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Fliegende Blätter — 55.1871 (Nr. 1355-1380)

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Nr. 1368
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https://doi.org/10.11588/diglit.4929#0111
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Das Rendez-vous.

so hell und lustig, daß schon dieses Lachen jeder unbefangenen
Frau ein Beweis seiner Unschuld gewesen wäre.

„Der Brief ist nicht an mich gerichtet," sagte er.

„Guten Morgen, Jenny!"

„Nicht au Dich?" fuhr die junge Frau leidenschaftlich
auf. „Tort liegt das Couvert, jetzt leugne noch, wenn Du
es kannst."

„Süße Jenny!"

„Ich wiederhole Dir —"

„Papchen will Zucker haben!"

„Dieses Geschrei ist unerträglich! Trügt das Couvert nicht
Deine Adresse?"

„Freilich."

„Nun wohl, da haben wir's ja!"

„Sei vernünftig, Kind, ich gebe Dir mein Ehrenwort."

„Danke, wer die Ehre in den Staub tritt, dessen Ehren-
wort ist keinen Heller Werth."

„Jenny, Du beleidigst mich!"

„Nicht so sehr, wie Du mich beleidigst."

„Ich sage Dir, es ist eine Mystifikation, ein schlechter
Witz, den vielleicht ein Freund sich erlaubt hat, um Dich eifer-
süchtig zu machen."

Jenny blieb stehen, ihr zornglühender Blick ruhte durch-
bohrend auf dem jungen Manne, der vergeblich dieses Räthsel
i zu lösen versuchte.

„Du hast Geistesgegenwart," spottete sie, „aber Du soll-
{ test doch bedenken, daß solche Scherze kein Mann von Ehre sich
erlaubt. Und ich kann nicht denken, daß einer Deiner Freunde
so ehr- und gedankenlos sein könne!"

„Süße Jenny!"

„Ich werde es untersuchen," erwiderte Oskar, „übrigens
kann Jeder sehen, daß dieß keine Frauenhandschrift ist."

„Nun, wer das nicht sieht, der muß blind sein!"

„Im Gegentheile —"

„Ich mag mit Dir nicht streiten, mir ist die Sache sehr
j klar; ich weiß, was ich zu thun habe."

„Darf ich es nicht auch wissen?" fragte Oskar, dem jetzt
die Galle in's Blut stieg.

„Die Antwort kannst Du selbst Dir geben. Unter solchen
I Verhältnissen muß ich vorziehen, zu meinen Eltern zurückzukehren."

„Jenny!"

„Guten Morgen, Jenny!"

„Den Vogel kannst Du behalten, ich —"

„Jenny, könntest Du wirklich mich verlassen?" fragte der
junge Mann betroffen.

„Du zwingst mich dazu."

„Dein vorschnelles und gänzlich unbegründetes Urtheil —"

„Ah, jetzt trage Ich wohl die Schuld?"

„Kind, sei doch ruhig, das Mißverständniß wird sich auf-
klären!"

„Natürlich, Du wirst heute Abend hingehen —

„Ja, das werde ich."

„Siehst Du? O, es ist entsetzlich! Dann wird der Person
bedeutet, sie möge nicht noch einmal schreiben, wenigstens Sorge

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tragen, daß der Brief nicht in meine Hände fallen könne. Und
einer solchen Person werde ich geopfert!"

Oskar stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Teppich.
„Du solltest mich besser kennen!" sagte er zürnend.

„Die Männer lernt man erst nach der Hochzeit kennen."

„Mein Charakter, meine Liebe —"

„Deine Liebe ist eitel Lüge!"

„Süße Jenny!"

„Jenny, das Wart hättest Du nicht sagen sollen, ein
hartes verletzendes Wort ist rasch gesagt, die Reue kann cs
nicht ungesprochen machen. Ich werde heute Abend hingehen
und die Sache untersuchen, wehe der Person, welche mich an
der Ecke der Friedrichstraße erwartet!"

Die junge Frau zuckte die Achseln, als ob sie sagen wolle,
sie wisse nur zu gut, welchen Werth sie aus diese Drohung
legen dürfe, dann verließ sie das Zimmer.

Oskar schritt lange nachdenklich auf uud ab. Er war sich
keiner Schuld bewußt, es erbitterte ihn, daß sein Weibchen ihn
einer solchen Untreue fähig halten konnte.

Die Vermuthung, daß es ein schlechter Scherz sei, verlor
auch ihren Halt, Oskar fand unter seinen Freunden und Be-
kannten keinen, den er einer solchen Niederträchtigkeit fähig hal-
ten konnte.

Er blätterte lange im Buche seiner Erinnerung, aber er
fand kein Blatt in ihm, welches ihm einen Haltpunkt geboten
hätte. Von leichtsinnigen Sünden, vor seiner Hochzeit begangen,
konnte er sich nicht freisprechen, aber er hatte nie Verbindlich-
keiten für die Zukunft übernommen. Das Räthsel wurde immer
dunkler und verworrener, aus diesem Labyrinth führte kein
Ariadne-Faden hinaus.

Er war entschlossen, sich an der „bewußten" Ecke cinzu-
finden, aber er war auch überzeugt, daß er dort Niemanden
finden würde.

Denselben Entschluß faßte Jenny. Sic wollte Gewißheit
haben, um ihren Gatten überführen zu können, aus der Ferne
wollte sie ihn beobachten und je nach den Umständen zwischen
ihn und „die Person" treten.

Das Stubenmädchen wünschte an diesem Abend einen Aus- j
gang zu machen, Jenny war verstimmt und verweigerte ihr die
Erlaubniß.

Beim Mittagessen waren die Gatten schweigsam, Oskar
versuchte ein Gespräch anzuknüpfen, aber er erhielt keine Ant-
wort. Nach Tisch zog die junge Frau sich in ihr Boudoir
zurück, Oskar blieb mit seinen Gedanken, seinem Zorne, seinen
Vermuthungen und Rachegedanken allein.

Endlich dämmerte der Abend, den der junge Mann mit
fieberhafter Ungeduld erwartet hatte.

Oskar nahm seinen Hut und eilte zu der „bewußten"
Ecke. Er war entschlossen, hier stehen zu bleiben bis Mitter-
nacht, um Gewißheit zu erhalten; er war ferner entschlossen,
die Person, welche zu dem Rendez-vous erschien, der Polizei-
behörde zu übergeben. Aber Niemand zeigte sich.

Es schlug sieben, acht Uhr, Oskar wanderte noch immer
an der Ecke auf und ab.

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