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Fliegende Blätter — 58.1873 (Nr. 1433-1458)

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Nr. 1448
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https://doi.org/10.11588/diglit.4933#0126
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122

Und Er w

die Hintertreppe hinauf und auf einem kleinen Umweg dem
hinteren Zimmer zu, van wo aus man auf die Tribüne treten
und unbemerkt über den ganzen Saal hin den Blick senden
konnte. Hinter der großen Baßgeige faßte er Posto.

Da tanzt er der Doppelgänger. Wie er schnauft! Er
weht sich Luft zu mit dem Sacktuch. Der Mensch scheint keine
Tour auszülassen und tanzt sich wahrhaftig die Schwindsucht an
die Lungen. Nun ist der Walzer aus. Galant — eifrig
plaudernd, lachend und zum Lachen ansteckend, führt er seine
Tänzerin — es ist die Braut — wie die andern auch im
Reigen unter ihm vorbei.

Welche frappante, sinnebethörende Aehnlichkeit! Hätte er
nicht mit eigenen Augen, mit eigenen Ohren sich überzeugt,
daß Sommer zu Hause liege, dieser Winter müßte sein
Sommer sein.

Der Manrer-Contrebassist, ein Heimtücker, der auf Gnaden
Herrn Inspektor schon deßhälb nicht sonderlich gut zu sprechen
war, weil derselbe an seinem Conto immer strich und strich,
und dem vielleicht dessen ewiges Hinübergucken über sein
Schulterblatt lästig sein mochte, stellte mit einemmal sein In-
strument auf die andere Seite — und sieh, da stand nun der
Hintermann offen vor Aller Augen. Wie aber seine Er-
scheinung sonst auf Alle den Eindruck knechtischer Furcht machte,
wurde sie jetzt die Veranlassung zum schallendsten Gelächter.

Herr Sommer schritt mit .der Hochzeiterin am Arm
ungesäumt auf ihn los.

„Das ist schön", sagte er, „daß Sie wieder gekommen
sind; wir meinten schon, es hätte Sie der Unmuth über alle
Berge hinaus getrieben. Auf cerevis! wär' uns nicht recht
gewesen, wenn nur eine Seele dieses urfidele Fest rappel-
köpfisch verlassen hätte. Und daß Sie ja nicht die Grill' in
den Kopf sich setzen, wir Hütten auf Sie noch so eine kleine

>ar's doch!

Pique von wegen der vorigen voreiligen Geschichte, so trete
ich Ihnen mit Einwilligung meiner lieben Tänzerin und des
Herrn Bräutigams den nächsten Galopp ab."

„Ja, freilich Toni, mußt Du dem Herrn Inspektor die
Ehre geben", sagte der Hochzeiter.

Das war ein neuer Schlag.

Er ... . tanzen! Er .... der Feind, der Wächter,
der Tyrann, wenn seine Leute darauf betroffen wurden, — welch
ein Exempel! Welche Consequenzen! Was wird die hohe Stelle
sagen? O, wäre er Agoston, der große Zauberer! eine
Million für sein Verschwinden, und müßte er sie, wie jener
> Carl Moor, mit Gefahr seines Lebens einem König stehlen.

Es half Nichts. Flink hatte die Braut seinen Arm
gefaßt. Er stotterte: daß er steif, gerädert, zerstoßen sei.
Er sagte nicht, warum, als ihn theilnehmend Herr Sommer
fragte. Die Hand auf dem Herzen und die Schweißtropfen
auf der Stirne betheuerte er, daß er überhaupt nicht tanzen
könne. Doch der Contrebassist strafte ihn Lügen, er hätte
ihm selber ausgemacht, — „wissen Sie, vor drei Jahren, wie der
König auf Besuch da war, und die Beamten und die Bürger
einen großen Festball gaben. O, Gnad'n Herr Inspektor
tanzen gar nicht übel. Der König hat Sie ja selber darüber
aufgezogen!"

Nun galt keine Ausrede mehr. Wäre auch der größte
Schimpf gewesen, wenn einmal eine Braut den Tanz ange-
tragcn, ihn grundlos zu verschmähen. Der Inspektor kannte
seine Leute; gutwillig und gelenkig in allem Andern, aber derb
und rücksichtslos, wenn es galt, einen Schimpf quitt zu machen.

Die Musikanten machten auf.

War das eine wilde Fanfare! Ein Tschintaratara und
Triangelgeschlag! Ein Gcpfiff und Geblas'! und Äiump . . .
rumprump fuhr es über die Baßgeige, als ob die strickdicken
Saiten nur dicßmal und dann nie wieder Dienst machen müßten.
Jedem kam es in die Füße, so zwar, daß es in dem kleinen
Kreis, in dem sich die Paare wälzten, an ein Dritteln und
Treten und Stoßen und Purzeln ging, dem auch der gestrenge
Herr Inspektor nicht entrinnen konnte.

Nachdem endlich dieses Bacchanale ausgetobt hatte, machte
sich auch augenblicklich der gefeierte Gast aus dem Staub. Er
drückte sich in den Herrenvcrschlag hinab, restaurirte sich und
fuhr gegen Morgen langsam, Tritt um Tritt, den Kopf
hängend, wie sein Gaul — heimwärts.

Noch denselben Tag ging es wie ein Lauffeuer durch die
ganze Stadt: „Der Herr Inspektor war auf der Hochzeit, hat
sogar — getanzt!" Am nächsten Tag hielt der Neuvermählte
Wirth seinen Wirthshaus-Gästen, wie es ortsüblich, eine kleine
Nachhochzeit.

Da haben wir's. Huaiw rsx talis grex!

Bis auf einen — Herr Sommer mußte von den Fatiguen
ausschlafen — waren alle Grenzjäger zugegen.

Ihr Herr aber schloß sich drei Tage ein, ließ keine Seele
vor sich, und wie er am vierten Tage zum Erstenmal wieder
über die Schwelle trat, war der erste Mensch, der ihm begegnete,
Herr Sommer.
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"Und Er war's doch!"
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München

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