Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34

Eine glückliche Familien-Vereinigung.

In meiner Jugend habe ich öfters einen gloriosen Durst
gehabt, ohne ein Schlückchen Wein ihn zu stillen, eine nicht
gerade beneidcnswerthe Situation, aber doch noch erträglicher
als die des reichen Engländers Lord Pimpelton, der den
schönsten Wein im Keller, aber — keinen Durst hatte. Noch
übler erging's dem Helden unserer Geschichte, dem Stadtrath
Mutzbacher, der Beides, einen famosen Durst in der Kehle
und einen reichen Vorrath capitalcn Weins im Keller hatte,
aber — nicht trinken durfte. Nun war nicht etwa sein Haus-
arzt und Hausfreund, vr. Hausmeyer, so grausam gewesen,
ihm vorkommenden Falles einen Labetrunk zu verwehren, denn
der hatte an sich selbst genugsam erfahren, wie wohlthätig ein
Glas guten Gewächses auf die Verdauung und auf die ganze
Muskel- und Nerventhätigkeit der Menschen einwirkt. Aber
es gibt in jedem geordneten Hauswesen eine Obermedicinal-
behördc, die alles zur physischen Ernährung der Familien-
glieder Erforderliche regelt und deren Naturalverpflegung mit
dictatorischer Machtvollkommenheit überwacht und bestimmt,
das ist — die Hausfrau. Frau Mutzbacher hatte nun eine
ganze Reihe nach ihrer Art vortrefflicher Gründe, auf die ge-
stützt, sie ihrem Ehemanne den täglichen Genuß des Weines
versagen zu müssen glaubte. „Erstens," sagte sie ihm bei
vorkommenden Gelegenheiten, „der Wein ist Dir bei Deiner
sitzenden Lebensweise an sich nicht dienlich und würde Dir
früher oder später einen Schlagfluß zuziehen."

„O nein! Riekchen," erwiderte er dann wohl, „er macht
das Blut frischer und fröhlicher circuliren und befördert über-
dem die Verdauung."

„Gut!" versetzte sie dann jedesmal, „ich werde Dir
künftig nur leichte Speisen vorsehen, die ein Kind von sechs
Jahren vertragen kann und die des Weins zur Verdauung
nicht bedürfen."

HcrrMuhbacher seufzte leise in sich hinein, wenn er an
die Milchsuppen dachte, die seine Frau so liebte.

„Zweitens," fuhr sie fort, „schickt sich das auch nicht
für ein bürgerliches Hauswesen, täglich Wein auf dem Tische
zu haben. Das ist unleidliche Schwelgerei. Trink' Wasser,
wenn Dich durstet."

„O, das Wasser, das Wasicr!" seufzte er dagegen; „es
löscht keinen Durst und — schmeckt nicht."

„Larifari!" entgegnete sie dann, „wenn der liebe Gott
den Wein vom Himmel herunterregncn und in Bächen und
Strömen über die weite Erde fließen und aus Quellen und
Brunnen emporsteigen, das Wasser dagegen mühsam auf
Reben wachsen ließe, da würdet ihr Männer auch keinen Wein
trinken mögen und sagen: ach, der Wein! der Wein! er
löscht keinen Durst und schmeckt nicht, und würdet nach Wasser
verlangen, blos weil es seltener wäre."

„Glaubst Du wirklich, Riekchen?"

„Ja, so wär's! Ich kenn' Euch. Und drittens ist es
auch gegen Gottes Gebot, täglich Wein zu trinken."

„Wie so denn das?" opponirtc hier Her-r Mutzbacher
zum ersten Male etwas lebhafter. „Bedenke doch, es steht ja aus-
drücklich in der Schrift: der Wein erfreut des Menschen Herz!"

„Ja, sie sagt aber: wenn er mäßig genossen wird," fügte
sie siegreich hinzu, „und weiter: Wein und Most machen den
Menschen dumm."

„Hältst Du den vr. Hausmeyer für einen dummen
Mann? Ja? Und der trinkt täglich seinen Schoppen und
manchmal auch zwei."

„Nun, er ist wenigstens nicht klüger wie andere Leute
und hat also nichts davon. Wenn Gott gewollt hätte, daß
die Menschen täglich Wein trinken sollten, dann hätt' er sicher-
lich besser dafür gesorgt und ihn nicht mühsam auf Reben
wachsen lassen. Der Wein macht sich rar, also soll er auch
nur selten genossen werden. Ueberdem," und nun erst rückte j
sie mit ihrem hauptsächlichsten Grunde hervor, „wie bald
würde es mit unserem schönen Vorrathe zu Ende gehen, wenn
wir nach Deinen Gelüsten davon gebrauchen sollten."

„Nun, so stell' ihn meinetwegen wie andere Dinger zum
Anschauen auf Deinen Nipptisch!" sagte er ärgerlich.

„Auf meinen Nipptisch? Ja! das wäre Dir eben recht,
damit Du stündlich davon nippen könntest, bis er ausgenippt
wäre. Nein! er bleibt, wo er ist und es bleibt, wie's bis-
her war. Sonntags eine Flasche für die ganze Familie und
an hohen Festtagen vielleicht anderthalb, Punktum!"

Damit endete gewöhnlich jedes derartige Gespräch, nur
daß Herr Mutzbacher noch leise für sich hinzufügte: „Schon
gut! wir kennen einander. Ist doch Leiter nichts als Geiz,
trotz aller Redensarten von Gottesordnung und Schlagfluß!"

Frau Mutzbacher hielt also den Weinvorrath unter eigenem
Verschluß und gab den Kellerschlüssel unter keinem Vorwände
aus der Hand. War sie als oberste Hausgöttin an sich schon
wohlbefugt dazu, so glaubte sich auch ihr Mann um so mehr
in diese Grille seiner Frau fügen zu müssen, als der ganze,
ansehnliche Weinvorrath aus der Erbschaft ihres seligen Vaters,
des weiland Gasthofsbcsitzers Kreidemaier, stammte, also ihr
alleiniges Eigenthum war.

So ging denn das eine Zeitlang so hin. Mutzbacher
hatte Durst und Wein und seine Frau hatte den Schlüssel
dazu. Aber zu ihrem größten Aergerniß, daß ich nicht sage
Schrecken, bemerkte Letztere eines Tages, als sie, was sie
von Zeit zu Zeit einmal that, die Flaschen im Keller zählte,
daß eine nicht geringe Anzahl daran fehlte. Wer konnte der
Dieb sein? Sie zerbrach sich den Kopf darüber, ließ aber ge-
raume Zeit verstreichen, ehe sie ihrem Manne Mittheilung
davon machte; denn sie sah schon im Geiste seine Erwider-
ungen darauf voraus. Und es kam auch gerade so, wie sie
es vermuthet. „Siehst Du nun," sagte er ärgerlich, „was
Du davon hast, Deinen Weinvorrath wie ein Drache einen
verborgenen Schatz zu bewachen? Nun saufen Andere den
Wein und Dein armer Mann kann sich die Seele aus dem
Leibe dürsten. So muß es kommen!"

„Aber," fuhr sie zu klagen fort, „wenn ich doch nur
wüßte, wer der infame Spitzbube ist und wie er zu dem
Weine hat gelangen können!"

„Vermuthlich durch's Kellerloch!" entgegnete er kurz.

„Ach! das ist ja viel zu eng. Da kann Niemand durch."
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen