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Peter und

ich heute mein ganzes Vermögen im Geschäftsverkehr auf's
Spiel, so werde ich auch ohne Berechnung dereinst mein
ganzes Leben für die Liebe einsetzcn, und vielleicht als armer
Tropf mit bankerottem Herzen abziehen. Bis dahin aber,
Freundchen, gucke ich allen hiibschen Mädchen in die Augen
und warte ans den Moment, wo mich solch ein Franenblick
sv fest hält, daß ich mich kaum zu rühren vermag. Die
Schlanke mit dem verlorenen Hut hat mir übrigens nicht
so gut gefallen, als die mit den schönen Schultern. Morgen
frage ich nach, wer die Mädchen sind. Am Ende tugendhafte
Nähterinnen, oder zimperliche Pensionärinen. Was thnt's,
sic sind hübsch und das genügt. Du hast morgen keine
Amtsstunden, was hast Tn vor? Fahren wir zusammen nach
dem Wäldchen und suchen nach Abentheuer. Hast Tn Lust?"

„Vormittag habe ich ein unangenehmes Geschäft; ich
soll ans Anregung meines Onkels ein Bittgesuch an die
oberste Behörde um die erledigte Stelle eines Gerichtsrathes
mit eineni Gehalt von 1500 fl. einreichen, um von den
hundert Aspiranten der Nennundneunzigste zu sein, der ab-
schlägig beschieden wird. Das Gesuch muß längstens morgen
Abend nach der Residenz wandern, ich werde also bis 2 Uhr
beschäftigt sein; an Sonn- und Feiertagen speise ich bei
meinem Onkel und da er mir bei Auszahlung der geringen
Zulage jedesmal einen ungeheuren Sermon hält, werde ich
wahrscheinlich erst um 5 Uhr disponibel sein."

„Schön, ich hole Dich ab. Schlaf wohl, verliebter
Assessor, träume süß von ihrem verlorenen Hute, Deinem
verlorenen Herzen und der gefundenen Gerichrsrathsstelle
mit 1500 fl. jährlichem Gehalt. Gute Nacht."

Peter Gräfe nahm die Glückwünsche seiner Töchter und
Familienglieder, im Schlasrock sitzend, äußerst befriedigt hin.
Er liebte in allem eine gewisse Bequemlichkeit, und selbst
diese rührende Scene mußte mit einer Behaglichkeit genossen,
die Thränen nur in bestimmter Anzahl vergossen werden,
sonst >var cs für ihn kein Genuß mehr.

„Schon gut, meine geliebten Kinder," sagte er mit
ergriffener Stimme, „ich danke Euch und Euer guten Mutter
für die Wünsche und Geschenke, möge Gott der Herr Euch
segnen und Euch" — — Hier hielt er inne, er fürchtete
eine zu große Bewegung, küßte die beiden Mädchen auf die
Stirne und sprach, als er sic so blühend vor sich sah, den
väterlichen Wunsch, daß sie doch recht bald an den Mann
kämen, ganz leise vor sich hin.

Zur Feier des Tages machte der Zollinspector keine
Toilette, er blieb trotz der zahlreichen Gratulanten im
Negligöe, und beschloß, wenn die Mädchen ans der Kirche
znrückkehrten, das Programm für den Nachmittag zu ent-
werfen. Das Wetter war schön, kein Lüftchen rührte sich,
der Kalender log, und so sollten Mutter und Tochter sich
ins Freie bewegen, er aber wollte gemüthlich zu Hause blei-
ben und seinen Spielgästen die Honneurs, machen.

Frau Gräfe war mit diesem Projcct zufrieden, nur war
sie schon den ganzen Vormittag in etwas gedrückter Stimmung.

P au l.

Die Life hatte ihr nämlich erzählt, daß sic heute Morgen
beim Aufstehen eine große Spinne gesehen habe, und Spinne
am Morgen bedeute Gram und Sorgen. Da auch der Petcr-
und Paulregen bis Mittag keine Spur blicken ließ, >var in
dem Herzen der guten Frau ein Chaos von Un- und Aber-
glauben entstanden, das sich zur wahren Verzweiflung ver-
wandelte, als Marie mit den Worten: „Mama, ich habe
eine Brieftasche gefunden," ins Zimmer stürzte.

„Mit oder ohne Geld?" frng die geängstigte Mutter,
in deren Deutungsregister eine gefundene volle Brieftasche
das Zeichen gänzlicher Armuth zu bedeuten hatte.

„Das weiß ich nicht, Mama! Ich habe sie noch nicht
geöffnet. Als wir, Anna und ich, aus der Kirche gingen,
fand ich sic auf der Straße, die nach der Post führt, ich
hob sie ans und wartete kurze Zeit, ob niemand darnach
fragen würde. Kein Mensch hat sich gemeldet, und so blieb
! sie in meinen Händen; doch hatte ich nicht den Muth nach
dem Inhalt zu sehen, am Ende ist Geld oder wichtige Pa-
piere drin und da soll Papa alles durchsehen, und der Po-
lizei zur rechtmäßigen Rückerstattung übergeben."

„Laß nun sehen, was drinnen steckt," sagte Anna,
„vielleicht eine reizende Photographie dcS Besitzers, oder ein
Dutzend parfümirter Liebesbriefe, die wir als gute Vorschrift
benutzen könnten, oder ein paar interessante Adressen von —“

„Still Anna," unterbrach Frau Gräfe, „keinen Scherz,
das ist heute ein bedeutungsvoller Tag. Gieb her Marie,
ich will in Gottes Namen öffnen, bevor ich Papa von die-
sem wichtigen Ereigniß unterrichte."

Mit zitternder Hand drückte die Zollinspectorin das
Schloß der geheimnißvollcn Brieftasche los, deren ganzer
Inhalt ans einer Briefmarke und einem mit fertiger Hand
geschriebenen Wäschzettel bestand.

Bald waren die drei Frauen über diesen kostbaren
Fund einig. Marie sollte diese fast inhaltslose Brieftasche,
die nach dem Traumbnche große Reichthümcr zu bedeuten
hatte, vorläufig bei sich behalten, bis sich der Eigenthümer
durch irgend eine Annonce melden ivürde. Tie Marke aber
sei gewiß ein Talisman, die nun und nimmermehr in Ver-
lust gcrathcn dürfe.

Marie besah die Schrift des Wäschzcttcls noch oft und
genau, ehe sie die Brieftasche schloß, und begab sich nicht
ganz befriedigt zum Miltagstisch.

Viele Toaste wurden auf das Wohl des Hausvaters
ausgebracht, und alle vorräthig gefüllten Weinflaschen wur-
den vollständig geleert. Papa Peter war aber so froh und
vergnügt, daß er, von Wein und Wonne berauscht, auf seinem
Stuhle einschlief und erst zum „Spielchen" Ivieder aufmachte.

Marie und Anna hatten beschlossen, mit der Mutter ins
Wäldchen zu promeniren, und erst gegen Abend zum Ge-
sammtsonper zurückzukehren.

(Schluß folgt.)
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