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Fliegende Blätter — 54.1871 (Nr. 1329-1354)

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Nr. 1330
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https://doi.org/10.11588/diglit.4928#0015
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Die Junker auf dem Schwalbcnhofe

zuschreiben, so muß ich mit dem letzten Willensakte meines , von mir unverändert und heilig gehalten.

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seligen Vaters beginnen. Und da ich dcßhalb aus dem Ehren-
schreine meines Gemaches das köstliche und mir so thcure Per-
gament hervornahm, enthub ich auch dem Kästlein, darin es

Da lag der Greis
und ließ mich rufen und sprach zu mir: „Dein guter Vater
hat mich beauftragt, dann erst, wenn Du mündig geworden
bist und dieses Schloß, das ich seither für Dich verwaltete,

lag, zwei güldene kostbare Halsketten, von einem gar kunstfer- j selbst übernehmen wirst, Dir das Gehcimniß seines Lebens in

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tigcn Nürnberger Goldschmiede gemacht. Ich lasse ihre zier
lichen Glieder durch meine Finger gleiten und bewundere sie
zum Hundertstenmale — und fürwahr — eine Thrüne sinket
hernieder aus meinem Auge auf die Geschmeide. Es sind zwei
Prunkketten aus Gold, deren Enden eine Schwalbe mit Schnabel
und Krallen zusammenhält. Im Wappen unserer Ahnen ist ja
die Schwalbe zu schauen, das Sinnbild der Anhänglichkeit an
die Heimath. Tie Geschichte dieser Ketten ist wundersam. Ich
will dieselbe nicht mit meinen eigenen Worten geben, so lange
in der väterlichen Urkunde sie thcilwcisc enthalten ist. Um aber
aus diese selbst zu kommen, beginne ich meine Lebcnsgeschichte.

Meine Kinderzeit war mutterlos. Hier im Edelsitze lebte
ich, ein Knabe von ungefähr drei Jahren, mit meinem Vater
und dessen Bruder. Der Vater mußte oft nach Nürnberg hin-
ein in Raths- und Kriegsgeschüften. Er war ein ernster, ja
tranervoller Mann. Mir war säst der Oheim lieber, der mir
schöne Märchen erzählte und mich Steine und Kräuter kennen
lernte. Der Oheim lag der Naturkunde ob. Deutlich erinnere
ich mich, daß er mittels Krücken ging, schon als ich noch Knabe
war. Das war um das Jahr 1629. Da kamen viele Kriegs-
völker vorüber und war ein stetes Kämpfen und arge Noth im
Lande. Mein Vater war mondenlang nicht am Schwalbenhofe
und lag draußen mit den Truppen, um von Nürnberg die
Feinde abzuhaltcn. Es verflossen so an sechzehn Jahre in Kricges-
ungemach; die Schweden kamen und mit ihnen das Uebermaß
des Leidens. Ich aber ward ein kräftiger Jüngling, lernte
ritterliche Künste und hielt mich viel und gerne zu Nürnberg
auf — denn ich liebte drinnen ein sittiges Mägdlein. Weilte
ich aber aus dem Schwalbenhofe, so unterhielt ich mich am
liebsten mit meinem Oheime. Dieser arme Greis, von Jahr
zu Jahr des Gehens unfähiger, trieb eifrig in seinem Stuhle
die Wissenschaften und lehrte mich mancherlei schöne Kunde.
Ueber den Grund seines körperlichen Elendes aber schwieg er
mir. Da war es eines Tages, daß mein lieber Vater zum
Sterben kam. Er, der groß und kräftig gebaute Kriegsmann,
erlag einem inneren, geheimen Leiden, welches der kundige Bru-
der längst erkannt hatte. In seinen letzten Tagen schrieb mein
Vater dasjenige nieder, was ich alsbald in meiner Chronik
cinzufügcn haben werde. Und auf dem Sterbebette, an wel-
chem ich weinend kniete, gab er das vollgcschriebcnc Pergament
und ein verschlossenes, zierlich aus Holz geschnitztes Kästlein
meinem Oheime, leise mit ihm sprechend. Mich segnend und
einen Namen auf den Lippen, den ich später erst aus dem
Pergamente selbst kennen lernte, von dem Munde des Sterben-
den jedoch nicht mehr deutlich vernahm — so starb mein Vater.

Erst zwei Jahre darauf, mein Alter war auf einundzwanzig
Jahre gestiegen, da wurde mir Alles enthüllt. Es kam näm-
lich auch mein Oheim zum Sterben. Drüben wnr's im rothen
Thurme, wo noch jetzt des Oheims Laboratorium sich befindet,

einer von ihm hinterlassenen Chronik anzuvertrauen.

Und cs übergab mir der sterbende Oheim mit schwacher
Hand das Pergament, dessen ich schon erwähnte, und jenes Käst-
chen, welches heule wieder vor mir steht. In dem lag nun eine ;
der beiden güldenen Ketten mit der Schwalbe, von welchen Ge-
schmeiden ich oben berichtete. Und der sterbende Oheim sprach:
„Du wirst auch in Deines Vaters Aufzeichnungen über mich
manche Kunde finden. Ich war einst jung wie Du und sprang
wie ein Füllen. Dann kamen ernste Jahre. Ein Mägdlein,
das ich liebte, verrieth mich und vermählte sich mit meinem
Nebenbuhler. Doch genoß sie ihres Glückes nicht lange und
starb. Ich freite niemals wieder und suchte meinen Trost in
der Erforschung der Natur. Einsam lebte ich hier mit Deinem
Vater. Da kam eine wilde Wallonentruppe aus's Schloß.
Näheres lies in des Vaters Chronik. Ein Wallonenfähnrich
ließ mir die Kniesehnen durchhauen — ich ward ein Krüppel
und mußte das Gräßlichste erdulden — die Ehre Deines Vaters
schänden lassen! Was Dir in meiner Rede dunkel ist, wirst
Du bald verstehen. Leb' wohl, Heinrich, es geht mit mir zu
Ende. Sei glücklicher mit Deiner blonden Mechthild, des Kauf-
herrn Werner zu Nürnberg Töchterlein, als Dein Vater mit —"
und seufzend verschied er.

Ich aber begann noch in jener Nacht die hinterlasscne
Schrift meines Vaters zu lesen. Wer von meinen Nachkommen
an dieser Stelle meiner Chronik angelangt ist, der wende nun
sein Auge auf die beigeheftete Schrift meines lieben Vaters."

Dieser Anordnung folgte auch ich, der Gastfrcund des
jungen Ehepaares, und ich gebe das Schriftstück ohne wesent-
liche Kürzung.

„Geschrieben auf dem Schwalbcnhofe bei Nürnberg im Jahre
1645 an Loptomdris zehntem Tage.

Mein theurcr Sohn Heinrich! Es ist kein Testament in
dem Sinne, wie es die Rcchtsgelehrtcn verstehen, was ich Dir
mit diesem Pergamente hinterlassen will. Du, mein einziger
Sohn, bist mein Erbe vor Gott und Welt. Es ist diese Schrift
ein väterliches Vcrmüchtniß an Dich, damit Du, wenn Dein
Geist gereift ist, völlig klar werdest über Dinge, die Dir bis-
her verhüllt waren. Ich trug viel Gram und Leid an die
zwanzig Jahre verschlossen in meinem Herzen. Die Welt wußte
wohl davon, was mir widerfahren, aber ich suchte bei ihr, der
falschen, keinen Trost, den sucht' ich mir im Gebete und in —
Verzeihung.

(Fortsetzung folgt.)

Auslösung des Rebus in voriger Nummer.

Leichter Tischwein.

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