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Fliegende Blätter — 55.1871 (Nr. 1355-1380)

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Nr. 1375
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https://doi.org/10.11588/diglit.4929#0167
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Die Weihnachtsglocken.

Wolkenbank sich aufthürmen wolle, sie schauten Tag für Tag I
vergebens. Je zuweilen stieg wohl am Vormittag hie und da i
ein Wölkchen auf, und langsam bedeckte sich der Himmel und
Aller Augen schauten in banger Hoffnung empor, und wenn
brünstige Erwartung und ein unsäglich' Verlangen Macht besäße
über Wind und Wetter, so hätte der ersehnte Regen hernieder-
rauschen müssen, aber immer war es. als wäre das Gewölk
nur heraufgezogen, um den Beklommenen und Verzagten die
ganze Trostlosigkeit der Dinge nach eitler Hoffnung und Er-
wartung noch tiefer empfinden zu lassen, denn nach und nach
waren die Wolken wieder hinweggezehrt, und beim Niedergang
der Sonne stand der Himmel wieder weit hinauf mit gelbem
Licht erfüllt, und der Nacht zahllose Sterne schauten nieder auf
die Erde mit ihren schmachtenden Wiesen und lechzenden Feldern.

So gingen Wochen dahin und wurden Monate und immer
versengender brannte die glühende Sonne nieder auf das stau-
bige Erdreich, und die Herzen wollten verschmachten in der Gluth
der Sonne und in der Gluth der Sorge und Angst. Tie
Mühle oben im Dorfe, an deren unermüdet Klappern sich Aller
Ohren in langen Jahren gewöhnt, stand still, denn bis auf
den Grund hinab war der Mühlteich versiegt, dürr und ver-
sengt stand daS Schilf und die braunen, trocknen Blätter der
Wasserlilien und all' der Teichpflauzen knisterten zerbröckelnd,
wenn einer der Buben des Müllers trockenen Fußes über den
sengend heißen, rissigen und staubtrockenen Schlamm des früheren
Teichgrundes dahinging. In der unsäglichen Dürre blieb selbst
der kühle Than des Morgens und Abends ans, das letzte spär-
liche Labsal der schmachtenden Fluren.

Anfangs, als ein Morgen nach dem anderen heiß und
trocken emporstieg, hatte wohl hie und da ein Nachbar dem
anderen kopfschüttelnd zugerufen: „Jetzt möcht's aber bald ein-
mal regnen, sonst kann's schlimm werden!" Bald war die
Klage über die entsetzliche Dürre der einzige Gegenstand aller
Gespräche. „Wcnn's nun nicht bald regnet, ist Alles verloren!"
so hieß es. und endlich war auch das Klagen verstummt, und
das sehnsuchtsvolle Erwarten hatte aufgchört. Nothreif stand das
dünne Getreide und schon vor St. Johannis gingen die Leute
hinaus im unsäglichen Sonnenbrand zur Ernte. Auf der Tenne
aber zeigte cs sich, wie Sorge und Angst nicht umsonst gewesen:
der Ertrag der Ernte war ein trostlos spärlicher. Da stieg der
Preis des Kornes in furchtbarer Weise um das neunfache des
früheren Werthes, und schon jetzt trat an viele verzagte Herzen
die Frage: „Was werden wir essen?" ein entsetzlich Gespenst
mit hohlem, stieren Blick heran.

Da fiel in all' dies; Bangen und Aengsten am Donnerstag
nach Kreuz-Erhöhung von drüben her eine feindliche Horde ein,
um die Stadt zu berennen, und wenn der Falkenberger mit seiner
wüsten Schaar dießmal auch die Hütten der Dorfbewohner nicht
mit Feuer anstoßen ließ, so mußten die Schutzlosen solche Gunst
doch durch unsägliche, schier unerschwingliche Opfer erkaufen.
Die spärlich gefüllten Scheuern wurden geleert, ans den Ställen
das wenige abgezehrte Vieh geraubt und Manches verwüstet i
und verderbt in frcvlcni Mnthwillen, und als endlich die wilde
Schaar abzog, nachdem die Stadt sich, gelösct mit schwerem !

LC>:}

I (Selbe, wie sah es in den Häusern des Dorfes so öde und leer

i aus, und wie hoffnungslos in den Scheunen und Ställen und
vor den Geplünderten und Beraubten lag der nahrungslose
Winter! Es war aber, als ob in dieseni unheilvollen Jahre
eine den Menschen feindliche Macht über Wind und Wetter ge-
biete: denn bald nach St. Galli begann ein unablässiger Regen
herabzuströmen, als sollte nun, viel zu spät, das im Sommer
Versäumte nachgeholt werden. Rasch kühlte sich die Luft ab
unter dem fortwährenden Rege», immer kälter wurden die Tage,
bald mischten sich große Schneeflocken in den Regen, und schon
war es kein Regen mehr, der hinabfiel, sondern ein rastlos
Wimmeln und Drehen und Aufnndniederfliegen der Flocken und
der Schnee blieb liegen auf dem ansgekälteten Boden und be-
deckte Feld und Flur und alle Wege und die Dächer der Häuser
und häufte sich ans jedem Sims und auf den Aesten der Bäume,
und wo nur immer sich eine Fläche darbot. Zn Martini aber
lagen die Gefilde eingehüllt in die schneeige Einsamkeit des
Winters so tief, wie es in anderen Jahren oft zu Weihnachten
nicht der Fall war. Die nahrnngslose Zeit war da. früher
als es die bange Sorge gefürchtet, jeglicher Verkehr war ge-
hindert, in den niedrigen Stuben saßen die Bekümmerten um
den Ofen und immer hohläugiger, immer gespenstischer trat i
jene Frage: „Was werden wir essen?" in die Hütten ein und
starrte den rathlosen Hausvater an auf Antwort wartend, und
war keine Antwort zu finden. „Was werden wir essen? heut'?
was morgen? was in den kommenden Tagen? den kommenden
Wochen? was in der ganzen langen, langen Winterszeit?" so
fragte es überall her, aus jedem Winkel der leeren Scheune,
aus jeder Ecke des verödeten Stalles, aus den kläglichen Mienen
der Kinder, die in sehnsüchtigem Verlangen nach dem Vater, der
Mutter hinüberblickten, während sie sich fröstelnd in dem nie völlig
gestillten Hunger an die warmen Kacheln des Ofens schmiegten.

Männer, Weiber und Kinder schleppten sich durch den ■!
tiefen Schnee zitternd vor grimmiger Külte mit immer kraft-
loseren Gliedern in die Stadt hinein und baten und flehten
dort bei Gott und allen Heiligen um ein wenig Arbeit für ein
paar Bissen Brod, oder standen erstarrt in stumpfer Geduld
vor den Thoren des Klosters der Minderbrüder und vor den !
Thüren des Väter- und des Kreuzhofes harrend, bis der Bruder
Küchenmeister herauskam und verzagt den Kopf schüttelte beim
Blick auf die Unzahl der Begehrenden, für welche nirgends hin-
reichte, was er heransbrachte. Die Thiere des Waldes kamen,
jegliche Scheu vergessend, in die Dörfer hinein, bei den Hütten
der Menschen Nahrung suchend, und Mancher, dem des Hungers
Nagen den Schlaf von den müden Augen scheuchte, hörte des
Nachts das Heulen der Wölfe, die von wilder Gier getrieben
die Wohnungen der Menschen umschlichen. Eine aus der Stadt
heimkehrende Kinderschaar war von dm Bestien in ihrer rasen- '
den Gier angefallen und mitten aus dem schreienden und in
Angst und Entsetzen zerstäubenden Haufen war eines der Kinder i
von den Wolfen gepackt und zerrissen worden.

(Fortsetzung folgt)

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