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15)8

Die allzulange Leiter.

Wie die Knecht ha'n vernommen des Glöckleins Ton,
Deucht ihnen sie stünden vor GottcS Thron,

Als wcrd' ihnen das Sünderglöcklcin gelitten,

D'rum sind sic auch schnell von dannen geritten.

Der Schuhmacher führt heim die Engeltraud,

Dieweil er hat immer auf Gott vertraut,

Vor dem nicht bestehet der Menschen List,

D'rum bessere sich, wer ein Raubritter ist!

Ein verhängnisvoller Wirbel.

In Wien, wo die Häuser so hoch sind, wie die Berge
Norddcutschlands, und die Gassen so eng, daß, wenn Zwei
sich begegnen, der Stärkere den Schwächeren mit der Achsel
zehn Schritte weit mit sich schleppt, lebte einst ein altes, grau
angczogcneS dürres Männchen, Namens Stäblcin. Stäblein
war ein gcborncr Musikus; wenn seine Mutter ihm, da er
noch in der Wiege saß, den Brei in den Mund gestrichen
hatte, griff er jedes Mal mit einer Art Leidenschaft nach dem
hölzernen Löffel und trommelte so tapfer aus der zinnernen
Schüssel herum, daß sein Vater, der ein besonderes Augenmerk
auf die Anzeigen schlummernden Genies hatte, seinen Sohn
alsbald der musikalischen Kunst widmete; und in der That,
— nach fünfzig Jahren saß Stäblei» als Paukenschläger in
einem hochberühmten Theater Wiens. Auf seiner Nase steckte
gewöhnlich eine große Brille aus Bein, und auf seiner Stirne
lagen Furchen, so dick wie die Saiten seines Nachbars, des
Brummbaßgcigcrs. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Stäb-
lcin der brauchbarste Paukenkünstler seiner Zeit, ja vielleicht
aller Zeiten von Adam bis Mozart gewesen ist; gleichwohl
war er taub. Allein er zählte seine 2 — 300 Pauscntaktc
mit solcher Redlichkeit, mit solchem Scharfblick auf den Ka-
pellmeisterstab, daß eher alle andern fünfundzwanzig Musici
zusammen aus dem Takte gekommen wären, als er allein;
und wenn seine Zeit gekommen war, schlug er einen so run-
den, prallen, jauchzenden Wirbel, daß alle Gallcricn in Ent-
zückung schwelgten.

Da ereignete sich einmal folgender merkwürdige Fall,
i Ein bekannter Kunstgönner feierte seinen Geburtstag und
mehrere Kollegen Stäblcins beschlossen, ihm eine Serenade
darzubringen; die Serenade war ein hübsches Stück Arbeit
und schloß mit einem langen.'Paukenwirbel. „Diesem ist nur
! Stäblein gewachsen!" hieß cs, und Stäblein war stolz, daß
i man denselben nur ihm anvertrautc. An dem bestimmten
j Abende zogen also unsere Musici, Mann für Mann, durch
! die engen Gassen mit hoffnungsvollen Herzen und leeren Ben- !

I tcln vor das Haus des Gefeierten in der Krummstraße und
stellten sich unter dem Balkone auf. Da stand der Flötist
mit seinem schiefen Gesichte, daneben stand der Klarinettist mit j
froschmaulartigem Munde, an ihn reihte sich der Oboist mit !
der feingespitzten Zunge, endlich kamen die Geiger zusammt
der riesigen Baßgeige. Das Haus war aber ein Eckhaus mit

Ein vcrhängnißvoller Wirbel.

einem gewaltigen Ecksteine, einem wahren Steine des Ansto-
ßes, und für Stäblcin war kein Platz in der Krummgasse,
er mußte sich daher links in der Quergasse zwischen seinen
Pauken aufpflanzen. Die Musik begann, ein Flötenpfiff sollte
den Festherrn herauslocken; — holla! Wie der Wind fliegt
ein nahe stehender Polizeimann herbei und stöbert die ent-
täuschten Künstler vom Platze.

Bald war Alles ruhig wie während einer Gencralpause.
Horch! Was ist das für ein entsetzlich gräßlicher Trommel-
wirbel in der Quergasse? Rebellion? — Und aus allen
Gassen und Gäßchcn laufen die Polizisten zusammen und pa-
cken den armen Stäblcin, der seine 500 Pausen gewissenhaft
gezählt und endlich — cs war der schönste Moment seines
Lebens — seine Kunst herrlicher als je entfaltet hatte. Ach,
die erschrockenen Kameraden hatten vergessen, den Unglücklichen
mitzunehmen, der jetzt vor das Gericht geschleppt wurde.

„Wisset Ihr, warum Ihr verhaftet seid?" fragte der
lauernde Richter. Stäblein schüttelte den Kopf und erklärte,
seine Ohren seien unzurechnungsfähig. „Ah, die Finessen
kennen wir; ein tauber Musikus! ha, ha! Sonst habt Ihr
nichts zu sagen? ■— Vier Wochen Arrest."

Da stürzte der Theater-Kapellmeister, untröstlich über die-
sen Schlag des Geschickes in den Gerichtssaal und klärte die
Sache auf. Stäblein wurde entlassen; aber er war nicht mehr
der alte sckundengcnaue Stäblein; so oft er zu pausiren hatte
und der Zeitpunkt herankam, wo er cinfallcn sollte mit seiner
Donnerstimme, blickte er erschrocken nach rechts und links,
nach vorne und hinten, ob ihn nicht Einer packe, und vergaß
die gezählten Pausen und verabsäumte den Wirbel.

So gehen die herrlichsten Talente zu Grunde und müs-
sen pcnsionirt werden; das Letztere passirte ncmlich auch un-
serem guten landcsfürstlichcn Thcatcrpaukenschlägcr Ambrosius
Stäblcin.

Purig ornnia pura!

Einige Herren sitzen am Wirthstisch und essen Würstchen.
Ein Jude tritt ein und wendet sich zur Wirthin:

„Nu, Frau Wirthin, gcb' Sie mir aach ä Portion Fisch."
„Wie, das haltet Ihr für Fische? Das sind ja Würstchen!"
„Heißt Jhr's wie Ihr wollt; ich heiß' es Fisch! Geb'
Sie mir aach ä Portio» Fisch!"

Der kaltblütige Liebhaber.

Ein Schulmeisterlein, an der Feder kauend, vor einem
unbeschriebenen Bogen Papier fragt seinen neben ihm sitzenden
Collcgcn mit gewichtiger Miene:

„Da zerbrcch' ich mir just schon die ganze Zeit den Kopf!
Was meinst denn Du dazu: Soll ich nicht meine Liebeser-
klärung mit einem begründenden Umstandssatz anfangen?"
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