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Vetter Andres.

(Fortsetzung.)

„Ist dcr Zahn hohl?" fragte dringend der Chirurgus.
„Ja! vermuthlich," meinte Vetter Andres. „Nun so macht
einmal den Mund auf, aber recht weit!" Vetter Andres
sah sich hier wieder nach seinem Schützling um; aber von
diesem war keine Spur zu finden. „Nur nicht lange Zeit
vertrödelt, Herr!" eiferte dcr Chirurg ungeduldig, „Ihr seht
ja, ich habe alle Hände voll zu thun, und die ganze Stube
voll Menschen wartet auf mich. Das Maul aufgemacht, Herr!
zum Donnerwetter!" Was wollte und konnte nun Vetter
Andres solch einem dictatorischen Befehl gegenüber anders
thun, als seinen Mund weit öffnen. „Aha! hier ist der
Delinquent!" schrie der Doctor und stieß unsanft mit dem
Instrument an einen hohlen Zahn, daß Vetter Andres dachte,
er müsse vor Schmerz in die Erde sinken. Aber er hatte gar
keine Zeit, seinem Schmerzgefühle nachzuhängen. „Nun Platz
genommen!" rief dcr Chirurg. Vetter Andres ließ sich mechanisch
ans der Folterbank nieder. „Nun 's Maul recht weit ans!"
und im nächsten Augenblicke ertönte ein Schmerzenslant aus
Vetter Andresens gurgelnder Kehle, mit dem man hätte Todte
erwecken können. „S' Maul gehalten! geht nicht Kopf ab!"
sagte der Chirurg eifrig und setzte von neuem an, denn das
erste Mal war das Instrument abgepritscht. „Da ist er, hat
Wurzeln >vic ein Eichbaum! kostet 6 ggr.," schrie der Doctor
und wandte sich gleich Anderen zu. Vetter Andres spie einen
Mund voll Blut einer nahesitzenden, von Krämpfen befallenen
Banersfran an die Schürze, natürlich ans Versehen und weil
ihm für einen Augenblick Hören und Sehen vergangen >var,
zahlte dann seine 6 ggr. und zog ab. Draußen vor dcr Thür
auf dcr Straße erwartete ihn Försters Fritz mit Heulen und
Zähneklappern. „Na! wo steckst Du denn eigentlich, Fritze?"
fragte Vetter Andres. „Der Zahn ist mit der Gottes Hülfe

glücklich raußer." „Gott Lob und Dank!" rief dcr Junge,
„und meine Zahnschmerzen sind mir auch vor lauter Angst
vergangen." So zogen sie denn Beide flugs wieder nach
Hause, und die gute Frau Muhme kam den ganzen Tag
nicht ans dem Lachen, als sie die Geschichte hörte, und der
Förster vermuthlich auch nicht.

Der würdige Pastor des Orts mußte sich auch manche
Hülfleistnng und manchen kleinen Dienst vom Vetter Andres
gefallen lassen, besonders seit seine Tochter an einen Enkel
der Frau Muhme verheirathet war. Seitdem zählte Vetter
Andres ihn, wie er sagte, zur Familie, nannte ihn mit Stolz
„Ehrwürden Herr Vetter," besorgte ihm den Garten und
den Tanbcnschlag, arrangirte bei festlichen Gelegenheiten die
Ausschmückung der Kirche und des Pfarrhauses mit Guir-
landcn, sah auf dem Felde nach den Leuten, ja, knrirte ihm
sogar das kranke Vieh mit vielen: Geschick. Erst im Laufe
des Winters hatte er bei dcr kranken Sau eine ganze Nacht
unverdrossen Angebracht und sich abgcmüht, ihr eine Latwerge
beiznbringen.

Nun geschah's einige Zeit darauf, daß ein Bote ans
Frohdorf bei dcr Frau Muhme eintraf, dem sie's gleich an-
sah, daß er eine freudige Kunde brachte. „Na, Krischan,"
sagte die Frau Jnspectorin, „ich glaube, ich kann Dir's auf
dem Gesichte lesen, was Du bringst. Gelte! es ist ein kleiner
Junge angekommen?"

„Nä!" sagte dieser, „es sind 'er zweie."

„Ei! du lieber himmlischer Vater überden reichen Segen!"
rief die Frau Muhme aus. „Aber ist denn Alles wohl?"

„Das wohl!" meinte der ehrliche Bote; „aber die
jungen Herrchens schreien gar sehrc und die junge Frau
liegt zu Bette."

15. j Bestellungen werden in allen Bn ch- und Kunst-
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