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, q Bestellungen werben in allen Buch- und Kunst-
Handlungen, sowie von allen Postämtern und
ZeilungSerpedtiionen angenommen.

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Erscheinen wöchentlich ein Mal. SubseriptionS- v viril i jm. ,
b O» Preis für de» Band von 26 Nummern 3 fl. 54 kr. H > Ul.lf’P.

»der 2 Rthlr. 5 Sgr. Einzelne Nummer» kosten >2 kr. oder 4 Sgr

Detter Andres.

(Schluß.)

Mitten in der Nacht wurde er geweckt. Der Haus-
knecht stand mit einer düster brennenden Laterne an seiner
Streu und rief: „Es ist Zeit aufzustchen Herr, wenn sie nicht
hier bleiben wollen. Die Post kann jeden Augenblick ankommen
und verweilt nicht lange. Ich will einstweilen Ihre Sachen
hinüber besorgen." Willig und ohne Widerrede rieb sich Vetter
Andres den Schlaf aus den Augen, stand auf, zog den Rock
an und war kaum damit fertig, da kehrte schon der Hausknecht
zurück und sagte: „Hier ist's Billct; das Gepäck ist schon im

Wagen!" „Lieber HauSknccht," fragte Vetter Andres unschlüssig,
„weißt Du's gewiß, daß ich mit der Post fort will?" „Nun
Herr!" antwortete dieser kurz, „Sie haben doch gestern Abend
noch die Zeche berichtigt und mir das Postgcld für das Fahr-
billet eingchändigt! Hören Sic's, wahrhaftig da bläst's schon.
Machen Sic, sonst fährt der Wagen ab." „Na! wcnn's so
ist," dachte Vetter Andres, „so muß ich Wort halten. Hab
ich'S einmal gesagt, muß ich'S auch thun!" Bald saß er denn
im Postwagen und setzte dort seinen unterbrochenen Schlaf

fort, bis er in Halle hincinfuhr.

Es war am dritten Tage nach seiner Abreise, da lies
bei der Frau Muhme ein großes Schreiben von der Polizei
in Halle ein mit der entsetzlichen Nachricht, daß Vetter Andres,
weil er aus daS Fahrbillet eines Handelsmanns aus Dessau
nach Halle gefahren und dessen Koffer mit sich genommen habe,
in Haft genommen sei. Die Frau Muhme, so alt und ge-
brechlich sie auch war, reiste andern Tags selbst nach Halle
und ging sofort auf die Polizei, um das Nähere zu erfahren.
Der Polizeibeamtc ließ sogleich Vetter Andrescn hcrbciführcn
und setzte ihr in dessen Gegenwart die ganze Geschichte, soweit
er sic selbst wußte, haarklein auseinander und fragte sie dann,
ob cö wahr sei, daß der Delinquent bei ihr im Hause wohne.

„Ei wohl! wohnt er bei mir im Hause und ist mein
leiblicher Vetter," erwiderte sie aufgeregt, „aber ein Delinquent
ist er nie und nimmer. Es ist nicht wahr, kann nicht wahr
sein, daß er fremdes Gut an sich genommen. Wie auch der
Schein gegen ihn sprechen mag, er ist eine so grundehrliche '
Seele, wie cs deren auf Erden wenige geben mag, wenn er
auch etwas schwach von Urthcil und Verstände ist. Rede doch,
Vetter Andres und erzähle, wie sich die Sache verhält. Der
Herr da meint, Du hättest einen fremden Koffer mit Dir
genommen."

„Ich hab's ja dem Herrn mit der Gottes Hülse schon oft
gesagt," antwortete Vetter Andres verdrießlich, „daß ich von kei-
nem Koffer nichts weiß, daß ich keinen Koffer nicht mitgenom-
men habe, sondern daß der Koffer mit mir gegangen sein muß."

„Aber du lieber, barmherziger Gott!" klagte die Frau
Muhme, „wie kann denn das nur zugegangcn sein?"

„Ja! das ist eigentlich ganz natürlich zugegangen," er-
widerte er, „und wcnn's die Frau Muhme recht gründlich wissen
will, so weiß ich's eigentlich selber nicht, wie's gekommen. Die
Sache aber ist die, daß der HauSknccht inich in der Nacht
weckte und mir sagte, ich müsse mit der Gottes Hülfe ab-
rciscn, weil ich mir's einmal vorgcnommcn und ich das Billct
bereits bezahlt habe. So reiste ich denn mit der Gottes Hülfe ab."

„Sie sehen nun selbst, Herr Polizcirath," sagte die Frau
Muhme traurig, „daß der arme Mensch hier nicht zurcchnungs-
fähig ist."

„Das Hab' ich ja dem Herrn auch schon gesagt," sagte
Vetter Andres; „aber der Mann will mir's durchaus nicht
glauben."

Der Polizeibeamtc war glücklicher Weise ein gutmüthigcr
und verständiger Man» und sah bald, was die Glocke geschlagen,

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