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Fliegende Blätter — 26.1857 (Nr. 601-626)

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Nr. 623
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https://doi.org/10.11588/diglit.3162#0186
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183

Die Macht der Gewohnheit.

Eine moralische Erzählung.

Jürgen hatte in seinem Leben nichts weiter gethan, als
jeden Tag mit einem Tragkorbe aus dem Rücken, den man in
seiner Heimath Kiepe nannte, den Vorrath an Nothdursts- und
Lurus-Gegcnständc», dessen der Flecken Wallhausen benöthigt
war, aus dem etwa zwei Stunden davon entfernt gelegenen Städte
chen Hornhausen herüber zu holen. Dieses Geschäft hatte ihm
seinen Lebensunterhalt gewährt und so wenig er sich der Zeit
erinnerte, wo er diesen Dienst nicht besorgt hatte, so gering
war seine Hoffnung, einen Tag zu erleben, wo er die unver-
meidliche Kiepe vom Rücken bekomme» würde. Er war so sehr
an das Trage» derselbe» gewöhnt, daß er sie weder während
des Einlaufens noch bei seinen Mahlzeiten vom Rücken nahm,
und die Localspötter von Wallhausen meinten, er schlafe mit der
Kiepe auf dem Rücken, damit er sie Morgens nicht umzuhängen
brauche. So viel stand fest, weder ein Kind, noch ein Erwachsener
in Wall- und Hornhausen hatte den Jürgen je ohne seine Kiepe
geschaut und cs würde einer Horn- und Wallhäusencr Phantasie
überhaupt schwer geworden sein, sich ihn ohne dieselbe vorzustcllcn.
Aber das Schicksal spielt oft sonderbar mit dem Menschen. Jürgen
durfte sich eines Morgens sagen: Du brauchst von nun an nicht
mehr den Wallhausencrn als Bote zu dienen, dieweil dir der
Collectcur so eben mitthcilt, daß deine seit 30 Jahren gespielte
Nummer endlich 10,000 Thalcr gewonnen hat. Das sagte

er sich in der That und sämmtlichen Wallhäusenern mangelte
an selbigem Tage sowohl das Nöthige als Ueberflüssige, weil
Jürgen vor Freude im Bette liegen geblieben war. Als man
des Jürgen Glück erfuhr, wurde zwar sofort ein Remplaeant
für denselben beschafft, ganz Wallhausen blieb aber doch darauf
gespannt, den Jürgen einmal ohne Kiepe auf dem Rücke» zu
sehen. DaS geschah aber nicht so bald, weil Jürgen eine ganze
Woche lang im Bette liegen blieb, angeblich, um sich von seinem
LOjährigem Botcnlausen einmal auszuruhen, thatsächlich jedoch,
um die beim Schneider bestellten neuen Kleider abzuwarten, in
denen er sein Leben als Partikulier beginnen wollte. Als sic
ankamen, zog er sich sorgfältig an und wagte sich dreist aus die
Straße. Jetzt aber zeigte sich die Macht der Gewohnheit an
Jürgen. Er konnte nicht zehn Schritte weit gehen, ohne auf
die Nase zu fallen, weil er das Gegengewicht der Kiepe aus seinem
Rücken vermißte nnd sich durch das stete Tragen derselben einen
Gang angewöhnt hatte, welcher — ohne diese Last, die das
Gleichgewicht erhielt, — mit Naturnothwendigkeit zum Falle führen
mußte. Nach mehreren fruchtlosen, vom Gelächter der Wall-
häusener begleiteten Anstrengungen zur Andcrsgewöhnung des
Körpers, zog sich Jürgen beinah auf allen Vieren in seine Stube
zurück. Was war zu thun? Die Botengänge wollte er um
so weniger wieder übernehmen, als ihn die rohe Schadenfreude
seiner Mitbürger über seine doch natürliche Nnbeholfenheit empört
hatte. Sinnend saß Jürgen in seiner Kammer, den Kopf in
die Hände gestützt. Plötzlich fuhr ihm ein leuchtender Gedanke
durch das Hirn. „Geht's nicht ohne, so geht's doch mit der
Kiepe, ich brauche deßhalb doch nicht mehr den gehorsamen Diener
der Wallhäusencr Bauern zu spielen," sprach Jürgen mit der
Miene eines Mannes, der eine wichtige Entdeckung gemacht hat.
Gesagt, gethan. Er bestellte sich eine neue, zierlich angestrichene
Kiepe, schnalltc dieselbe über den neuen, feinen Tuchrock und
trat in dieser Rüstung flink wie ein 18jähriger Bursche seine
Wanderungen an. Allerdings lachten die Wallhäusencr über
den sonderbaren Spaziergänger, aber »ach nnd nach gewöhnte
man sich daran und Jürgen kann jetzt seine täglichen Promenaden,
die ihm zur Gesundheit dienen, ohne Anfechtung zu erleiden,
abmachen.

Da es aber für die Fremden, welche Wallhauscn be-
suchen, eine unbegreifliche Erscheinung sein wird, einen ältlichen
seingekleideten Herrn, welcher ganz das Aussehen eines behä-
bigen Rentiers hat, mit einem Tragkorbe auf dem Rücken
durch die Straßen und Alleen promeniren zu sehen, habe ich
als Wallhäusencr diese einfache Erzählung niederschreiben zu
müssen geglaubt, damit den zwar pikanten, aber äußerst ge-
wagten Hypothesen oberflächlicher Touristen in dieser Sache ein
Riegel vorgeschoben würde.

Joseph Wester.

Der große Bür.

Professor der Astronomie: „Meine Herren, wenn

See den großen Bären genau betrachten wollen, so kommen
Sic heute auf mein Cabinet zu mir."
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"Die Macht der Gewohnheit"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

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Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Flasche
Tragen
Lebensmittel <Motiv>
Stock <Motiv>
Hut <Motiv>
Gemüse <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Kiepe <Motiv>

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Fliegende Blätter, 26.1857, Nr. 623, S. 183

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