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Vetter Andres.

^ 138

! ließ Vetter Andres nach einer wohlmeinenden Verwarnung vor
i ähnlichen Mißverständnissen frei, und die Frau Muhme fuhr
j bald darauf seelcnvcrgnügt mit Vetter Andres nach Schönstedt
^ zurück. Unterwegs drückte er ihr die Hand und sagte: „Weiß
1 die Frau Muhme, dicß soll mit der Gottes Hülfe meine letzte
Reise gewesen sein; ich mache mir keine kleine Veränderung wieder."

Er hielt Wort; cs war, gelegentliche Ausflüge nach dem
nächsten Städtchen ausgenommen, seine letzte größere Reise. Er
blieb fortan still im Hause und wirthschaftetc und handthicrte
! darin umher nach seiner gewohnten Weise. Bei Allem was
er that und vornahm, hatte er die Frau Muhme im Sinn;
nur ihr zu Gefallen und nur für sic dachte, lebte und schaffte
er. Sie hatte zu steuern, daß er ihr nicht alle vier Wochen einen
neuen Dompfaffen in's Zimmer stellte.

Eines Tages, cs war um die Frühlingszeit des sechsten
Jahres seines Aufenthalts bei der Frau Muhme, ging er gegen
Abend noch eilfertig mit zwei mächtigen Gießkannen beladen
in den entlegenen Bcrggartcn der Frau Muhme hinaus. Er
trug recht schwer, und der Schweiß rann ihm von der Stirn;
denn die Gießkannen waren bis obenhin mit Regcnwasscr ge-
füllt, daö er vom Haufe mit nahm, trotz dcffen daß dicht unter
dem Bcrggartcn ein Bächlein vorüber floß, aus dem er hätte
schöpfen können. Die Landlcute eilten aus dem Felde nach
Hause, denn der Himmel war mit schwarzdüstern Gewitter-
wolken umzogen, die jeden Augenblick sich mit der ganzen Macht
der ersten Frühjahrsgewitter entladen konnten. „Wo will denn
der Vetter Andres noch so eilig hin?" rief ihm ein heim-
kehrendcr Nachbar zu. „Ach Gott! Herr Nachbar," erwiderte
Vetter Andres geschäftig, „ich habe für die Frau Muhme Gur-
kcnkcrne gelegt, die immer feucht liegen müssen, und da will ich
denn eigentlich in aller Geschwindigkeit noch hinaus laufen und
gießen, ehe das Gewitter los bricht. Denn gebt Acht, Nachbar,
cs fängt bald an." Damit zog er eilfertig weiter. Das Ge-
witter brach auch, als Vetter Andres eben mit seinem Gießen
glücklich zu Ende war, mit einer solchen furchtbaren Vehemenz
los, daß es nicht anders war, als wenn alle Schleusen des
Himmels sich geöffnet hätten, um das weite, gesegnete Thal
zu ersäufen. In Strömen stürzte der Regen aus dem nied-

rigen, schwarzen Gewölk herunter; aus den nahen Bergen brachen
Gießbächc hervor und wälzten sich schlammig und große Steine
mit sich fortrollend mit unerhörter Wuth und zum kläglichen
Schaden des Feldes in's Thal herab. Vetter Andres war auf
dem Heimwege begriffen; bereits bis auf die Haut durchnäßt und
bis über die Knöchel in Koth und Wasser watend, suchte er
unter einem im freien Felde einsam stehenden, wilden Birnbäume
Schutz. Er wußte aber wohl, daß es gefährlich sei, sich während
eines Gewitters unter einen Baum zu stellen; darum setzte
er sich darunter und lehnte sich mit dem Rücken gegen den
knorrigen Stamm des Baums. Während der Regen in Strömen
auf ihn niedcrgoß, dachte er bei sich: „es ist doch eigentlich
schade, daß dieser wilde Birnbaum noch wild ist. Ich werde
ihn kommendes Frühjahr mit der Gottes Hülfe bothcn und
zwar mit der schönen, saftigen Sommcrbergamottc, die der
Herr Landrath in seinem Garten hat. Der Herr Landrath
wird mir die Bothreiser ja wohl ..." Plötzlich befand er
sich in einem Schwcfclflammenmccre, dem jählings ein furcht-
barer betäubender Donnerschlag folgte. Der alte Birnbaum
stürzte in Splittern zusammen, und unter seinen Trümmern,
betäubt von dem entsetzlichen Schlage und fast erstickt vom
Schwefelgeruch, lag Vetter Andres. Indessen tobte das Wetter
unablässig fort; es war als ob der Untergang der Erde her-
bei gekommen. Alle Bewohner des Orts und der ganzen Um-
gegend zitterten in ihren Häusern vor dieser drohenden, all-
mächtigen Stimme des Herrn; nur an unserm Vetter Andres
gingen alle diese Schrecknisse spurlos vorüber, denn seine Be-
sinnung war fort, und wer weiß, wie lange er dort gelegen,
wenn nicht die Frau Muhme, sobald nur das erste grimme
Ungcthüm des Wetters ausgctobt hatte, einige Nachbarn hinaus-
gcschickt hätte, um nach Vetter Andres sich umzusehen. Sie
fanden ihn dort besinnungslos und trugen ihn noch unter dem
krachenden Donner und strömenden Regen nach Hause. Er
ward sofort zu Bett gebracht und in warme Tücher gehüllt.
Sobald er wieder zur Besinnung gekommen, erzählte er der
Frau Muhme, daß ihm Jemand mit einem glühenden Drathe
das Rückgrad hinabgestrichen habe. Es ergab sich bald, daß
der arme Mann gelähmt war. Schmerzen fühlte er nicht.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vetter Andres"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Heimkehr <Motiv>
Unwetter <Motiv>
Karikatur
Landarbeiter
Landschaft <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 670, S. 138
 
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