118 Der zerissene Rock.
Er sprach: „Vom vielgespalt'nen Wesen
Soll Euer Rock durch mich genesen.
Nicht Hab' ich etwa Zwirn im Sack,
Denn das ist nur für Schneiderpack;
Großartig, flott ist mein Verfahren,
Das sollt Ihr bald mit Lust gewahren.
Nur nicht gemuckt! Schaut's ruhig an;
In zwei Minuten ist's gethan."
Wo er die erste Spalte sah,
Gleich war er mit acht Fingern da
Und zog nun schnarrend eine Strecke
Bis zu des nächsten Risses Ecke
Und hat so strammer Weis' geschafft,
Bis wo die letzte Lücke klafft.
Nun sieht man an zwei mürben Strängen
Das Kleid noch kaum zusammenhängen.
Er aber hebt es stolz empor
Und ruft den Leuten hell in's Ohr:
„Ihr seht, mein Wirken strahlt im Glanz,
Ter Rock ist so zu sagen ganz;
Er hat, das läßt sich nicht verneinen,
Statt zwanzig Risse, jetzt nur einen!" —
Gewiß, wie's hier im Bild gescheh'n,
Seht Jhr's mit mancher Einheit geh'n. reb.
Wiener Briefe des Herrn Graf aus Pirna.
Vierter Brief.
Gelibte Fettcrn, Mumcn, Danten, Onkels, liebe Anver-
wandten u. s. w.
Es sind nun schon wieder einigte Tage vergangen, wo
ich euch mit meinen letzten Briefe abfertigen that und seit
diese Zeit ist uns hier so viel basirt und so viel Neies durch
die Köbfe herumgegangen, daß ich das Meiste gans vergessen
habe, weshalb ich dieses auch lieber weglassen will, was ich
nicht mehr weis.
Ehe wir aber von die verschiedenen Abcndeier und Ver-
guiglichkeiten der letzten Tage sbrechen, müssen wir wohl lieber
mit die Haubtsache anfangen und dieses ist bei so einen Feste
eicheutlich blos nur das Schiefen, obgleich auch sehr viele so-
genannte Schitzenbrider mit hierhergekommen sind, welche troz
ihren Schitzenhute nebst darauf befindlicher Festkarte doch in
ihr ganses Leben noch gar kein Bulfer nicht gerochen haben
oder hechstens etwa Zahnbulfer, welches man aber freilich
nicht unter die feiergefehrlichten Schieswaffen rechnen thut.
Also, liebe Anverwandten u. s. w., wenn ihr euch vor
ein bischen furchtbares Knallen mit seinen fortwchrendcn Ge-
donnern und Gekrache nicht firchtct, so wollen wir sogleich
miteinander in den Schiesstand auf den Fcstblatze treten und
ein baar Schüsse in das Schwarze versuchen.
Aber da ihr doch alle, namentlich was besonders die
Mumen und Dantens sind, von die edle Schitzenkunst so
Wiener Briefe des Herrn Graf aus Pirna.
viel als wie gar nichts nicht versteht, so will ich euch lieber
vorher davon eine gans genaue sogenannte geschichtlichte Be- !
schreibung machen, welche mein Freund Kohle zugleich mit
iluhsteriren thut.
Die Schitzenkunst rihrt schon aus die allerültesten Zeiten
her und man kann mit ihr bis so vielleicht ein Sticker
zwansig bis dreisig Jahre nach Erschaffung der Welt zurück- !
gehen. Adam aber ist doch wohl so ziemlich gans gewiß
noch kein Schitzenbruder nicht gewesen, weil zu einen Schitzen-
bruder nothwendigtcr Weise allemal mehrere Versöhnen ge-
hören, als wie zum Beisbiel allerwenigstens noch ein soge-
nannter Zieler, welcher Einen stets nach den losgeschossenen
Schus hinten auf die Scheibe anzeigcn thut, ob man etwas
getroffen hat oder blos daneben. Da nun
aber Adam noch gans einsam und alleine
sich in das Baradis befand und kein Zieler
nicht da war, so konnte er auch kein Mit-
glied von keinen Schitzenbunde nicht sein.
Hingegen jedoch schon nur wenige Jahre
sbäter findet man in die Weltgeschichten
die deitlichsten Andeitungen, daß sich auch
schon Schitzengesellschaften bildeten. Da es
nun aber damals noch keine Schiesgewehre
gab, so nahmen sie blos Steine, wodamit
sie aus große Endfernung nach ihre Ziele
warfen oder schleidern thaten. Weil nun
hierdazu die Munizion umsonst auf den Erd-
boden lag und nichts nicht kostete, so war
dieses gewiß ein sehr billigtes Vergingen.
Es gehörte aber auch dazu schon grose
Geschicklichkeit und gab es namentlich aus
die sogenannte v er besserte Steinschlei-
dcr sehr hervorragende Schitzen. Als erster
Steinschleiderschitzenkönig war besonders der
kleine Schäfer David beriemt, welcher auf
den ersten Wurf auf sechshundert Schritt
Endfernung den bekannten grausamen Niesen
Kohliath durch ein Loch mitten in die Stirne
sein Lebenslicht ausblasen that.
Aber schon um dieselbigte Zeit gab es
außer die Steinschlciderschitzen noch Lanzen-
schmeiserschitzen, zu welche leztcre Sorte mehr
die vornehme Welt oder sogenannte Hohdi- i
wohlöh gehören that. Der alte König Saul
ist als Schitzeuhaubtmann von die Lanzeu-
schmeiser noch heitzutage sehr bekannt, weil
er sogar in seine Verblendung und über-
triebene Schitzenleidcnschastlichkcit mit seinen
scharfen Sbiese nach den vorhin genannten
David schleidern that. Zum größten Glicke
aber war David sehr klein und bot des-
halb so wenig Zielbunkt dar, so daß Saul
daneben traf.
Wie nun die ganse Menschlichkeit auf
Er sprach: „Vom vielgespalt'nen Wesen
Soll Euer Rock durch mich genesen.
Nicht Hab' ich etwa Zwirn im Sack,
Denn das ist nur für Schneiderpack;
Großartig, flott ist mein Verfahren,
Das sollt Ihr bald mit Lust gewahren.
Nur nicht gemuckt! Schaut's ruhig an;
In zwei Minuten ist's gethan."
Wo er die erste Spalte sah,
Gleich war er mit acht Fingern da
Und zog nun schnarrend eine Strecke
Bis zu des nächsten Risses Ecke
Und hat so strammer Weis' geschafft,
Bis wo die letzte Lücke klafft.
Nun sieht man an zwei mürben Strängen
Das Kleid noch kaum zusammenhängen.
Er aber hebt es stolz empor
Und ruft den Leuten hell in's Ohr:
„Ihr seht, mein Wirken strahlt im Glanz,
Ter Rock ist so zu sagen ganz;
Er hat, das läßt sich nicht verneinen,
Statt zwanzig Risse, jetzt nur einen!" —
Gewiß, wie's hier im Bild gescheh'n,
Seht Jhr's mit mancher Einheit geh'n. reb.
Wiener Briefe des Herrn Graf aus Pirna.
Vierter Brief.
Gelibte Fettcrn, Mumcn, Danten, Onkels, liebe Anver-
wandten u. s. w.
Es sind nun schon wieder einigte Tage vergangen, wo
ich euch mit meinen letzten Briefe abfertigen that und seit
diese Zeit ist uns hier so viel basirt und so viel Neies durch
die Köbfe herumgegangen, daß ich das Meiste gans vergessen
habe, weshalb ich dieses auch lieber weglassen will, was ich
nicht mehr weis.
Ehe wir aber von die verschiedenen Abcndeier und Ver-
guiglichkeiten der letzten Tage sbrechen, müssen wir wohl lieber
mit die Haubtsache anfangen und dieses ist bei so einen Feste
eicheutlich blos nur das Schiefen, obgleich auch sehr viele so-
genannte Schitzenbrider mit hierhergekommen sind, welche troz
ihren Schitzenhute nebst darauf befindlicher Festkarte doch in
ihr ganses Leben noch gar kein Bulfer nicht gerochen haben
oder hechstens etwa Zahnbulfer, welches man aber freilich
nicht unter die feiergefehrlichten Schieswaffen rechnen thut.
Also, liebe Anverwandten u. s. w., wenn ihr euch vor
ein bischen furchtbares Knallen mit seinen fortwchrendcn Ge-
donnern und Gekrache nicht firchtct, so wollen wir sogleich
miteinander in den Schiesstand auf den Fcstblatze treten und
ein baar Schüsse in das Schwarze versuchen.
Aber da ihr doch alle, namentlich was besonders die
Mumen und Dantens sind, von die edle Schitzenkunst so
Wiener Briefe des Herrn Graf aus Pirna.
viel als wie gar nichts nicht versteht, so will ich euch lieber
vorher davon eine gans genaue sogenannte geschichtlichte Be- !
schreibung machen, welche mein Freund Kohle zugleich mit
iluhsteriren thut.
Die Schitzenkunst rihrt schon aus die allerültesten Zeiten
her und man kann mit ihr bis so vielleicht ein Sticker
zwansig bis dreisig Jahre nach Erschaffung der Welt zurück- !
gehen. Adam aber ist doch wohl so ziemlich gans gewiß
noch kein Schitzenbruder nicht gewesen, weil zu einen Schitzen-
bruder nothwendigtcr Weise allemal mehrere Versöhnen ge-
hören, als wie zum Beisbiel allerwenigstens noch ein soge-
nannter Zieler, welcher Einen stets nach den losgeschossenen
Schus hinten auf die Scheibe anzeigcn thut, ob man etwas
getroffen hat oder blos daneben. Da nun
aber Adam noch gans einsam und alleine
sich in das Baradis befand und kein Zieler
nicht da war, so konnte er auch kein Mit-
glied von keinen Schitzenbunde nicht sein.
Hingegen jedoch schon nur wenige Jahre
sbäter findet man in die Weltgeschichten
die deitlichsten Andeitungen, daß sich auch
schon Schitzengesellschaften bildeten. Da es
nun aber damals noch keine Schiesgewehre
gab, so nahmen sie blos Steine, wodamit
sie aus große Endfernung nach ihre Ziele
warfen oder schleidern thaten. Weil nun
hierdazu die Munizion umsonst auf den Erd-
boden lag und nichts nicht kostete, so war
dieses gewiß ein sehr billigtes Vergingen.
Es gehörte aber auch dazu schon grose
Geschicklichkeit und gab es namentlich aus
die sogenannte v er besserte Steinschlei-
dcr sehr hervorragende Schitzen. Als erster
Steinschleiderschitzenkönig war besonders der
kleine Schäfer David beriemt, welcher auf
den ersten Wurf auf sechshundert Schritt
Endfernung den bekannten grausamen Niesen
Kohliath durch ein Loch mitten in die Stirne
sein Lebenslicht ausblasen that.
Aber schon um dieselbigte Zeit gab es
außer die Steinschlciderschitzen noch Lanzen-
schmeiserschitzen, zu welche leztcre Sorte mehr
die vornehme Welt oder sogenannte Hohdi- i
wohlöh gehören that. Der alte König Saul
ist als Schitzeuhaubtmann von die Lanzeu-
schmeiser noch heitzutage sehr bekannt, weil
er sogar in seine Verblendung und über-
triebene Schitzenleidcnschastlichkcit mit seinen
scharfen Sbiese nach den vorhin genannten
David schleidern that. Zum größten Glicke
aber war David sehr klein und bot des-
halb so wenig Zielbunkt dar, so daß Saul
daneben traf.
Wie nun die ganse Menschlichkeit auf
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wiener Briefe des Herrn Graf aus Pirna"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Goliath <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 49.1868, Nr. 1213, S. 118
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg