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Peter und Paul.
ahne ihn kleine Ausflüge unternehmen, die aber größtentheils
durch den wirklich eingetroffenen Gewitterregen vereitelt
wurden.
Am Vorabend des Peter- und Paul-Tages hatten Marie
und Anna nur noch ans dem vor dem Thore gelegenen
Blumenhandel die obligaten Bouquets zu besorgen, und in
der Dämmerung machten sie sich auf den Weg. Beide Mäd-
chen waren sich ziemlich ähnlich und sehr hübsch; da sie
außerdem noch gleich gekleidet waren, zogen sie nnwillkührlich
die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden ans sich, und es
war in der That ein recht angenehmer Anblick, diese beiden
harmonischen Mädchengestalten. Die Luft war trotz des
Abends drückend heiß. Marie löste das Band ihres Hutes,
Anna zog das dünne Spitzentuch von ihrer Schulter, und da
es bereits dunkel war, gaben sie sich ungenirt jenem sinnig
reizenden Geplauder hin, welches jungen Mädchenherzen
entströmt, wenn sie sich unbelauscht glauben.
„Ob Wir Wohl nächstes Jahr noch zusammen hier wan-
dern/' meinte Marie.
„Weßhalb denn nicht?"
„Nun sollen wir denn alte Jungfern werden, und uns
' niemals verheirathen? Oder meinst Tn vielleicht, ich merkte
nicht, was Papa und Mama letzthin für Wortwechsel hatten.
Es handelte sich um uns, um unsere Zukunft. Der Vater
meinte, ärmere Mädchen könnten heut zu Tage gar keine
Ansprüche ans eine anständige Versorgung machen, während
Mama in ihrem gutmüthigen Aberglauben steif und fest be-
hauptete, sie habe eine Ahnung, daß ihre Mädchen keinesfalls
sitzen bleiben würden. Du, Anna, was meinst Du, wenn
Papa doch Recht behielte? Wenn wir nach Jahr und Tag
noch immer hier wanderten, mit grauen Zöpfen, abgeblaßten
Wangen, sehnsüchtigen Herzen. Brr! das wäre entsetzlich."
Beide Mädchen lachten herzlich ans, umarmten und
küßten sich auf offner Straße. Ein leichter Windstoß jagte
Marien den Hut vom Kopfe, und wehte ihn eine kleine
Strecke zurück; als sie sich umwandte, erblickte sie, dicht hinter
sich, zwei junge Herren, deren einer rasch nach dem Hute
lief, und ihn mit zuvorkommender Höflichkeit seiner Besitzerin
einhändigte. Marie war bis an die Stirne erröthet und
sprach in einigen Worten ihren verbindlichsten Dank ans.
Drauf schlugen die Mädchen, auffallend still,, ihren Weg
tveiter ein, die Herren folgten in geringer Entfernung.
Mittlerweile hatte Frau Gräfe zum morgigen Tag den
Staat für ihre Töchter zurecht gelegt, dabei öfter nach dem
Abendhimmel gesehen, ab und zu mit der Life das Küchen-
j Programm entworfen, und sich allerhand erfreulichen Vorbe-
deutungen hingegeben. Frau Gräfe wußte ganz wohl, daß
ihre Mädchen recht hübsch seien — bis auf die kleinsten
Details kannte sie ihre Fehler und Vorzüge — Mariens
| weiße Juppe wurde um 2 Zoll höher geschürzt, damit der
j kleine schmale Fuß mehr sichtbar wurde, dagegen war die
- Taille bis an den Hals geschlossen, weil ihre Büste nicht die
! üppigen Formen der jüngern Schwester zeigte. Anna dagegen
. trug einen kleinen Schleier ans dem Hute, damit der weniger
klare Teint nicht allzusehr mit der durchsichtig feinen Haut
Mariens contrastire. So wußte Mama Zollinspectorin über-
all der Natur mit und nachzuhelfen, und als sie sich so
eben beim Befestigen einer Schleife tüchtig in den Finger
stach, ließ sie äußerst befriedigt das Blut fließen, denn dieses
Factum war ja das untrüglichste Zeichen, daß ihre Töchter
morgen zuverlässig „gefallen" würden.
„Du Life, was meinst Du, wird es morgen regnen.
Man kann bei der heutigen Welt schon gar nichts mit Ge-
wißheit annehmen, selbst wenn man die besten Vorbedeu-
tungen hat."
„Ach nein, Frau Zollinspectorin, das regnet dies Jahr-
gar nicht mehr, und wenn wir noch zehnmal Peter und
Paul hätten. Ich gehe auch gar nicht mehr zu Markte,
das kann ja kein Mensch erkaufen, die Theuerung — die
Hitze — der ganze Boden verbrannt, ach Gott erbarm,
das wird wieder einmal eine Hungersnoth. Der Gärtner
sagt, morgen sei der letzte Termin, wenn's morgen nicht
regnet, dann ist's aus. Wenn's aber regnen soll, dann
raucht cs gewöhnlich in meiner Kammer, und heute hat es
erst recht nicht geraucht. Ne, ne, es regnet mein Leben
nicht mehr, die Welt ist zu schlecht, sie lügt und betrügt,
da muß der liebe Gott solch ein Elend schicken, das geht
nicht anders."
Tie Frau Zollinspectorin war durch diese logisch-religiöse j
Betrachtung der Life förmlich überrascht, sah abermals nach
dem Himmel, dessen leuchtende Sterne ein ungewöhnliches
Licht verbreiteten, und gewahrte ihre Töchter, die mit cvlossalcn j
Sträußen bewaffnet soeben in den Hausflur traten. Zwei
Herren waren ihnen gefolgt, blieben einen Moment an der '
Thüre stehen, und entfernten sich bald im lebhaften Gespräch.
„Hol mich der Teufel," sagte der Eine, „die Schlanke,
Zarte, ist das schönste Mädchen in der ganzen Provinz, sie
hat mir ordentlich den Kopf verdreht. Ach was, dummes
Zeug. Unser eins kann solch ein Abentheuer niemals ernst-
lich aufnchmen. Bei Damen, ob sie nun der bessern oder
der Halbwelt angehören, renssirt man nur durch Geld, und
was soll ein armer Assessor mit einem Gehalt von 500 fl.
anfangen? Mein Onkel, ein alter Hagestolz, ist Regierungs-
rath, reich, angesehen, alle seine Schätze fallen mir dereinst
zu. Ja, dereinst; ist dafür eine Zeit bestimmt? Am Ende
überlebt er mich, oder er stirbt, wenn mir aller Genuß am
Leben durch die jetzigen Entbehrungen verbittert ist. Ich
sage Dir, lieber Freund man könnte melancholisch werden,
wenn man solch einem reizenden Mädchen in die Augen ge- j
guckt hat, und sich als ehrlicher Mensch sagen muß: Thu's
nicht wieder, das hat keinen guten Zweck."
„Du bist ein arger' Thor — jeder Zoll ein Assessor.
— Wer wird nach solch einem heitern Abend auf derlei
interessante Begegnungen verzichten?" Nein, das Leben will
genossen sein; was der Augenblick bietet, nimmt man hin, !
ob Freud oder Leid, was kommen muß, das kommt. Unser
Stand, die verschiedene Stellung im Leben, giebt uns auch
verschiedene Ansichten. Als Kaufmann und Speculant setze
Peter und Paul.
ahne ihn kleine Ausflüge unternehmen, die aber größtentheils
durch den wirklich eingetroffenen Gewitterregen vereitelt
wurden.
Am Vorabend des Peter- und Paul-Tages hatten Marie
und Anna nur noch ans dem vor dem Thore gelegenen
Blumenhandel die obligaten Bouquets zu besorgen, und in
der Dämmerung machten sie sich auf den Weg. Beide Mäd-
chen waren sich ziemlich ähnlich und sehr hübsch; da sie
außerdem noch gleich gekleidet waren, zogen sie nnwillkührlich
die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden ans sich, und es
war in der That ein recht angenehmer Anblick, diese beiden
harmonischen Mädchengestalten. Die Luft war trotz des
Abends drückend heiß. Marie löste das Band ihres Hutes,
Anna zog das dünne Spitzentuch von ihrer Schulter, und da
es bereits dunkel war, gaben sie sich ungenirt jenem sinnig
reizenden Geplauder hin, welches jungen Mädchenherzen
entströmt, wenn sie sich unbelauscht glauben.
„Ob Wir Wohl nächstes Jahr noch zusammen hier wan-
dern/' meinte Marie.
„Weßhalb denn nicht?"
„Nun sollen wir denn alte Jungfern werden, und uns
' niemals verheirathen? Oder meinst Tn vielleicht, ich merkte
nicht, was Papa und Mama letzthin für Wortwechsel hatten.
Es handelte sich um uns, um unsere Zukunft. Der Vater
meinte, ärmere Mädchen könnten heut zu Tage gar keine
Ansprüche ans eine anständige Versorgung machen, während
Mama in ihrem gutmüthigen Aberglauben steif und fest be-
hauptete, sie habe eine Ahnung, daß ihre Mädchen keinesfalls
sitzen bleiben würden. Du, Anna, was meinst Du, wenn
Papa doch Recht behielte? Wenn wir nach Jahr und Tag
noch immer hier wanderten, mit grauen Zöpfen, abgeblaßten
Wangen, sehnsüchtigen Herzen. Brr! das wäre entsetzlich."
Beide Mädchen lachten herzlich ans, umarmten und
küßten sich auf offner Straße. Ein leichter Windstoß jagte
Marien den Hut vom Kopfe, und wehte ihn eine kleine
Strecke zurück; als sie sich umwandte, erblickte sie, dicht hinter
sich, zwei junge Herren, deren einer rasch nach dem Hute
lief, und ihn mit zuvorkommender Höflichkeit seiner Besitzerin
einhändigte. Marie war bis an die Stirne erröthet und
sprach in einigen Worten ihren verbindlichsten Dank ans.
Drauf schlugen die Mädchen, auffallend still,, ihren Weg
tveiter ein, die Herren folgten in geringer Entfernung.
Mittlerweile hatte Frau Gräfe zum morgigen Tag den
Staat für ihre Töchter zurecht gelegt, dabei öfter nach dem
Abendhimmel gesehen, ab und zu mit der Life das Küchen-
j Programm entworfen, und sich allerhand erfreulichen Vorbe-
deutungen hingegeben. Frau Gräfe wußte ganz wohl, daß
ihre Mädchen recht hübsch seien — bis auf die kleinsten
Details kannte sie ihre Fehler und Vorzüge — Mariens
| weiße Juppe wurde um 2 Zoll höher geschürzt, damit der
j kleine schmale Fuß mehr sichtbar wurde, dagegen war die
- Taille bis an den Hals geschlossen, weil ihre Büste nicht die
! üppigen Formen der jüngern Schwester zeigte. Anna dagegen
. trug einen kleinen Schleier ans dem Hute, damit der weniger
klare Teint nicht allzusehr mit der durchsichtig feinen Haut
Mariens contrastire. So wußte Mama Zollinspectorin über-
all der Natur mit und nachzuhelfen, und als sie sich so
eben beim Befestigen einer Schleife tüchtig in den Finger
stach, ließ sie äußerst befriedigt das Blut fließen, denn dieses
Factum war ja das untrüglichste Zeichen, daß ihre Töchter
morgen zuverlässig „gefallen" würden.
„Du Life, was meinst Du, wird es morgen regnen.
Man kann bei der heutigen Welt schon gar nichts mit Ge-
wißheit annehmen, selbst wenn man die besten Vorbedeu-
tungen hat."
„Ach nein, Frau Zollinspectorin, das regnet dies Jahr-
gar nicht mehr, und wenn wir noch zehnmal Peter und
Paul hätten. Ich gehe auch gar nicht mehr zu Markte,
das kann ja kein Mensch erkaufen, die Theuerung — die
Hitze — der ganze Boden verbrannt, ach Gott erbarm,
das wird wieder einmal eine Hungersnoth. Der Gärtner
sagt, morgen sei der letzte Termin, wenn's morgen nicht
regnet, dann ist's aus. Wenn's aber regnen soll, dann
raucht cs gewöhnlich in meiner Kammer, und heute hat es
erst recht nicht geraucht. Ne, ne, es regnet mein Leben
nicht mehr, die Welt ist zu schlecht, sie lügt und betrügt,
da muß der liebe Gott solch ein Elend schicken, das geht
nicht anders."
Tie Frau Zollinspectorin war durch diese logisch-religiöse j
Betrachtung der Life förmlich überrascht, sah abermals nach
dem Himmel, dessen leuchtende Sterne ein ungewöhnliches
Licht verbreiteten, und gewahrte ihre Töchter, die mit cvlossalcn j
Sträußen bewaffnet soeben in den Hausflur traten. Zwei
Herren waren ihnen gefolgt, blieben einen Moment an der '
Thüre stehen, und entfernten sich bald im lebhaften Gespräch.
„Hol mich der Teufel," sagte der Eine, „die Schlanke,
Zarte, ist das schönste Mädchen in der ganzen Provinz, sie
hat mir ordentlich den Kopf verdreht. Ach was, dummes
Zeug. Unser eins kann solch ein Abentheuer niemals ernst-
lich aufnchmen. Bei Damen, ob sie nun der bessern oder
der Halbwelt angehören, renssirt man nur durch Geld, und
was soll ein armer Assessor mit einem Gehalt von 500 fl.
anfangen? Mein Onkel, ein alter Hagestolz, ist Regierungs-
rath, reich, angesehen, alle seine Schätze fallen mir dereinst
zu. Ja, dereinst; ist dafür eine Zeit bestimmt? Am Ende
überlebt er mich, oder er stirbt, wenn mir aller Genuß am
Leben durch die jetzigen Entbehrungen verbittert ist. Ich
sage Dir, lieber Freund man könnte melancholisch werden,
wenn man solch einem reizenden Mädchen in die Augen ge- j
guckt hat, und sich als ehrlicher Mensch sagen muß: Thu's
nicht wieder, das hat keinen guten Zweck."
„Du bist ein arger' Thor — jeder Zoll ein Assessor.
— Wer wird nach solch einem heitern Abend auf derlei
interessante Begegnungen verzichten?" Nein, das Leben will
genossen sein; was der Augenblick bietet, nimmt man hin, !
ob Freud oder Leid, was kommen muß, das kommt. Unser
Stand, die verschiedene Stellung im Leben, giebt uns auch
verschiedene Ansichten. Als Kaufmann und Speculant setze