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durch die Welt. Gute Menschen standen mir- freundlich bei.
Nun Hab ich das Gymnasium hinter mir und wie ich schrift-
lich Nachweisen kann, mit gutem Erfolge. Im kommenden Semester
geht es dann auf die Universität. Zunächst aber trat ich vor
einigen Tagen meine lustige Ferienreise an in das Haus eines
Jugendfreundes."
„Und kann dieser Reiseplan nicht mehr geändert werden?
Ist der Freund davon schon avisirt? Werden Sie erwartet?"
„Nein", sagte ich, „meine Ankunft soll eine Ucbcrrasch-
ung sein."
„Nun denn, junger Mann," sprach der Alte, „so lade
ich Sie ein, uns zu lieb Ihre Marschrichtung umzukehren,
und uns auf unser Landgut zu begleiten. Wir kehren eben von
einer Badereise dahin zurück. Topp, eingeschlagen!"
Ich gab meine Hand darauf. Das alte Mütterchen war in-
dessen längst erwacht, und hatte mit allen Zeichen des Wohlwollens
der Unterredung gehorcht. Bald saß ich bei der Familie im be-
quemen Wagen und wir fuhren der gastlichen Behausung entgegen.
In dem gemüthlichen Alten lernte ich den längstquiescir-
tcn und jubilirten kaiserlichen Rath und Präsidenten des obersten
Gerichtshofes kennen. Er hieß Forstner und lebte schon seit
mehreren Jahren von Wien entfernt. Die Familie brachte
Sommer und Winter auf ihrem Landsitze zu, welcher in einer
reizenden Gegend an der Grenze zwischen Mähren und Oester-
reich gelegen war. Ich wurde gar bald mit sämmtlichen Personen
des kleinen häuslichen Kreises vertraut. Besonders hatte mich
Großmüttcrchen in's Herz geschlossen von dem Augenblick an,
da sie vernommen, daß ich elternlos sei. Sie hatte selbst so
schmerzliche Verluste erfahren, Sohn und Enkelin und die beiden
Gatten derselben verloren und Hulda allein war ihr übrig ge-
blieben. Deßwegen empfand sie desto eher Theilnahme für mich.
Das der Familie gehörige große und prächtige Haus war
nach dem Vornamen des alten Herrn „Maximiliansruhe" ge-
nannt. Hinter derselben dehnte sich ein weiter Obst- und
Blumengarten aus, am Ende desselben sah man die spiegelklarc
Fläche eines kleinen Teiches vor sich liegen.
Eine Hügelkette, die sich gegen Norden erhob, schützte die
Behausung vor dem ersten Anprall rauher Winde. Von den
Fenstern übersah man weit das fruchtbare Land.
Die sämmtlichen Gemächer waren freundlich und hell und
wenn auch etwas altmodisch, so doch mit Comfort und Eleganz
und sehr wohnlich eingerichtet. Alles darin zeigte von Geschmack,
Wohlhabenheit, ja selbst Rcichthum der Bewohner.
Wenn ich auch noch mehrere hundert Jahre auf der Erd-
kugel zubriugcn müßte, so würde mir jener erste mchrwöchent-
liche Aufenthalt auf Maximiliausruhe dennoch immer unvergeßlich
bleiben. Ich lebte wie im Paradiese. Mit Hnlda machte ich
weite Spaziergänge oder Ausflüge auf die Berge. Oester fuhren
wir in einem kleinen Nachen auf dem Teiche herum, oder wir
tummelten uns im Garten des Hauses. Dann fand zuweilen
wieder eine Ausfahrt im offenen Wägelchen statt, wobei ich mit
dem holden Kinde vorne saß und die Zügel führte, während
Kaspar, der alte Kutscher, der mir die ersten Handgriffe der
Pferdeleukung gezeigt hatte, hinter uns den Rücksitz cinnahm.
Mathias, der andere Diener, dessen Protection ich mich
gleichfalls erfreute, brachte mir sogar die Anfangsgründe des
Reitens bei.
Lebhaft im Gedächtnis; ist mir auch jener Morgen, da
ich mit dem lieben Töchterchcn des Hauses den nahen Kuhberg
bestieg. Trotz seines unromantischen Namens genoß man von
der Höhe seines Gipfels eine prächtige Aussicht. Wir wollten
von dort, wie wir es uns längst vorgenommen hatten, den
Sonnenaufgang betrachten. Schnell wurde beim ersten Tages-
grauen eine Tasse Thee geschlürft und vorsorglich gab man uns
noch eine Ladung feiner Schinkenschnitte, Brödchen und anderes
Gebäckc mit auf den Weg.
Nach einem viertelstündigen Steigen waren wir ungefähr
auf der Mitte des Berges angelangt und setzten uns auf einen
gefüllten Baumstamm, um ausznruhen und Athem zn holen.
Hulda blickte um sich. „Wie frisch doch am Morgen die
Gräser und Blumen duften," bemerkte sie.
„Ja," sagte, ich, „aber ich rieche überall den Wcstphä-
linger Schinken heraus. Das macht, weil ich das Paquet so
vor mir hcrtrage."
„Man wird hungrig," versetzte sie.
„Die Natur ist so still und feierlich,", begann ich nach
einiger Uebcrleguug, „so ganz einladend, zu sinniger Betrachtung.
Wir wollen hier den Schinken verzehren."
„Meinethalben," sagte Hulda, „ich bin nicht dagegen."
„Und mir wässern schon die Zähne darnach."
Ich improvisirte mittelst eines weißen Papierbogens ein
Tischtuch und begann auszupacken. Wir machten uns rüstig
an das Frühstück. (Fortsetzung folgt.)
Der allegorische Marzipan.
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durch die Welt. Gute Menschen standen mir- freundlich bei.
Nun Hab ich das Gymnasium hinter mir und wie ich schrift-
lich Nachweisen kann, mit gutem Erfolge. Im kommenden Semester
geht es dann auf die Universität. Zunächst aber trat ich vor
einigen Tagen meine lustige Ferienreise an in das Haus eines
Jugendfreundes."
„Und kann dieser Reiseplan nicht mehr geändert werden?
Ist der Freund davon schon avisirt? Werden Sie erwartet?"
„Nein", sagte ich, „meine Ankunft soll eine Ucbcrrasch-
ung sein."
„Nun denn, junger Mann," sprach der Alte, „so lade
ich Sie ein, uns zu lieb Ihre Marschrichtung umzukehren,
und uns auf unser Landgut zu begleiten. Wir kehren eben von
einer Badereise dahin zurück. Topp, eingeschlagen!"
Ich gab meine Hand darauf. Das alte Mütterchen war in-
dessen längst erwacht, und hatte mit allen Zeichen des Wohlwollens
der Unterredung gehorcht. Bald saß ich bei der Familie im be-
quemen Wagen und wir fuhren der gastlichen Behausung entgegen.
In dem gemüthlichen Alten lernte ich den längstquiescir-
tcn und jubilirten kaiserlichen Rath und Präsidenten des obersten
Gerichtshofes kennen. Er hieß Forstner und lebte schon seit
mehreren Jahren von Wien entfernt. Die Familie brachte
Sommer und Winter auf ihrem Landsitze zu, welcher in einer
reizenden Gegend an der Grenze zwischen Mähren und Oester-
reich gelegen war. Ich wurde gar bald mit sämmtlichen Personen
des kleinen häuslichen Kreises vertraut. Besonders hatte mich
Großmüttcrchen in's Herz geschlossen von dem Augenblick an,
da sie vernommen, daß ich elternlos sei. Sie hatte selbst so
schmerzliche Verluste erfahren, Sohn und Enkelin und die beiden
Gatten derselben verloren und Hulda allein war ihr übrig ge-
blieben. Deßwegen empfand sie desto eher Theilnahme für mich.
Das der Familie gehörige große und prächtige Haus war
nach dem Vornamen des alten Herrn „Maximiliansruhe" ge-
nannt. Hinter derselben dehnte sich ein weiter Obst- und
Blumengarten aus, am Ende desselben sah man die spiegelklarc
Fläche eines kleinen Teiches vor sich liegen.
Eine Hügelkette, die sich gegen Norden erhob, schützte die
Behausung vor dem ersten Anprall rauher Winde. Von den
Fenstern übersah man weit das fruchtbare Land.
Die sämmtlichen Gemächer waren freundlich und hell und
wenn auch etwas altmodisch, so doch mit Comfort und Eleganz
und sehr wohnlich eingerichtet. Alles darin zeigte von Geschmack,
Wohlhabenheit, ja selbst Rcichthum der Bewohner.
Wenn ich auch noch mehrere hundert Jahre auf der Erd-
kugel zubriugcn müßte, so würde mir jener erste mchrwöchent-
liche Aufenthalt auf Maximiliausruhe dennoch immer unvergeßlich
bleiben. Ich lebte wie im Paradiese. Mit Hnlda machte ich
weite Spaziergänge oder Ausflüge auf die Berge. Oester fuhren
wir in einem kleinen Nachen auf dem Teiche herum, oder wir
tummelten uns im Garten des Hauses. Dann fand zuweilen
wieder eine Ausfahrt im offenen Wägelchen statt, wobei ich mit
dem holden Kinde vorne saß und die Zügel führte, während
Kaspar, der alte Kutscher, der mir die ersten Handgriffe der
Pferdeleukung gezeigt hatte, hinter uns den Rücksitz cinnahm.
Mathias, der andere Diener, dessen Protection ich mich
gleichfalls erfreute, brachte mir sogar die Anfangsgründe des
Reitens bei.
Lebhaft im Gedächtnis; ist mir auch jener Morgen, da
ich mit dem lieben Töchterchcn des Hauses den nahen Kuhberg
bestieg. Trotz seines unromantischen Namens genoß man von
der Höhe seines Gipfels eine prächtige Aussicht. Wir wollten
von dort, wie wir es uns längst vorgenommen hatten, den
Sonnenaufgang betrachten. Schnell wurde beim ersten Tages-
grauen eine Tasse Thee geschlürft und vorsorglich gab man uns
noch eine Ladung feiner Schinkenschnitte, Brödchen und anderes
Gebäckc mit auf den Weg.
Nach einem viertelstündigen Steigen waren wir ungefähr
auf der Mitte des Berges angelangt und setzten uns auf einen
gefüllten Baumstamm, um ausznruhen und Athem zn holen.
Hulda blickte um sich. „Wie frisch doch am Morgen die
Gräser und Blumen duften," bemerkte sie.
„Ja," sagte, ich, „aber ich rieche überall den Wcstphä-
linger Schinken heraus. Das macht, weil ich das Paquet so
vor mir hcrtrage."
„Man wird hungrig," versetzte sie.
„Die Natur ist so still und feierlich,", begann ich nach
einiger Uebcrleguug, „so ganz einladend, zu sinniger Betrachtung.
Wir wollen hier den Schinken verzehren."
„Meinethalben," sagte Hulda, „ich bin nicht dagegen."
„Und mir wässern schon die Zähne darnach."
Ich improvisirte mittelst eines weißen Papierbogens ein
Tischtuch und begann auszupacken. Wir machten uns rüstig
an das Frühstück. (Fortsetzung folgt.)
Der allegorische Marzipan.
10*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der allegorische Marzipan"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
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Rechtsstatus
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Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1468, S. 75
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