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| 202 Warum der Kopist Huldreich nicht hciratbete.

und eine hohe, volle Gestalt, an die wollte ich mich anmachen;
sie trieb Weißnähcrei, und da ich nicht wußte, wie ich an sie
kommen sollte, bestellte ich mir Vorhemdchcn bei ihr. Sie
machte mir dieselben, dabei besuchte ich sie zuweilen, schwatzte
mit ihr, und ehe ich cs selbst glaubte, kostntc ich keinen Tag
mehr sein, ohne das Mädchen zu sehen und ihm schien cs mit
mir ebenso zu gehen, denn wenn ich von meiner Expedition
heim kam, sah ich schon von Ferne ihre lieben Augen zwischen
den weißen Vorhängen hindurch mir entgegen blicken. Nu»
aber war ich damals schon ein eigener Kerl, denn ich hatte einige
dreißig Aahre auf dem Rücken, hatte für mich so lange allein
gelebt, denn meine Aelter» waren seit Jahren tobt, Geschwister
hatte ich nie gehabt, hatte mir meinen Kaffee, zuweilen mein
Essen selbst gekocht, war also schon so etwas wie ein Hage-
stolz und Topfgucker geworden, und machte mir nun Gedanken
darüber, ob das Mädchei> zu mir passe, und so saß mir, als
der letzte Tag kam, welchen ich in der Residenz verlebte, die
Sache zwischen Haut und Knochen. Von meiner Emilie, so
hieß das Mädchen, hatte ich recht zärtlichen Abschied genom-
j men, wir hatten Beide geweint, und uns, wie es vorher schon
oft geschehen war, herzlich geküßt, aber davon, daß ich sie
hcirathen wolle, sagte ich kein Wort, wenn sie das auch nach
meinem Benehmen hat denken müssen. Aber ich hatte mit Ab-
sicht nicht davon gesprochen, denn ich hatte damals eine Partie
Romane gelesen, in denen die jungen Mädchen ihren Lieb-
habern getreu geblieben, bis sic in die alten Jungfernjahre
gekommen, und dachte, meine Emilie müsse mir auch so treu
bleiben, wenn ich von der Ehe auch nicht spräche; und wenn
die Ehe auch nicht Jahre lang hinauSgeschobcn sein sollte,
prüfen mußte ich sie erst, das stand bei mir fest. Am letzten
Abend in der Residenz saß ich nun mit meinen Bekannten zu-
sammen ; unter diesen war auch ein junger Schuhmachergescll,
Hermann Steinert, den ick ganz besonders lieb hatte; er wußte
um meine Liebschaft und hatte mich oft aufgefordert, mich zu
verloben, aber ich hatte ihm nicht gefolgt. Jetzt bat ich ihn,
er möge auf Emilien ein wachsames Auge haben, und solle sie
besonders beobachten, wenn sie Bälle und Tanzvergnügungen
besuche; ich theilte ihm auch mit, daß ich sic hcirathen wolle,

, daß ich ihr aber noch kein Versprechen gemacht habe, und dabei
bestimmten wir, er solle mir über Emilien gar nichts schreiben,
außerwenn etwas vorkäme, was meiner Absichtunbe-
dingt entgegenträte. Kleine Klatschereien wollte ich nicht,
j Tags darnach reiste ich hierher, kam gerade am letzten Vogelschießtag
hier an, es gefiel mir de» Tag und die folgenden und über-
haupt so lange, bis der Oktober kam. Da saß ich oft allein in
meiner Stube und fror, ich dachte daran, wie hübsch cs sei,
wenn eine kleine Frau neben mir säße, wenn die Stube warm
sei, sobald ich von meiner Erpedition heim käme, und
endlich, es war darüber fast Weihnachten geworden, kam ich
nach vielem Ueberlegen zu dem Entschlüsse, Emilien um ihre
Hand zu bitten. Gerade am Weihnachtsheiligcnabcnd sollte sie
meinen Brief erhalten; ich konnte es so einrichten. Ich schrieb
deßhalb einen Brief an sie, diesen da.

Dabei nahm der Kopist aus seiner Bricftafel einen alten

vergilbten Brief, dessen Siegel erbrochen war und gab ihn
einem der Gäste, welcher laut las:

„Liebe Emilie!"

„Weun ich Dir seit meiner Abreise nicht geschrieben
habe, so geschah daö, um Dich und mich zu prüfen; ich glaube,
daß wir ein zufriedenes Ehepaar werden und bitte Dich dcß-
halb, mir Deine liebe Hand am Altäre zu reichen und mir
daS Glück zu verschaffen, waS eine liebe und gute Ehefrau

ihrem Manne geben kann. Ich hoffe auf baldige Antwort und

werde dann in Deine Arme eilen.

Dein

P. am 22. Dezember 1824.

Dich liebender
S. Huldreich."

Sic sehen, meine Herren, fuhr der Kopist fort, der Brief
war schon gesiegelt und adrcssirt, und eben wollte ich ihn,
damit er pünktlich besorgt werde, selbst zur Post tragen; da
klopfte es an meine Thür und gleich darauf trat der Briefbote

ein. Er brachte einen Brief aus der Residenz, die Adresse

war von der Hand meines Freundes; ich riß ihn eilig auf
und wissen Sie, meine Herren, was ich in dem Couvert fand?

Zum zweiten Male öffnete der Kopist seine Brieftafel
und reichte de» Anwesenden eine Verlobungskarte hin:

Emilie Bläßig,

Herrmann Steinert,
e. s. a. V.

Nun, meine Herren, wissen Sie, schloß der Kopist, wa-
rum ich nicht gcheirathct habe; mein Freund hatte mir erst
geschrieben, als etwas geschehen war, was meiner Absicht,
Emilien zu hcirathen, unbedingt cntg eg entra t.

Der überlegte Vorwurf.

Gast. „Aber gestern Abend hat der Referendär Crips-
berg so fürchterlich über mich raisonnirt und mich beschimpft;
er hat mich 'n Vieh geheißen w. und so etwas ist doch uner-
hört in öffentlicher Gesellschaft...."

Wirth. „Schauen Sie, Herr Oechsle, er war ja ganz
voll; so etwas können Sie ihm nicht übel nehmen."

Gast. „Erlauben Sie, er hat ja doch ganz vernünftig
gesprochen! —"

Tiefsinn.

Fräulein. „Wie kömmt denn nur daö? Gestern habe
ich die Schuhe erst bekommen und heute sind sie schon zer-
rissen?"

Schuhmacher (nachdenkende Miene machend und den
Finger an die Nase legend). „Ah, Fräulein! ich erspähe de»
Grund. Sie sind jedenfalls darin ausgegangen."
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