Bädeker junior.
bittend. „Sind wir nicht während unseres Urlaubs freie
Männer, die über sich selbst bestimmen können?"
„Nein! wir sind unfrei geworden; das unerbittliche
Schicksal gebietet uns abzureisen."
„Und ich bleibe trotz Deines unerbittlichen Schicksals
ruhig in Teplitz. Nach Salzburg und Throl kommen wir
schon ein ander Mal!"
„Ach! von Salzburg und Throl ist gar keine Rede!"
fuhr der Assessor fort; „wir müssen nach Berlin zurück!"
„Nach Berlin? Gott soll mich behüten!" stieß un-
muthig der Freund aus und zog ungestüm an seinem Schnurr-
barte. „Warum das?"
„Höre, Müller," erwiderte der Assessor mit schelmisch
weicher Stimme; „ich könnte Dir die Ursache mit einem
Worte sagen; aber Rücksicht auf Deine Nerven inachen es
mir zur Pflicht, Dir nur eine leise Andeutung . . ."
„Mensch!" unterbrach ihn der Staatsanwalt; „Du
folterst mich mit Deiner omineusen Einleitung mehr, als
wenn Du kurz und bündig aussprichst, was ich doch einmal
erfahren soll. Heraus mit der Sprache!"
„Nun, Du willst den Kelch auf einmal leeren, den
ich als Freund Dir gern nur tropfenweise beigebracht hätte.
So höre denn: unser Geld ist all."
„Du scherzest! Es war ja für sechs Reisewochen be-
I rechnet!"
„Ja! aber die Rechnung war, wie so oft im Leben,
ohne den Wirth gemacht. Zur Reise hätte es auch wohl aus-
gereicht; aber hier ist theures Pflaster!"
„Aber warum," warf der aus allen seinen Himmeln
I fallende Freund ein, mehr als gewöhnlich an seinem Bärt-
chen zerrend; „hast Du nicht früher schon das Versiegen
unserer Geldmittel angedeutet? das wäre doch Deine Pflicht
als Reisemarschall und Rechnungsführer gewesen!"
„Undankbarer!" rief der Assessor mit schelmischer Em-
phase, „hast Du gar kein Gefühl für meine zarte Rücksichts-
nahme auf Dich? Hätte nicht eine solche Mittheilung Dir
jeden Genuß verkümmert!"
„Aber wir hätten doch nicht so lange in Teplitz zu ver-
weilen brauchen, hätten ..."
„Sprich ehrlich! wärst Du abgereist, so lange wir
Geld hatten zu bleiben?"
„Oder wir hätten unsere Ausgaben beschränken können.
Sieh mal, die täglichen Cavalcaden ..."
„Die den Mädchen so gefielen und bei denen auch Du
immer mit ganzer Seele dabei warst."
„Die vielen kostbaren Soupers..." zerrte der Staats-
anwalt aus seinem Schnauzbarte heraus.
„Erinnerst Du Dich ihrer nicht mit Hochvergnügen?"
„Das ewige Champagnertrinken."
„Wolltest Du, daß wir uns lumpen ließen? und hast
Du ihn je versagt?"
„Die vielen Ständchen_"
„Die Du meistens selbst bestellt hast."
„Die vielen kostbaren Blumensträuße und dergleichen..."
35
„Die Du meistens selbst geholt und verschenkt hast."
„Zwei große Zimmer im ersten Hotel?..."
„Bedenke, wir vertraten Preußen im Auslande!"
„Aber was ist denn da nun zu thun?" fragte der
Staatsanwalt kleinlaut, an dem Barte ziehend.
„Abzurcisen nach Berlin!" antwortete der mitleidlose
Assessor.
„Höre, Otto! könnten wir nicht pumpen? Es wäre
das nicht das erste Mal im Leben."
„Etwa bei Papa Felsing, dem reichen Banquier?"
„Wo denkst Du nur hin!"
„Oder bei dem Gastwirthe?"
„Behüte Gott, bei einem Wirth pumpen, bringt um
allen Credit."
„Na was dann? Hast Du Bekannte hier?"
„Ich! Keine Sterbensseele!"
„Nun ich auch nicht. Also nach Berlin zurück!"
„Meine nächste Gehaltsrate ist erst zum 1. Oktober
fällig, also auf mich können wir nicht rechnen," meinte der
Staatsanwalt nachdenkend und an dem Barte zerrend. „Aber
Du, Otto, könntest an Deinen reichen Vater schreiben. Wo-
zu hat man," fuhr er zögernd fort, „reiche Väter, wenn sie
Einen in der Klemme sitzen lassen wollen? Du könntest an
ihn schreiben."
„Ist längst geschehen!" erwiderte der Assessor lachend
über den Rath seines sonst so gewissenhaften Freundes.
„Aber mein Alter ist in Wiesbaden oder Achen oder sonst
wo zur Kur, und ich weiß nicht, ob man ihm meinen
Schreibebrief nachgeschickt hat."
„Nun, so laß uns unsere Uhren versetzen."
„Die Meinige ist's schon!" lachte der Assessor.
„Hier ist die Meinige!" rief der Staatsanwalt ent-
schlossen, „sie hat mich baare fünfzig Thaler gekostet, sieh
zu, was Du darauf borgen kannst."
„Ein Tropfen auf den heißen Stein! wird gerade aus-
reichen, uns bis Berlin flott zu erhalten."
„O Du bist ein jämmerlicher Reisebegleiter! Weißt
für nichts Rath! Wenn Du Bädeker hießest, ließ ich Dich
in eine schwarze Trauerpappe einbinden ohne Goldschnitt
und Titel! Gute Nacht!" Dabei nahm er den rothen
Bädeker, in welchem er vorhin gelesen, und warf ihn ärger- I
lich mitten in's Zimmer, drehte sich um und that als ob
er einschliefe.
Der Assessor schritt indessen grübelnd im Zimmer auf
und ab und sann und sann, bis er über den am Boden
liegenden Bädeker stolperte. Er nahm ihn auf, warf sich
auf das Sopha und fing an zu lesen. Nach einer Weile
rief er aus: „Ha! es ist zum Sterben mit diesem vielbe-
rühmten Buche! Hat allerlei Reiseregeln, die jeder gewan-
derte Handwerksbursch angebcu kann, zum Beispiel wie man sich
die wundgelaufenen Füße mit Hirschtalg, wenn man nämlich
solchen hat, einschmiert, und so weiter und so weiter! Aber
von Mitteln und Wegen, die erschöpfte Börse neu zu kräf-
tigen, davon kein Sterbenswort: Hol dich der Henker, du
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bittend. „Sind wir nicht während unseres Urlaubs freie
Männer, die über sich selbst bestimmen können?"
„Nein! wir sind unfrei geworden; das unerbittliche
Schicksal gebietet uns abzureisen."
„Und ich bleibe trotz Deines unerbittlichen Schicksals
ruhig in Teplitz. Nach Salzburg und Throl kommen wir
schon ein ander Mal!"
„Ach! von Salzburg und Throl ist gar keine Rede!"
fuhr der Assessor fort; „wir müssen nach Berlin zurück!"
„Nach Berlin? Gott soll mich behüten!" stieß un-
muthig der Freund aus und zog ungestüm an seinem Schnurr-
barte. „Warum das?"
„Höre, Müller," erwiderte der Assessor mit schelmisch
weicher Stimme; „ich könnte Dir die Ursache mit einem
Worte sagen; aber Rücksicht auf Deine Nerven inachen es
mir zur Pflicht, Dir nur eine leise Andeutung . . ."
„Mensch!" unterbrach ihn der Staatsanwalt; „Du
folterst mich mit Deiner omineusen Einleitung mehr, als
wenn Du kurz und bündig aussprichst, was ich doch einmal
erfahren soll. Heraus mit der Sprache!"
„Nun, Du willst den Kelch auf einmal leeren, den
ich als Freund Dir gern nur tropfenweise beigebracht hätte.
So höre denn: unser Geld ist all."
„Du scherzest! Es war ja für sechs Reisewochen be-
I rechnet!"
„Ja! aber die Rechnung war, wie so oft im Leben,
ohne den Wirth gemacht. Zur Reise hätte es auch wohl aus-
gereicht; aber hier ist theures Pflaster!"
„Aber warum," warf der aus allen seinen Himmeln
I fallende Freund ein, mehr als gewöhnlich an seinem Bärt-
chen zerrend; „hast Du nicht früher schon das Versiegen
unserer Geldmittel angedeutet? das wäre doch Deine Pflicht
als Reisemarschall und Rechnungsführer gewesen!"
„Undankbarer!" rief der Assessor mit schelmischer Em-
phase, „hast Du gar kein Gefühl für meine zarte Rücksichts-
nahme auf Dich? Hätte nicht eine solche Mittheilung Dir
jeden Genuß verkümmert!"
„Aber wir hätten doch nicht so lange in Teplitz zu ver-
weilen brauchen, hätten ..."
„Sprich ehrlich! wärst Du abgereist, so lange wir
Geld hatten zu bleiben?"
„Oder wir hätten unsere Ausgaben beschränken können.
Sieh mal, die täglichen Cavalcaden ..."
„Die den Mädchen so gefielen und bei denen auch Du
immer mit ganzer Seele dabei warst."
„Die vielen kostbaren Soupers..." zerrte der Staats-
anwalt aus seinem Schnauzbarte heraus.
„Erinnerst Du Dich ihrer nicht mit Hochvergnügen?"
„Das ewige Champagnertrinken."
„Wolltest Du, daß wir uns lumpen ließen? und hast
Du ihn je versagt?"
„Die vielen Ständchen_"
„Die Du meistens selbst bestellt hast."
„Die vielen kostbaren Blumensträuße und dergleichen..."
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„Die Du meistens selbst geholt und verschenkt hast."
„Zwei große Zimmer im ersten Hotel?..."
„Bedenke, wir vertraten Preußen im Auslande!"
„Aber was ist denn da nun zu thun?" fragte der
Staatsanwalt kleinlaut, an dem Barte ziehend.
„Abzurcisen nach Berlin!" antwortete der mitleidlose
Assessor.
„Höre, Otto! könnten wir nicht pumpen? Es wäre
das nicht das erste Mal im Leben."
„Etwa bei Papa Felsing, dem reichen Banquier?"
„Wo denkst Du nur hin!"
„Oder bei dem Gastwirthe?"
„Behüte Gott, bei einem Wirth pumpen, bringt um
allen Credit."
„Na was dann? Hast Du Bekannte hier?"
„Ich! Keine Sterbensseele!"
„Nun ich auch nicht. Also nach Berlin zurück!"
„Meine nächste Gehaltsrate ist erst zum 1. Oktober
fällig, also auf mich können wir nicht rechnen," meinte der
Staatsanwalt nachdenkend und an dem Barte zerrend. „Aber
Du, Otto, könntest an Deinen reichen Vater schreiben. Wo-
zu hat man," fuhr er zögernd fort, „reiche Väter, wenn sie
Einen in der Klemme sitzen lassen wollen? Du könntest an
ihn schreiben."
„Ist längst geschehen!" erwiderte der Assessor lachend
über den Rath seines sonst so gewissenhaften Freundes.
„Aber mein Alter ist in Wiesbaden oder Achen oder sonst
wo zur Kur, und ich weiß nicht, ob man ihm meinen
Schreibebrief nachgeschickt hat."
„Nun, so laß uns unsere Uhren versetzen."
„Die Meinige ist's schon!" lachte der Assessor.
„Hier ist die Meinige!" rief der Staatsanwalt ent-
schlossen, „sie hat mich baare fünfzig Thaler gekostet, sieh
zu, was Du darauf borgen kannst."
„Ein Tropfen auf den heißen Stein! wird gerade aus-
reichen, uns bis Berlin flott zu erhalten."
„O Du bist ein jämmerlicher Reisebegleiter! Weißt
für nichts Rath! Wenn Du Bädeker hießest, ließ ich Dich
in eine schwarze Trauerpappe einbinden ohne Goldschnitt
und Titel! Gute Nacht!" Dabei nahm er den rothen
Bädeker, in welchem er vorhin gelesen, und warf ihn ärger- I
lich mitten in's Zimmer, drehte sich um und that als ob
er einschliefe.
Der Assessor schritt indessen grübelnd im Zimmer auf
und ab und sann und sann, bis er über den am Boden
liegenden Bädeker stolperte. Er nahm ihn auf, warf sich
auf das Sopha und fing an zu lesen. Nach einer Weile
rief er aus: „Ha! es ist zum Sterben mit diesem vielbe-
rühmten Buche! Hat allerlei Reiseregeln, die jeder gewan-
derte Handwerksbursch angebcu kann, zum Beispiel wie man sich
die wundgelaufenen Füße mit Hirschtalg, wenn man nämlich
solchen hat, einschmiert, und so weiter und so weiter! Aber
von Mitteln und Wegen, die erschöpfte Börse neu zu kräf-
tigen, davon kein Sterbenswort: Hol dich der Henker, du
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