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Vetter Andres.

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„Frau Muhme," sprach er gehcimnißvoll, als er sich mit ihr
allein sah, denn sie saß an seinem Lager, „ich glaube, cs ist
Zeit, daß ich mit der Gottes Hülfe mein Haus bestelle. Ich
dächte, die Frau Muhme schickte zum Richter. Zch will — tcstiren."

„Aber Vetter Andres," sagte sie liebreich, „bedenke doch
nur, Du hast ja nichts zu tcstiren, und das Testircn selbst
kostet Geld."

„Ja! umsonst ist der Tod, Frau Muhme," erwiderte er,
„und wer testiren will, muß auch Geld haben, es zu bezahlen.
In meiner Schublade rechts an der Seite Hab' ich das Geld
schon parat gelegt. Ich habe längst dazu gesammelt. Alles
muß mit der Gottes Hülfe seine Ordnung haben und meine
Nachkommen und Erben sollen einstmals nicht von mir sagen,
daß Vetter Andres sein Haus nicht bestellt gehabt habe, sondern
sorglos wie ein Heide in die Grube gefahren sei."

Um ihm den Willen zu thun, schickte sie zum Richter,
aber auch gleichzeitig zum Arzt. Letzterer kam schon nach Ver-
lauf einiger Stunden, zuckte die Achseln und sagte beim Weg-
gehen: „Sie werden nun bald diese Last los sein, Frau

Mama; er macht's nicht lange mehr."

„O barmherziger Himmel, er ist mir ja keine Last,"
schluchzte sie unter heißen Thräncn. „Weiß cs Gott, ich würde
ihn ja gerne, wenn cs Sein Wille wäre, ferner bei mir und
um mich haben, und er wird mir fehlen zu jeder Tagesstunde,
wenn ihn sein himmlischer Vater abrufcn sollte; denn es ist
eine grundgutmüthigc Seele, ohne Arg und ohne Falsch, wenn
er auch seine Schwachheiten hat." Bald darauf traf der Richter
ein. Vetter Andres, der bei voller Besinnung war, that so
geheimnißvoll, daß Niemand, selbst die Frau Muhme nicht,
außer dem Richter und seinem Schreiber im Zimmer bei ihm
bleiben durfte, und verfügte über alle seine gegenwärtige und
künftige Habe zu Gunsten der Frau Muhme.

Als das geschehen, fühlte er sich so leicht, als ob ihm
ein Stein vom Herzen wäre. Er ließ die Frau Muhme wieder
rufen. Sic setzte sich stillweincnd an seinem Bette nieder; er
hielt ihre alte, treue Hand in der feurigen und drückte sic leise.
„Was weint die Frau Muhme?" fragte er bänglich und mit
zitternder Stimme. „Hab' ich der Frau Muhme was zu Leid

gethan?" „Nein! ach nein! lieber Vetter Andres, das hast
Du, weiß es Gott, nie und nimmer gethan," schluchzte sic;
aber Du bist ja so krank, ich möchte Dir gern helfen und
kann doch nicht. Sichst Du, darum muß ich weinen."

Der Kranke verhielt sich nun eine Weile ruhig und be-
gnügte sich damit, ihre Hand voll Inbrunst zu drücken. Dann
sprach er von neuem, nachdem er eine Zcitlang Muth dazu
gesammelt hatte: „Ach! die Frau Muhme hat's immer so

gut mit mir gemeint, ach! so gut, wie's meine Mutter selig,
die ich nicht gekannt habe, vielleicht auch gethan hätte, wenn
Gott der Allmächtige sie beim Leben erhalten." Er sah ihr
dann mit einem Blick voll innigen Dankes und unaussprechlicher
Liebe in das liebe treue Angesicht, drückte von Neuem ihre von
Thränen genetzte Hand und sagte dabei immer vor sich hin:
„ja! ja! die Frau Muhme hat es immer so gut, so gut ge-
meint mit dem Vetter Andres, mehr als er's um sie ver-
dient hat, und hat kein Auge gehabt für seine Schwachhei-
ten, und auch die fatale Geschichte mit den dummen Gänsen
ganz vergessen; aber ein Herz, ein gutes, liebreiches Herz,
das hat sie für ihn gehabt immer und immer. Gott wird's
der Frau Muhme lohnen." Nach einer Weile sagte er dann
mit schwacher Stimme: „Thut's Licht weg, Frau Muhme,
ich bin sehr müde und will ein wenig schlafen — mit der
Gottes Hülfe." Sie entfernte das Licht und er schlief sanft
und ruhig ein wie ein müdes Kind, um nicht wieder zu erwachen.

Die Paar Thaler, die er hinterlasscn, reichten kaum hin,
die Kosten des Testaments zu denken, geschweige die seines
Begräbnisses. Dessen ungeachtet ließ ihn die Frau Muhme
so anständig in ihrer Familiengruft bestatten, als ob er als
reicher Mann gestorben wäre, hatte alle ihre Kinder und
Schwiegersöhne und Schwiegertöchter mit deren Kindern und
Enkeln verschrieben, die mußten alle in schwarzen Traucr-
kleidern mit zu Grabe gehen und den lieben Hausgenossen
zu seiner letzten Ruhestätte begleiten. Auch der Herr Pfar-
rer, der Herr Förster mit seinem Fritz und viele, viele acht-
bare Bauersleute und Nachbarn folgten dem Zuge unauf-
gefordert; der Herr Cantor ging mit der ganzen Schule nach,
ja, viele alte Frauen im Orte behaupteten, ein solches Begräb-
niß sei seit dem Tode des seligen Herrn Jnspcctors nicht wieder
im Dorfe vorgekommen. Die Frau Muhme aber, selber dem
Grabe so nahe, dachte nun um so lieber an den Himmel,
wo sic den Vetter Andres wieder zu finden hoffte. Seine
hinterlasscnen Kleider und Wälche schenkte sic den Armen des
Dorfes; seine dreigchäusige, silberne Uhr der Hauömagd, um
damit ihrem Schatze ein Präsent zu machen.

Vier Monate waren über seinen Tod verflossen und
es war bereits Herbst geworden, da saß die Frau Muhme
einsam in ihrem Stübchen und dachte voll Wehmuth, daß es
doch viel weniger einsam in ihrem Hause gewesen, als »och
der selige Vetter Andres darin wie ein geschäftiges, harm-
loses Kind umher gewirthschaftct habe, da pochte es an ihrer
Thür und auf ihr „Herein!" trat der Jude Aschenborn auö
der nahen Stadt mit verschmitzt lauerndem Gesicht in's Zim-
mer und fragte nach Vetter Andres.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vetter Andres"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Krankenbett
Krankenbesuch
Kranker <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 670, S. 139
 
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