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Meine erste Karte.
bis endlich der Müller mit Sohn und Tochter ausbrach. Lctz-
j tere warf noch einen flüchtigen Blick auf ihren schlafenden
Tänzer und wünschte mir freundlich eine gute Nacht. Eine
solche hatte ich auch, trotz meiner gerade über dem Tanzsaale
befindlichen Schlafkammer, denn die lachendsten Bilder der Zu-
kunft erfüllten meine Seele.
III.
Den darauf folgenden Sonntag begab ich mich zur Mühle,
meinen neuen Freund aufzusuchen und gelegenhcitlich auch Zn
Wort mit der schönen Marie zu reden. Ich traf die ganze
Familie beisammen an und erstaunte nicht wenig, mich vom
Müller mit aller Freundlichkeit und Zuvorkommenheit ausge-
nommen zu sehen. „Ei, ei!" ries er und streckte mir die Hand
entgegen, „das ist schön von Ahnen, daß Sie sich heute cin-
finden!" Ich glaubte zuerst, unser Zusammentreffen bei der
Fahnenweihe habe diese Aenderung bewirkt, wurde aber bald
eines Besser» belehrt. „Denken Sie nur," fing der Müller zu
. erzählen an, „gestern war ich bei Ihrem Vater auf dem Frucht-
markte in Stuttgart; er hat mir meine ganze Ladung Kernen
abgekauft und läßt Sie schön grüßen." Zur Aufklärung des
geneigten Lesers diene hier, daß mein Vater ein Mitglied der
ehrsamen Bäckcrzunft war. Das war keine geringe Empfehlung
für mich bei dem Müller. Er fing an, den Geometer in mir
zu übersehen und mich als Mensch und Bäckerssohn zu schätzen.
Sein einziges Bedauern war blos, mich nicht früher von dieser
Seite gekannt zu haben, und nicht begreifen konnte er, wie
mein Vater, den er doch als gescheidten Mann habe kennen ge-
lernt, mich zu so einem Fache, wie die Geometrie, habe be-
stimmen können. „Ei, ei!" sagte er kopfschüttelnd einmal über
das andere, „was hat denn auch Ihr Vater gedacht?"
Sechs bis acht Wochen vergingen, ohne daß sich etwas
besonderes ereignete. Meine Geschäfte brachten mich der Mühle
immer näher, und mit einer gemischten Empfindung sah
ich, wie meine Arbeit immer mehr dem östlichen Rande der
Karte und somit ihrem Ende nahte. Endlich fehlte blos noch
! die nordöstliche Ecke, wo die Mühle lag. Noch drei Tage, dachte
ich, und meine Arbeit ist fertig. Verstimmt über diesen Ge-
danken kam ich Sonntags zur Mühle. Marie war heiter, wie
sonst, denn ich hatte noch nie über meine bervorstehendc Tren-
nung gesprochen. Auch den heutigen vielleicht letzten Sonntag
unsers Zusammenseins wollte ich nicht damit verderben, und
> so vergnügten wir uns wie gewöbnlich. Der Abend dieses Tages
wird mir für immer unvergeßlich sein. Wir hatten eine Fahrt
auf der Enz verabredet. Franz sollte, wie gewöhnlich, uns rudern.
Als wir in den Kahn steigen wollten, meinte er, die Fabrt
stromaufwärts sei nichts angenehmes, es gehe zu langsam.
Wir sollten lieber zu Fuße das Thal hinaufgehen und droben
an der hohen Eiche warten, bis er mit dem Kahne Nachkomme.
! Ich ergriff diesen Vorschlag mit Freuden, und so wandelten
I wir denn Hand in Hand das freundliche Wiesenthal hinauf,
i Auf der Hälfte des Wegs mußten wir in ein Wäldchen ein-
biegen, das hier hart bis an das Ufer der Enz sich ausdehnte.
Es war ein heiterer warmer Septemberabend; die Sonne sandte
ihre letzten Strahlen durch die Wipfel der Eichen, die noch im
vollen Blätterschmucke praugten, noch waren die letzten Sänger
des Waldes nicht verstummt, und im Thale stimmten die Gril-
len ihr tausendstimmiges Conzert an. Ein Spaziergang, wie
ihn der verliebteste Romantiker nicht besser wünsche» konnte!
Und nun gar das Plätzchen unter der hohen Eiche! Hier war
die Aussicht gegen den Fluß wieder frei, der friedlich zu un-
fern Füßen rauschte. Im Westen ging eben die Sonne unter;
ein sanfter West bewegte die Zweige der Eiche und fächelte
uns Kühlung zu. Wir setzten uns ins weiche Moos. Ueber-
selig lehnte ich mein Haupt an Mariens Brust; sie spielte mit
meinen Locken. 'Noch hatte ich nie ein Wort von Liebe mit
ihr gesprochen; bot sich irgend eine günstige Gelegenheit dazu
dar, so war es jetzt. Doch, warum davon sprechen? Es fiel
mir gar nicht ein, davon zu sprechen; daß wir uns liebten,
verstand sich von selbst. Die Minuten flogen dahin, und nur
zu bald kam Franz mit seinem Kahne an. Wir stiegen ein, >
setzten uns, ließe» uns von den schaukelnden Wellen den Fluß
hinab tragen und landeten bei der Mühle. Den Himmel in 1
der Brust, kehrte ich nach Hause zurück.
Freilich jetzt, oder eigentlich schon längst, wenn ich die
Sache bei ruhigem Blute überlege, stellt sich manches ganz
anders dar. Es kommt mir fast vor, als ob Marie in meiner
Gesellschaft sich gelangweilt hätte, als ob sie verschiedcnemal einen
Anlauf genommen, mir die Zunge zu löse», als ob sie —
doch warum hintennach Erklärungen suchen, an die ich damals
entfernt nicht dachte? Warum das Andenken an den letzten
Abend einer heitern Jugend durch Untersuchungen trüben, die
höchstens zu einem Resultate führen können, auf das ich seit-
her auf viel kürzerem Wege zu gelangen vielfach Gelegenheit
fand?
IV.
Den nächsten Morgen ging's wieder zur Mühle, diesmal
aber in Geschäften, mit meinein ganzen Apparate. Unglück-
licherweise traf ich den Müller in ganz übler Laune an.
„Wenn wir gute Freunde bleiben jollcn", redete er mich an,
so bleiben Sie mir mit Ihrem Kram vom Halse". Was j
konnte ich machen? Mein Geschäft mußte vollendet werden.
Ich stellte also ohne weiters meinen Meßtisch auf und fing
an zu opcriren. Eö handelte sich hier hauptsächlich auch noch
um die Breite des Fluffes; ich nahm daher meinen Standpunkt
so nahe als möglich am Ufer. Zu allem Unglück war hier
die Grenze zwischen Gemeinde- und Privat-Eigenthum durch-
aus unbestimmt. Der Müller behauptete, der ganze Raum
neben der Mühle und dem Wasser sei sein Eigenthum, und
doch führte ein Gemeindewcg hindurch, der nach der Verord-
nung mit Marksteinen bezeichnet werden mußte. „Was, mir
Steine in meinen Hof setzen?" fuhr der Müller auf, „mir
sollte das einer probiren!" Ich konnte nichts thun, als den
Schultheiß mit dem „Untergangsgerichte" kommen lassen. Die
Herren waren klug genug, Alles von sich ab und auf mich zu
wälzen, indem sie sagten, ich solle ihnen nur augeben, wo die
neuen Steine hingehören. Der Müller wurde immer wüthen-
der. Ihn zu besänftigen, führte ich ihn zu meinem Mcß-
rische, um ihm zu zeigen, wie der Richtung des schon aufge-
Meine erste Karte.
bis endlich der Müller mit Sohn und Tochter ausbrach. Lctz-
j tere warf noch einen flüchtigen Blick auf ihren schlafenden
Tänzer und wünschte mir freundlich eine gute Nacht. Eine
solche hatte ich auch, trotz meiner gerade über dem Tanzsaale
befindlichen Schlafkammer, denn die lachendsten Bilder der Zu-
kunft erfüllten meine Seele.
III.
Den darauf folgenden Sonntag begab ich mich zur Mühle,
meinen neuen Freund aufzusuchen und gelegenhcitlich auch Zn
Wort mit der schönen Marie zu reden. Ich traf die ganze
Familie beisammen an und erstaunte nicht wenig, mich vom
Müller mit aller Freundlichkeit und Zuvorkommenheit ausge-
nommen zu sehen. „Ei, ei!" ries er und streckte mir die Hand
entgegen, „das ist schön von Ahnen, daß Sie sich heute cin-
finden!" Ich glaubte zuerst, unser Zusammentreffen bei der
Fahnenweihe habe diese Aenderung bewirkt, wurde aber bald
eines Besser» belehrt. „Denken Sie nur," fing der Müller zu
. erzählen an, „gestern war ich bei Ihrem Vater auf dem Frucht-
markte in Stuttgart; er hat mir meine ganze Ladung Kernen
abgekauft und läßt Sie schön grüßen." Zur Aufklärung des
geneigten Lesers diene hier, daß mein Vater ein Mitglied der
ehrsamen Bäckcrzunft war. Das war keine geringe Empfehlung
für mich bei dem Müller. Er fing an, den Geometer in mir
zu übersehen und mich als Mensch und Bäckerssohn zu schätzen.
Sein einziges Bedauern war blos, mich nicht früher von dieser
Seite gekannt zu haben, und nicht begreifen konnte er, wie
mein Vater, den er doch als gescheidten Mann habe kennen ge-
lernt, mich zu so einem Fache, wie die Geometrie, habe be-
stimmen können. „Ei, ei!" sagte er kopfschüttelnd einmal über
das andere, „was hat denn auch Ihr Vater gedacht?"
Sechs bis acht Wochen vergingen, ohne daß sich etwas
besonderes ereignete. Meine Geschäfte brachten mich der Mühle
immer näher, und mit einer gemischten Empfindung sah
ich, wie meine Arbeit immer mehr dem östlichen Rande der
Karte und somit ihrem Ende nahte. Endlich fehlte blos noch
! die nordöstliche Ecke, wo die Mühle lag. Noch drei Tage, dachte
ich, und meine Arbeit ist fertig. Verstimmt über diesen Ge-
danken kam ich Sonntags zur Mühle. Marie war heiter, wie
sonst, denn ich hatte noch nie über meine bervorstehendc Tren-
nung gesprochen. Auch den heutigen vielleicht letzten Sonntag
unsers Zusammenseins wollte ich nicht damit verderben, und
> so vergnügten wir uns wie gewöbnlich. Der Abend dieses Tages
wird mir für immer unvergeßlich sein. Wir hatten eine Fahrt
auf der Enz verabredet. Franz sollte, wie gewöhnlich, uns rudern.
Als wir in den Kahn steigen wollten, meinte er, die Fabrt
stromaufwärts sei nichts angenehmes, es gehe zu langsam.
Wir sollten lieber zu Fuße das Thal hinaufgehen und droben
an der hohen Eiche warten, bis er mit dem Kahne Nachkomme.
! Ich ergriff diesen Vorschlag mit Freuden, und so wandelten
I wir denn Hand in Hand das freundliche Wiesenthal hinauf,
i Auf der Hälfte des Wegs mußten wir in ein Wäldchen ein-
biegen, das hier hart bis an das Ufer der Enz sich ausdehnte.
Es war ein heiterer warmer Septemberabend; die Sonne sandte
ihre letzten Strahlen durch die Wipfel der Eichen, die noch im
vollen Blätterschmucke praugten, noch waren die letzten Sänger
des Waldes nicht verstummt, und im Thale stimmten die Gril-
len ihr tausendstimmiges Conzert an. Ein Spaziergang, wie
ihn der verliebteste Romantiker nicht besser wünsche» konnte!
Und nun gar das Plätzchen unter der hohen Eiche! Hier war
die Aussicht gegen den Fluß wieder frei, der friedlich zu un-
fern Füßen rauschte. Im Westen ging eben die Sonne unter;
ein sanfter West bewegte die Zweige der Eiche und fächelte
uns Kühlung zu. Wir setzten uns ins weiche Moos. Ueber-
selig lehnte ich mein Haupt an Mariens Brust; sie spielte mit
meinen Locken. 'Noch hatte ich nie ein Wort von Liebe mit
ihr gesprochen; bot sich irgend eine günstige Gelegenheit dazu
dar, so war es jetzt. Doch, warum davon sprechen? Es fiel
mir gar nicht ein, davon zu sprechen; daß wir uns liebten,
verstand sich von selbst. Die Minuten flogen dahin, und nur
zu bald kam Franz mit seinem Kahne an. Wir stiegen ein, >
setzten uns, ließe» uns von den schaukelnden Wellen den Fluß
hinab tragen und landeten bei der Mühle. Den Himmel in 1
der Brust, kehrte ich nach Hause zurück.
Freilich jetzt, oder eigentlich schon längst, wenn ich die
Sache bei ruhigem Blute überlege, stellt sich manches ganz
anders dar. Es kommt mir fast vor, als ob Marie in meiner
Gesellschaft sich gelangweilt hätte, als ob sie verschiedcnemal einen
Anlauf genommen, mir die Zunge zu löse», als ob sie —
doch warum hintennach Erklärungen suchen, an die ich damals
entfernt nicht dachte? Warum das Andenken an den letzten
Abend einer heitern Jugend durch Untersuchungen trüben, die
höchstens zu einem Resultate führen können, auf das ich seit-
her auf viel kürzerem Wege zu gelangen vielfach Gelegenheit
fand?
IV.
Den nächsten Morgen ging's wieder zur Mühle, diesmal
aber in Geschäften, mit meinein ganzen Apparate. Unglück-
licherweise traf ich den Müller in ganz übler Laune an.
„Wenn wir gute Freunde bleiben jollcn", redete er mich an,
so bleiben Sie mir mit Ihrem Kram vom Halse". Was j
konnte ich machen? Mein Geschäft mußte vollendet werden.
Ich stellte also ohne weiters meinen Meßtisch auf und fing
an zu opcriren. Eö handelte sich hier hauptsächlich auch noch
um die Breite des Fluffes; ich nahm daher meinen Standpunkt
so nahe als möglich am Ufer. Zu allem Unglück war hier
die Grenze zwischen Gemeinde- und Privat-Eigenthum durch-
aus unbestimmt. Der Müller behauptete, der ganze Raum
neben der Mühle und dem Wasser sei sein Eigenthum, und
doch führte ein Gemeindewcg hindurch, der nach der Verord-
nung mit Marksteinen bezeichnet werden mußte. „Was, mir
Steine in meinen Hof setzen?" fuhr der Müller auf, „mir
sollte das einer probiren!" Ich konnte nichts thun, als den
Schultheiß mit dem „Untergangsgerichte" kommen lassen. Die
Herren waren klug genug, Alles von sich ab und auf mich zu
wälzen, indem sie sagten, ich solle ihnen nur augeben, wo die
neuen Steine hingehören. Der Müller wurde immer wüthen-
der. Ihn zu besänftigen, führte ich ihn zu meinem Mcß-
rische, um ihm zu zeigen, wie der Richtung des schon aufge-