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Fliegende Blätter — 55.1871 (Nr. 1355-1380)

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Ein Jrrthum.

essnntcn Waffensammlung und den Wallenstein'schen Reliquien
beschäftigte, durchstöberte Goethe die Mineraliensammlung und
die Bibliothek, und übersetzte das lateinische Distichon, welches
der berühmte oder vielmehr der berüchtigte Casanova, der Biblio-
thekar des Schlosses, seinem Bilde beigesetzt hat, und das den
galanten Memoirenschreiber im Alter so brillant charakterisirt:
Altera nunc rerum facies, me quero, nec adsum:

Non sum qui fueram, non putor esse, fui.

Anders sieht es jetzt aus; ich suche mich, kann mich nicht finden;
Der ich einst war, bin ich nicht, gelte auch nichts mehr: ich war!

Nach Tische fuhren die Herren nach dem Kloster Ossegg,
dem reichsten Prälatensitze Böhmens, mit seiner pompösen Kirche,
seinem prächtigen Parke und seinen wohlgenährten Cisterzienscr-
mönchen. Einen der letzteren fanden sie bei der „schönen Aus-
sicht" mit der ivichtigen Aufgabe der nachmittäglichen Verdau-
ung beschäftigt. Der „große Heide" ließ sich mit dem frommen
Herrn in ein Gespräch ein und wußte dasselbe unvermerkt auf
die neuere deutsche Literatur zu lenken. Pater Cyprian erwies
sich zum großen Gaudium Pfuels als ein abgesagter Feind
Gocthe's, dem er alles Mögliche Böse nachsagte, und Goethe
bemühte sich, ihn in diesen Anschauungen auf's Kräftigste zu
unterstützen. Als er jedoch merkte, daß Pfuel d'rauf und d'ran
war, losznplatzen, verabschiedete er sich rasch von dem Pater
und eilte mit Pfuel den Laubengang hinab nach dem Parkthore.
Draußen angelangt brachen die alten Herren in ein schallendes
Gelächter aus.

„Herr Jott, habe ich mir amüsirt!" rief Herr von Pfuel,
indem ihm die hellen Thrünen über die Backen liefen. „Der
Spaß war nicht mit Jold zu bezahlen. Noch fünf Minuten
länger und ich bekam Krämpfe!" Mit ungeminderter Heiterkeit
bestiegen Beide ihren Wagen und fuhren hinüber nach Klostergrab
verhängnißvolleu Angedenkens. Von dort ging es nach Kulm
und Bilin, und es war bereits halb neun Uhr Abends, als
sic in der rosigsten Laune wieder nach Teplitz zurückkehrten.

„Ein köstlicher Tag!" sagte Herr von Pfuel, als er sich
beim Herrenbade von Goethe verabschiedete. „Ich habe mich
niemals besser unterhalten als heute! Schlafen Sie wohl, Je-
heimrath! Morgen nach dem Bade komme ich, um mir den
versprochenen Schlüssel zum Rüthsel unseres charmanten Aus-
flugs zu holen!"

„Er soll Ihnen nicht vorenthalten werden," erwiderte
Goethe mit Humor. „Gute Nacht!"

Damit trat er in den Thorweg des Herrenbades.

Als Herr von Pfuel sich am folgenden Morgen einstellte,
fand er Goethe beim Frühstücke. Ter Olympier von Weimar
schob einen Stuhl herbei und füllte eine Tasse für seinen Gast.
Dabei machte er ein ganz eigenthümliches Gesicht, halb ärger-
lich und halb komisch zu gleicher Zeit.

„Na, nu!" sagte Pfuel, indem er sich setzte und einen
prüfenden Blick auf Goethe richtete. „Unsere Partie von jestern
ist Ihnen doch wohl bekommen, Jeheimrath?"

„O, vortrefflich. Aber, a propos, wie sagt doch der
Berliner, wenn Jemand sich recht derb getäuscht hat?"

„Tüchtig 'rinjefallcn!" versetzte Pfuel.

„Nun wohl, ich bin gestern auch einmal tüchtig 'rinjefallen,"
sagte Goethe. „Wissen Sie, warum ich Sie entführt hatte?
Gestern war mein Geburtstag, und diesen wollte ich nicht in
Teplitz zubringen."

„Alle Wetter!" rief Pfuel, „der achtundzwanzigste Aujust!
Und ich habe es auch janz und jar vergessen. Nun ich gra-
tulire nachträglich!" Damit reichte er Goethe über den Kaffce-
tisch hinweg die Hand.

„Danke bestens," sagte dieser, die gebotene Hand schüt-
telnd. „Doch nun zu meiner Geschichte. Ich hasse alle diese
lästigen officiellen Gratulationen und wollte ihnen deßhalb ent-
gehen, um so mehr, als ich vermuthete, mein freundlicher Wirth
beabsichtige, mir eine Art von Ovation in seinem Hause zu
bereiten. Ich hatte vorgestern vom Fenster aus bemerkt, daß
man im Garten allerlei Vorbereitungen zu einer Illumination
traf. Auch ein großes Transparent wurde herbeigeschafft. Darum
machte ich mich mit Ihnen aus dem Staube!"

„Nun, und was weiter?" fragte Pfuel gespannt.

„Nun, denken Sic sich, was mir passirt!" fuhr Goethe
verlegen lächelnd fort. „Es war fast neun Ul>r, als wir gestern
zurückkehrten. Ich durfte also annehmen, daß ich die gutgemeinte
aber unbequeme Huldigung gründlich vereitelt hatte. Wie ich
die Treppe hinaufgehe, stürzt mir jedoch mein Wirth, feierlich '
herausgeputzt mit den Worten entgegen: „Aber Excellenz, nein, j
das hätten Sie mir doch nicht aNthun sollen! Wir hatten uns
alle so sehr darauf gefreut! Nein, das war wirklich nicht recht!
Nun müssen Sie aber mitkommen oder ich rufe die ganze Ge-
sellschaft zu Hilfe!"

„Also doch gefangen!" rief Pfuel. „Geschieht Ihnen
schon recht!"

„Warten Sie nur, die Geschichte ist noch'nicht aus," '
versetzte Goethe, um dessen Mundwinkel es zuckte. „Was
sollte ich thun? Ohne meinen Wirth geradezu vor den Kopf i
zu stoßen, konnte ich nicht mehr zurück. Ich ließ mich also in
Gottes Namen von ihm nach dem Garten schleppen. Als wir
eintraten, rief mein enthusiastischer Wirth der Gesellschaft zu:
„Hier bringe ich den Herrn Geheimrath! Einen Tusch für j
Seine Excellenz!" Das Badesextett stimmt einen Tusch an,
die Herren im Garten rufen Hoch und im Triumphe geleitet
man mich zu der großen illuminirten Laube, in deren Hinter- !
gründe sich ein mannshohes Transparent befindet."

„Ihr Bild!" rief Pfuel. „Natürlich!"

„Ja, Prosit die Mahlzeit!" rief Goethe laut auflachend.
„Das Transparentbild war — ein riesiges Schwein!"

„Wie? Was?" schrie Pfuel, „das ist ja unmöglich!"

„Doch, doch!" sagte Goethe, „ich bin wirklich ganz ent-
setzlich „'ringefallen." Die Festvorbereitungen galten nämlich
durchaus nicht mir, wie ich in meiner Eitelkeit geglaubt hatte,
sondern dem Entdecker der Teplitzer Heilquellen. Da nun der
Teplitzer Quellenfinder ein Schwein war, so ist es gewiß nur
billig, daß die dankbare Stadt am Jahrestage des großen Er- j
eignisses das Portrait ihres Wohlthäters illuminirt. An meinen j
Geburtstag, der zufällig mit dem Vorabende des großen Tags
zusammenfällt, hat keine Seele gedacht!"

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