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Praktisch und Ideal.
und das Feierliche des Abschieds war auch unwiderbringlich
dahin. Man lachte, man zeigte sich triumphirend die wieder-
eroberten Gegenstände; selbst die Frau Doktor konnte sich
dcS Lächelns nicht erwehren und sich nicht enthalten, ihrem
Gemahl eine kleine, wenn auch nicht bösgemeinte Strafpredigt
i auf offener Straße zu halten, was die heitere Stimmung
aller Anwesenden noch bedeutend erhöhte. Kurz, der Ernst
des Augenblicks war dahin — und da die beiden jungen Ehe-
männer dies auch fühlen mochten, gaben sie heimlich den
Kutschern einen Wink abzufahren, und fort flogen beide
Wagen nach entgegengesetzten Richtungen dahin mit einer
Geschwindigkeit, daß die beiden jungen Frauen den zurück-
bleibenden Eltern nur noch einen flüchtigen Schcidegruß zu-
winken konnten.
Etwa eine Stunde später verließ die Gesellschaft die
„Fortuna" und zum Nachthcilc der beiden jungen Ehepaare,
die schon zweimal am Hochzeittag miteinander geschmollt,
müssen wir hinzufügen, daß der Doktor und seine Frau, wie
cs einem wackeren Paare geziemt, hübsch ordentlich einander
führten und ohne Unterbrechung sich mit einander unterhielten.
2. Im neuen H aus.
Wir treten vier Wochen später an einem freundlichen
Sommerabend in den Garten ein, welcher sich hinter der
Wohnung Albrechts bcsindet. Die Sonne ist am Untergehen
und es herrscht eine Ruhe in der Natur, die den Glücklichen
so wohlthuend umfängt, da sic ihm ein Bild der Ruhe und
Zufriedenheit des eigenen Herzens wiederspiegelt, die aber den
Unglücklichen seinen Schmerz nur tiefer empfinden läßt, weil
er den schneidenden Gegensatz fühlt, in welchem die Ruhe
und der Friede der ihn umgebenden Natur zu der Zerrissen-
heit deS eigenen Herzens sicht.
ES war ein solcher Abend, an dem Marie, die junge
Gattin des Assessors Albrecht Secfcld aus der Hinterthüre
des Hauses in den Garten trat. Sie trug ein einfaches
Hauskleid, das sie jedoch bester kleidete, als das reichste
Schmuckgewand. Auf dem Kopfe trug sie das niedliche Häub-
chen, das Abzeichen der jungen Frau; ihr blühendes Antlitz
aber war von einem Zug schweren Kummers beschattet. Sie
schritt durch den Hauptgang einer Laube zu, die sich an dem
Ende des Gartens befand. Wenige Schritte vor derselben
blieb sie stehen; sie sah im Garten umher, die Blumen
hatten sich in der Abcndkühle aufgerichtet, kein Windhauch
ging, kein Blatt bewegte sich. Die Ruhe des Abends schien
sie wie Angst zu erfassen; sie preßte beide Hände vor die
Brust, aus ihren Augen drang ein reicher Thräncnstrom,
unter lautem Schluchzen ließ sie sich endlich auf der Bank
in der Laube nieder. Auf dem Tische lag eine offene Brief-
mappe, darin ein kaum angefangcner Brief, der die Auf-
schrift „Meine liebe Mutter" trug. Nachdem Marie sich
wieder etwaö gefaßt hatte, ergriff sie die Feder, um den be-
gonnenen Brief weiter zu schreiben. Schwere Thränentropfcn
fielen einigemal herab auf das Blatt, dem sie die ganze Fülle
ihres Leidens anvertraute, öfters setzte sie ab und legte die
Feder nieder, trocknete die von Thränen überströmenden Augen,
bis sie damit zu Stande kam, den Brief zu beenden. Sic
wollte ihn eben zusammenfalten — als die Thüre des Hauses
aufging und Albrecht Scefcld, der Gatte Mariens, mit
schnellen Schritten in den Garten trat und der Laube zu-
eilte. Kaum bemerkte die junge Frau den nahenden Gatten,
als sie schnell den Brief zusammenknitterte, um ihn den Blicken
ihres Gemahls zu entziehen. Allein es war zu spät; dieser
hatte den Brief bereits bemerkt und dessen Inhalt wohl halb
und halb ahnend, sagte er mit einer Stimme, welche die
innere Aufregung nur schlecht verbarg:
„An wen hast Du geschrieben, Marie?"
Die junge Frau erwiderte Nichts.
„An wen hast Du geschrieben?" wiederholte Albrecht.
Marie erwiderte abermals Nichts.
„Du hast Geheimnisse vor mir," sagte Albrecht auf-
geregt, „Du beförderst damit nur die traurige Mißstimm-
ung, die uns von dem ersten Tage unserer Ehe unglücklich
machte."
„Es ist nicht meine Schuld, Albrecht, daß Du durch
mich nicht glücklich geworden bist." sagte Marie tiefbekümmert,
indem sie einen schmerzlichen Blick auf das zürnende Antlitz
des jungen Gemahls warf.
„Das erwiderst Du stets," fuhr Albrecht fort; „allein
ich habe nie bei Dir wahrgenommcn, daß Du Dir auch nur
die geringste Mühe gegeben, meinen Wünschen nachzukommen."
„Ich kann nicht, Albrecht," sagte die junge Frau, indem
sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust entwand.
„Nein, Du willst nicht," rief der junge Mann immer >
aufgeregter werdend, „Du bist eine zu egoistische Natur, als >
daß Du mir zu Liebe auch nur die kleinste Deiner Eigen-
thümlichkeiten, die mir zur grenzenlosen Qual werden, auf-
zugeben oder nur zu mildern vermagst."
„Albrecht!" sagte das junge Weib, den Gemahl bittend
anschend.
„Nein, Du mußt es hören und immer wieder neu
hören," fuhr dieser leidenschaftlich fort. „Du weißt, daß ich
nichts mehr hasse, als diese einseitige Hingabe an die
prosaischen Pflichten der Hausfrau; dahin geht Dein ganzes
Sorgen, Dichten und Denken. Es ist schrecklich, wenn eine
Frau für gar nichts Anderes Sinn hat!"
„Ich kann nicht anders sein, Albrecht," sagte die junge
Frau, leise weinend.
„Warum nicht?" begann Albrecht wieder. „Es bedarf
nur einer kleinen Selbstüberwindung — und wir könnten die
schönsten Stunden mit einander feiern, wir könnten täglich die
Abende mit Musik und anregender Lektüre hinbringen, aber
statt dessen sinnst Du den ganzen Abend über den Küchen- !
zcttcl für den folgenden Tag nach."
„Du bist hart gegen mich, sehr hart," erwiderte Marie
mit lautem Schluchzen.
„Deine ganze Bibliothek besteht außer den Stunden der
Andacht nur aus ein paar Dutzend Kochbüchern," sagte Albrecht
mit bitterer Ironie.
Praktisch und Ideal.
und das Feierliche des Abschieds war auch unwiderbringlich
dahin. Man lachte, man zeigte sich triumphirend die wieder-
eroberten Gegenstände; selbst die Frau Doktor konnte sich
dcS Lächelns nicht erwehren und sich nicht enthalten, ihrem
Gemahl eine kleine, wenn auch nicht bösgemeinte Strafpredigt
i auf offener Straße zu halten, was die heitere Stimmung
aller Anwesenden noch bedeutend erhöhte. Kurz, der Ernst
des Augenblicks war dahin — und da die beiden jungen Ehe-
männer dies auch fühlen mochten, gaben sie heimlich den
Kutschern einen Wink abzufahren, und fort flogen beide
Wagen nach entgegengesetzten Richtungen dahin mit einer
Geschwindigkeit, daß die beiden jungen Frauen den zurück-
bleibenden Eltern nur noch einen flüchtigen Schcidegruß zu-
winken konnten.
Etwa eine Stunde später verließ die Gesellschaft die
„Fortuna" und zum Nachthcilc der beiden jungen Ehepaare,
die schon zweimal am Hochzeittag miteinander geschmollt,
müssen wir hinzufügen, daß der Doktor und seine Frau, wie
cs einem wackeren Paare geziemt, hübsch ordentlich einander
führten und ohne Unterbrechung sich mit einander unterhielten.
2. Im neuen H aus.
Wir treten vier Wochen später an einem freundlichen
Sommerabend in den Garten ein, welcher sich hinter der
Wohnung Albrechts bcsindet. Die Sonne ist am Untergehen
und es herrscht eine Ruhe in der Natur, die den Glücklichen
so wohlthuend umfängt, da sic ihm ein Bild der Ruhe und
Zufriedenheit des eigenen Herzens wiederspiegelt, die aber den
Unglücklichen seinen Schmerz nur tiefer empfinden läßt, weil
er den schneidenden Gegensatz fühlt, in welchem die Ruhe
und der Friede der ihn umgebenden Natur zu der Zerrissen-
heit deS eigenen Herzens sicht.
ES war ein solcher Abend, an dem Marie, die junge
Gattin des Assessors Albrecht Secfcld aus der Hinterthüre
des Hauses in den Garten trat. Sie trug ein einfaches
Hauskleid, das sie jedoch bester kleidete, als das reichste
Schmuckgewand. Auf dem Kopfe trug sie das niedliche Häub-
chen, das Abzeichen der jungen Frau; ihr blühendes Antlitz
aber war von einem Zug schweren Kummers beschattet. Sie
schritt durch den Hauptgang einer Laube zu, die sich an dem
Ende des Gartens befand. Wenige Schritte vor derselben
blieb sie stehen; sie sah im Garten umher, die Blumen
hatten sich in der Abcndkühle aufgerichtet, kein Windhauch
ging, kein Blatt bewegte sich. Die Ruhe des Abends schien
sie wie Angst zu erfassen; sie preßte beide Hände vor die
Brust, aus ihren Augen drang ein reicher Thräncnstrom,
unter lautem Schluchzen ließ sie sich endlich auf der Bank
in der Laube nieder. Auf dem Tische lag eine offene Brief-
mappe, darin ein kaum angefangcner Brief, der die Auf-
schrift „Meine liebe Mutter" trug. Nachdem Marie sich
wieder etwaö gefaßt hatte, ergriff sie die Feder, um den be-
gonnenen Brief weiter zu schreiben. Schwere Thränentropfcn
fielen einigemal herab auf das Blatt, dem sie die ganze Fülle
ihres Leidens anvertraute, öfters setzte sie ab und legte die
Feder nieder, trocknete die von Thränen überströmenden Augen,
bis sie damit zu Stande kam, den Brief zu beenden. Sic
wollte ihn eben zusammenfalten — als die Thüre des Hauses
aufging und Albrecht Scefcld, der Gatte Mariens, mit
schnellen Schritten in den Garten trat und der Laube zu-
eilte. Kaum bemerkte die junge Frau den nahenden Gatten,
als sie schnell den Brief zusammenknitterte, um ihn den Blicken
ihres Gemahls zu entziehen. Allein es war zu spät; dieser
hatte den Brief bereits bemerkt und dessen Inhalt wohl halb
und halb ahnend, sagte er mit einer Stimme, welche die
innere Aufregung nur schlecht verbarg:
„An wen hast Du geschrieben, Marie?"
Die junge Frau erwiderte Nichts.
„An wen hast Du geschrieben?" wiederholte Albrecht.
Marie erwiderte abermals Nichts.
„Du hast Geheimnisse vor mir," sagte Albrecht auf-
geregt, „Du beförderst damit nur die traurige Mißstimm-
ung, die uns von dem ersten Tage unserer Ehe unglücklich
machte."
„Es ist nicht meine Schuld, Albrecht, daß Du durch
mich nicht glücklich geworden bist." sagte Marie tiefbekümmert,
indem sie einen schmerzlichen Blick auf das zürnende Antlitz
des jungen Gemahls warf.
„Das erwiderst Du stets," fuhr Albrecht fort; „allein
ich habe nie bei Dir wahrgenommcn, daß Du Dir auch nur
die geringste Mühe gegeben, meinen Wünschen nachzukommen."
„Ich kann nicht, Albrecht," sagte die junge Frau, indem
sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust entwand.
„Nein, Du willst nicht," rief der junge Mann immer >
aufgeregter werdend, „Du bist eine zu egoistische Natur, als >
daß Du mir zu Liebe auch nur die kleinste Deiner Eigen-
thümlichkeiten, die mir zur grenzenlosen Qual werden, auf-
zugeben oder nur zu mildern vermagst."
„Albrecht!" sagte das junge Weib, den Gemahl bittend
anschend.
„Nein, Du mußt es hören und immer wieder neu
hören," fuhr dieser leidenschaftlich fort. „Du weißt, daß ich
nichts mehr hasse, als diese einseitige Hingabe an die
prosaischen Pflichten der Hausfrau; dahin geht Dein ganzes
Sorgen, Dichten und Denken. Es ist schrecklich, wenn eine
Frau für gar nichts Anderes Sinn hat!"
„Ich kann nicht anders sein, Albrecht," sagte die junge
Frau, leise weinend.
„Warum nicht?" begann Albrecht wieder. „Es bedarf
nur einer kleinen Selbstüberwindung — und wir könnten die
schönsten Stunden mit einander feiern, wir könnten täglich die
Abende mit Musik und anregender Lektüre hinbringen, aber
statt dessen sinnst Du den ganzen Abend über den Küchen- !
zcttcl für den folgenden Tag nach."
„Du bist hart gegen mich, sehr hart," erwiderte Marie
mit lautem Schluchzen.
„Deine ganze Bibliothek besteht außer den Stunden der
Andacht nur aus ein paar Dutzend Kochbüchern," sagte Albrecht
mit bitterer Ironie.