München zu senden, welche durch den j
Abdruck derselben Ihnen und Ihren vortrefflichen Fabri- I
taten die Verbreitung und den Ruhm verschaffen möge,
den Sie mit Recht verdienen.
Den Betrag wollen Sie gefälligst einstweilen anschreiben.
Ihr ergebenster
Silistria den 15. Juni 1854. Lebcreckst Würzig,
Corpora! im 3. leichten türkischen Linieninfanterie-Reg.
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Gewerbliche Erzählungen.
stürmenden Russen und stimmten hier ein furchtbares Siegesge-
schrei an, welches Keinen mehr ärgerte, als unfern Leberecht Würzig.
„I so soll Euch doch gleich Der und Jener," schrie er,
„aber wartet nur, ich will Euch schon noch ein Paar Denk-
zettel geben!"
Dabei riß er seine Flinte vom Rücken und wollte dieselbe
frisch laden, allein er hatte keine Munition mehr; Pulver und
Kugeln waren zu Ende gegangen!
„Wer hat noch Munition, Kameraden?" schrie er mit
seiner Löwenstimme.
Allein da gab es bei dem ganzen Regiment auch nicht
eine einzige Kugel mehr, so tapfer hatten die türkischen Jungen
gefeuert. Würzig schlug sich verzweifelnd vor die Stirn.
„Seht Ihr nicht," schrie er, „wie die russischen Kujone
unsere Verlegenheit merken? Da reiten auf kaum halber Schuß-
weite einige Dutzend Stabsoffiziere und schneiden Grimassen zu
uns herüber! Ei, könnte Euch nur gleich Der und Jener—"
Würzig weinte vor Wuth wie ein Kind. Und mit den
Zähnen schlug er aufeinander, daß förmlich die Funken herum-
sprangen. Plötzlich schien ihm ein neuer Gedanke beizukommen.
„Hat denn nicht wenigstens Keiner kein Pulver nicht
mehr?" schrie er in den bewaffneten Haufen hinein.
Da sprang ein kleiner türkischer Füsilier vor, dem die
Ruffen die Patrontasche mit einem Hiebe so gespalten hatten,
daß sämmtliche Kugeln aus derselben gefallen und nur das
Pulver zurückgeblieben war. Diesen Vorrath des Zufalls bot
der kleine Türke seinem großen deutschen Kameraden und dieser
hätte vor Freude den Muselmann gleich umarmen mögen, wenn
er nur Zeit gehabt hätte. So aber griff Würzig nach seiner
Flinte, schüttete eine Ladung Pulver hinein, griff dann in seinen
Mund und — brach mit kräftigem Rucke sich einen Zahn aus,
den er in die Flinte lud. Dann legte er rasch an, zielte und
— pautz! stürzte ein russischer General vom Pferde herab auf
den Sand ohne noch ein Glied zu rühren.
Mit Blitzesschnelle lud Würzig wieder, brach einen zweiten
Zahn aus und schoß mit demselben Erfolg einen zweiten Stabs-
offizier vom Pferde.
Die Türken, welche das mit ansahen, trauten ihren Augen
kaum und glaubten nichts anderes, als daß der Corpora! Würzig
nur ein Vetter des Teufels sein könne, denn in Zeit von vier
Minuten hat er seine sämmtlichen zwciunddreißig Zähne ver-
schaffen und damit eben so viele Stabsoffiziere des russischen
Heeres getödtet. Zuletzt nahm er noch ein goldenes Draht-
gestelle aus dem Munde, drehte dies in der Hand zu einer
Kugel zusammen und schoß damit noch den drciunddreißigsten
Stabsoffizier innerhalb vier Minuten sieben und einer halben
Sekunde!!! Das letzte Opfer war der bekannte russische Ge-
neral Schilder; unter den übrigen von Würzig Getödtetcn befan-
den sichGeneralmajor Putschikoff, GenerallieutenantSchmarskosi,
Oberst Gartschnikoff und viele andere gleich hoch gestellte Offiziere.
Welches Erstaunen erregte cs aber im russischen Lager,
als man bei der Section der gefallenen Offiziere in den fabel-
haft kleinen Schußwunden nichts weiter als — Zähne fand,
welche den Stempel trugen
F. Lohmer, Zahnarzt in Augsburg.
(vide Münchener Industrie-Ausstellung Catalog-Nr. 2385).
Also waren Würzig's schöne Zähne dennoch
nur falsche gewesen, die er sich nach jener Schlägerei hatte
in Augsburg einsetzen lassen und die jetzt ein ganzes Land
in Schrecken gejagt hatten. Denn einige Tage darauf wurden
auf Vorstellung des Generalissimus an den Kaiser die Vorbe-
reitungen zur Aufgabe Silistrias getroffen.
„Man wollte (so hieß es in der Rückantwort des
„Kaisers) nichts mit solchen verdammten Kerlen zu thun
„haben, die mit Augsburger Zähnen statt mit Kugeln
„schössen, da man überhaupt hierin nur die strategische
„Mitwirkung des ff Teufels ff erkennen müßte."
Die zweiunddreißig aus den Wunden geschnittenen Zähne
hat man übrigens nach Petersburg gebracht und in sonst
wohlunterrichteten Kreisen vermuthet man, daß sie
leicht in spätern Zeiten Bayern als ein easus belli entgegen-
gehalten werden sollen.
Silistria aber ward bald darauf aufgcgeben.
Am Tage nach jener Asiaire schrieb Würzig folgenden Brief:
Herrn Zahnkünstler F. Lohmer in Augsburg.
Ew. Wohlgeborcn ersuche ich um ein neues vollstän-
diges Gebiß Nr. 5, wie ich solches vor drei Jahren selbst
bei Ihnen kaufte. Zugleich bitte ich Sie, vorstehende
wörtlich wahre Erzählung an die Redaktion der flie-
genden Blätter in München zu senden, welche durch den j
Abdruck derselben Ihnen und Ihren vortrefflichen Fabri- I
taten die Verbreitung und den Ruhm verschaffen möge,
den Sie mit Recht verdienen.
Den Betrag wollen Sie gefälligst einstweilen anschreiben.
Ihr ergebenster
Silistria den 15. Juni 1854. Lebcreckst Würzig,
Corpora! im 3. leichten türkischen Linieninfanterie-Reg.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gewerbliche Erzählungen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 21.1855, Nr. 484, S. 27
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg