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Ein Reiseabenteuer.

sein Haupt bedeckte eine stattliche Perücke mit mächtigem Haar-
beutel. Es war mit einem Wort ein ehrsamer Magister libera-
lium artium der guten damals noch blühenden Universität
Wittenberg, der in einem vornehmen Hause zu Berlin eine
Jnformatorstelle anzutrcten und die Reise an seinen Bestimm-
ungsort^ mit der „Ordinaircn" zu vollenden im Begriffe stand.
Bis Treuenbriczen war diese nach den Umständen recht leidlich
von Statten gegangen, denn der Kleine hatte allein im Ca-
briolet gesessen und es sich darin möglichst bequem machen,
auch seine Perücke — es war ein riesiges Eremplar — mög-
lichst schonen können. Mit dieser Bequemlichkeit war es vor-
über, als der Postkarrcn vor dem Posthause in Treuenbriczen
hielt und sich der beschriebene Dicke — es war der Ober-
meister der dortigen Bäckerzunft — auf den einzigen noch un-
besetzten Platz in das Cabriolet hinein schrotete. Noch hatte
der Kleine keine Ahnung von den Drangsalen, die seiner war-
teten, als sich die Karrete wieder in Bewegung setzte. Kaum
aber war sie wieder auf der Landstraße angclangt und mahlte
mit ihren schwerfälligen Rädern den Churmärkischen Sand,
als die kleinen Augen des Dicken zuficlen und sein Oberkör-
per, den Unebenheiten des Bodens folgend, zunächst in jene
schwankende Bewegung gericth, die einen festen Stütz- und
Ruhepunkt sucht. Und merkwürdig, dieser Ruhepunkt war
allemal die ganze linke Körpcrflächc des kleinen Magisters. „Mein
Herr", rief dieser endlich, „ich habe ganz und gar nichts dawi-
der, daß Sic schlafen, allein ich wollte Sie doch ganz gehor-
samst gebeten haben, Sich dabei nicht so gewaltsam auf mich
zu legen, ich kann ja wahrhaftig keinen Athcm mehr schöpfen."
„Sie irren sich", entgegnete der Dicke, „ich schlafe nicht im Ge-
ringsten und wüßte gar nicht, wie ich Sic incommodirte." Kaum
aber hatte er dieß gesagt, als ihm wieder die Augen zufielen
und die Last seines Oberkörpers abermals auf dem kleinen
Magister lag. Kein Bitten, kein Flehen half, zuletzt hörte
der Dicke nicht einmal mehr und der Kleine lag „eingekeilt in
drangvoll fürchterliche Enge" ächzend und stöhnend in seine

Ecke gequetscht unter dem Riesenleibe des Bäckers. Endlich
nach zwei Stunden, in denen man Eine Stunde Weges zu-
rückgclegt, hielt die Karrete vor einer Dorfschenke. Die Pferde
mußten getränkt werden und die Passagiere benutzten diese Zeit

um, wenn auch nur auf kurze Dauer, dem Marterkasten sich
zu entwinden, frische Luft zu schöpfen und die Glieder zu
recken. Auch der Dicke, von dem Stillstehen des Karrens er-
wacht, wälzte sich aus dem Cabriolet um einen Schnaps zu
trinken. Ihm folgte der Kleine, dessen Perücke völlig deran-
girt war, und bat fast unter Thränen die Passagiere des
Coupees um einen Tausch der Sitze. Aber bei einem Blick
auf den Dicken wurden die Herzen der Passagiere wie Stein,
man wies ihn ab und eine bei dem Postillon höflichst ange-
brachte Beschwerde hatte keinen andern Erfolg als einen got-
teslästerlichen Fluch und die Resolution, daß den Passagieren
das Schlafen nicht verwehrt sei und daß sich Jeder helfen
müsse, wie er könne. Damit blies der Schwager ins Horn
zum Zeichen, daß die Passagiere wieder einzusteigen hätten und
wohl oder übel der Kleine niußte wieder in den Jammerkasten
hinein, hatte aber doch wenigstens den Dicken dahin disponirt,
daß sich dieser nunmehr in die rechte Wagenecke setzte, in der
er meinte, sein Körperbau bedinge die ihm so außerordentlich
lästige Neigung nach rechts. Fort ging die Reise. Aber
kaum hatte sich der Wagen in Bewegung gesetzt, als der Dicke
wieder cinschlummerte. Der Kleine beobachtete mit ängstlicher
Aufmerksamkeit, wohin der Schwerpunkt seines Nachbars sich
neigen würde und bemerkte zu seinem Schrecken, daß sich die-
ser, wie vorhin nach rechts, so jetzt nach links senkte und
es dauerte nicht lange, so lag der Dicke wahrhaftig wieder
wie ein Mehlsack mit seiner ganzen Last auf dem unglücklichen
Magister, dem nun ernstlich für sein Leben bang wurde. So
weit ihm der Raum dieß gestattete, bearbeitete er nun mit
seinen Ellenbogen die Seiten und den Wanst seines Alps,
aber, als ob letzterem dieß nur angenehme Gefühle erregte,
ein behagliches Grunzen und ein momentanes Aufschlagen der
Augen war der ganze Erfolg — von einer Veränderung der
Lage war gar keine Rede. Noch eine verzweifelte Kraftan-
strengung machte der Kleine, zugleich den freien linken Arm
zu Püffen und Stößen aus den Cadaver, der ihn zu ersticken
drohte, benutzend und wirklich der Dicke schien zu erwachen,
wenigstens schlug er die Augen auf und richtete sic, ohne
übrigens seine Stellung zu verändern, fragend auf sein Schlacht-
opfcr. Da — was war das? Hatte er recht gesehen oder
täuschten ihn seine Sinne, der Kleine biß mit den klappenden
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Reiseabenteuer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Sitzplatz
Schrei <Motiv>
Kutsche <Motiv>
Wut <Motiv>
Karikatur
Reisender <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Platzmangel <Motiv>
Tritt <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 29.1858, Nr. 687, S. 66

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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