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Wohnungsnoth.
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den männlichen Honoratiores, worunter selbst der Landrichter,
im Wirthshause, an demselben Tische, den er mit seinen nassen
Kleidern bedrohte, traktirt. Das alles war sehr schön und an-
genehm, aber er hatte kein Quartier. Für jeden halbwegs
civilisirten Menschen ist das das erste Bedürfniß, und Müller
war sogar ein gebildeter Mensch. Es siel ihm schwer auf's
Herz, wenn nach allen Beifalls-, Frenndschafts- und Loyalitäts-
bezeugungen sich Alle entfernten und ihn wieder zu seinem Nacht-
wächter ließen schlafen gehen.
So vergingen einige Tage, als er einst einen Spaziergang
außerhalb des Ortes beabsichtigte, wo ihm ein sehr schönes neu-
gebantes, einstöckiges Hans durch seine Reinlichkeit und zierliche
Einfachheit besonders ansfiel. Unter dem offenen Hausthor stand
ein ältlicher Herr mit
langer Pfeife, dessen Phy-
siognomie, ausgestattct mit
einem Backenbart, welcher
den Weg nach den Mund-
winkeln einschlug, einen
ausgedienten Militär kenn-
zeichnete. Müller blieb
stehen und betrachtete das
Haus, als er bemerkte,
daß ihm der ältliche Herr
mit der Pfeife herüber-
winkte. Müller folgte diesem
Winke sogleich, grüßte artig
und der gemüthliche Alte,
welcher der Hausherr und
pensionirte Hauptmann
Mallik war, kam ihm mit
der Frage entgegen: ob
er nicht der Schauspieler
Müller wäre, der bis jetzt vergeblich ein Quartier gesucht?
Müller bejahte dieses, worauf ihn der Hauptmann einlud
einzutreten, mit der Versicherung, ihm ein Quartier zu geben,
welches gewiß seinen Wünschen entsprechen würde. Müller ließ
sich dieses nicht zweimal sagen, sondern folgte sogleich der Ein-
ladung und wurde von dem Hausherrn über eine schöne, ge-
räumige Treppe in den ersten Stock geleitet; er öffnete eine
Flügelthüre und hieß ihn eintreten. Vor Müllers Blicken ent-
faltete sich eine Wohnung von 5 geräumigen, elegant meublirten,
mit allem Comfort eingerichteten Zimmern, von welchen das
letzte mit einem prächtigen Bett als Schlafzimmer ansgestattet
war. Müller sah das alles mit Vergnügen an, wartete aber
neugierig auf die Wohnung, die ihm der Hausherr offeriren
wollte, als zu seinem Erstaunen ihn der Alte fragte, wie ihm
diese Wohnung gefiele? „Allerdings sehr gut," antwortete Müller,
„aber ich bitte, mir nun diejenige Wohnung zu zeigen, die Sie
mir offeriren wollten."
„Die Wohnung, die Sie hier sehen, ist es," entgegnete
der Hausherr, „und ich glaube, eine bessere werden Sie sich wohl
nicht leicht wünschen."
Müller glaubte nun, es müsse hier ein Mißverständniß
obwalten und brachte dem Herrn in Erinnerung, daß er der
Schauspieler Müller sei, der mit zwei Gulden Vorschuß engagirt
wurde, wovon er nur noch einen Gulden besitze, und da die
Gesellschaft in Theilung spiele, er eigentlich noch nicht wissen
könne, wie hoch sich sein Einkommen in einem Monat belaufen
würde.
„Ich weiß, was Sie sagen wollen," fiel ihm der Hausherr
in's Wort, „Sie glauben, Sie können diese Wohnung nicht
bezahlen?"
„So ist es!"
„Die Wohnung ist ohnedieß leer und da Sie doch nur
das letzte Zimmer als Schlafzimmer brauchen, so werde ich
auch nicht viel verlangen."
„Was bei Ihnen nicht viel heißt, könnte aber bei mir
schon zu viel sein."
„Sie sind gar zu gewissenhaft. Machen wir es so: Sie
ziehen jetzt ein und wenn wir uns nach einem Monat über den
Zins nicht einigen, so können Sie wieder gehen und brauchen
mir für die Zeit, die Sie da wohnten, gar Nichts zu zahlen."
Das war nun jedenfalls ein Antrag, den Müller unbe-
dingt annahm, und er ging sogleich zu seinem Nachtwächter, um
seine wenigen Habscligkcitcn hcrbeizuschaffen. Bald hatte er sich
wohnlich eingerichtet, eingcrüumt war sehr schnell, denn er konnte
für jedes einzelne Stück seiner Wäsche ein Fach der dastehen-
den Chiffonisrc benützen, und nun fühlte er das behagliche Selbst-
bewußtsein, welches der Mensch nur in einer anständigen Wohn-
ung empfinden kann; er war in der Stimmung einen Artikel
zu schreiben gegen die allgemeine Wohnungsnoth. Seit der
Flucht aus seinem väterlichen Hause, welche aus Neigung zur
Bühne geschah, hatte er solche Gefühle nicht empfunden, er hatte
das Comptoir seines Vaters mit dem wcchsclvollen Bühnenleben
vertauscht, welches ihn von allen sogenannten spießbürgerlichen
Gedanken abzog. Aber auch jetzt war das bald vorbei, er
mußte zur Probe und hatte Abends eine große Rolle zu spielen.
Dieses brachte ihn schon wieder ans andere Gedanken. —
Es ist doch schön, wenn man eine große Rolle spielt. Gleich-
viel, wo und in welcher Eigenschaft, wenn es nur eine erste
Rolle ist, mit welcher man seine nächste Umgebung überragt.
Leichtlebige Menschen ziehen keinen weiteren Kreis. Wie klein
würde sich mancher Große fühlen, wenn er nur einen Schritt
aus seinem Kreise thäte.
(Fortsetzung folgt.)
Macht des Neides.
„Sic haben da zwei wunderschöne Kanarienvögel, Herr
Piepmcier!" — „Nu hären Se, so eegcntlich is Se blos der
eine a Kanarienvogel, der Md're is Se a Hänfling!" —
„Was? Der Gelbe ein Hänfling?" — „Ja sähen Se, die
Sache war Se so. Der Hänfling war Se a recht dummes Becst
un bracht' doch au weiter nischt nich auf's Tapet, als sei Wald-
gedndle. Da docht' ich: Wart, ich will dich schon krieg'n und
hing'n bei den Kanaricnhahn. Aber sähen Se, das is mir
noch nicht vorgekommcn in mei ganzen Leben nich, als ich Se
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Wohnungsnoth.
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den männlichen Honoratiores, worunter selbst der Landrichter,
im Wirthshause, an demselben Tische, den er mit seinen nassen
Kleidern bedrohte, traktirt. Das alles war sehr schön und an-
genehm, aber er hatte kein Quartier. Für jeden halbwegs
civilisirten Menschen ist das das erste Bedürfniß, und Müller
war sogar ein gebildeter Mensch. Es siel ihm schwer auf's
Herz, wenn nach allen Beifalls-, Frenndschafts- und Loyalitäts-
bezeugungen sich Alle entfernten und ihn wieder zu seinem Nacht-
wächter ließen schlafen gehen.
So vergingen einige Tage, als er einst einen Spaziergang
außerhalb des Ortes beabsichtigte, wo ihm ein sehr schönes neu-
gebantes, einstöckiges Hans durch seine Reinlichkeit und zierliche
Einfachheit besonders ansfiel. Unter dem offenen Hausthor stand
ein ältlicher Herr mit
langer Pfeife, dessen Phy-
siognomie, ausgestattct mit
einem Backenbart, welcher
den Weg nach den Mund-
winkeln einschlug, einen
ausgedienten Militär kenn-
zeichnete. Müller blieb
stehen und betrachtete das
Haus, als er bemerkte,
daß ihm der ältliche Herr
mit der Pfeife herüber-
winkte. Müller folgte diesem
Winke sogleich, grüßte artig
und der gemüthliche Alte,
welcher der Hausherr und
pensionirte Hauptmann
Mallik war, kam ihm mit
der Frage entgegen: ob
er nicht der Schauspieler
Müller wäre, der bis jetzt vergeblich ein Quartier gesucht?
Müller bejahte dieses, worauf ihn der Hauptmann einlud
einzutreten, mit der Versicherung, ihm ein Quartier zu geben,
welches gewiß seinen Wünschen entsprechen würde. Müller ließ
sich dieses nicht zweimal sagen, sondern folgte sogleich der Ein-
ladung und wurde von dem Hausherrn über eine schöne, ge-
räumige Treppe in den ersten Stock geleitet; er öffnete eine
Flügelthüre und hieß ihn eintreten. Vor Müllers Blicken ent-
faltete sich eine Wohnung von 5 geräumigen, elegant meublirten,
mit allem Comfort eingerichteten Zimmern, von welchen das
letzte mit einem prächtigen Bett als Schlafzimmer ansgestattet
war. Müller sah das alles mit Vergnügen an, wartete aber
neugierig auf die Wohnung, die ihm der Hausherr offeriren
wollte, als zu seinem Erstaunen ihn der Alte fragte, wie ihm
diese Wohnung gefiele? „Allerdings sehr gut," antwortete Müller,
„aber ich bitte, mir nun diejenige Wohnung zu zeigen, die Sie
mir offeriren wollten."
„Die Wohnung, die Sie hier sehen, ist es," entgegnete
der Hausherr, „und ich glaube, eine bessere werden Sie sich wohl
nicht leicht wünschen."
Müller glaubte nun, es müsse hier ein Mißverständniß
obwalten und brachte dem Herrn in Erinnerung, daß er der
Schauspieler Müller sei, der mit zwei Gulden Vorschuß engagirt
wurde, wovon er nur noch einen Gulden besitze, und da die
Gesellschaft in Theilung spiele, er eigentlich noch nicht wissen
könne, wie hoch sich sein Einkommen in einem Monat belaufen
würde.
„Ich weiß, was Sie sagen wollen," fiel ihm der Hausherr
in's Wort, „Sie glauben, Sie können diese Wohnung nicht
bezahlen?"
„So ist es!"
„Die Wohnung ist ohnedieß leer und da Sie doch nur
das letzte Zimmer als Schlafzimmer brauchen, so werde ich
auch nicht viel verlangen."
„Was bei Ihnen nicht viel heißt, könnte aber bei mir
schon zu viel sein."
„Sie sind gar zu gewissenhaft. Machen wir es so: Sie
ziehen jetzt ein und wenn wir uns nach einem Monat über den
Zins nicht einigen, so können Sie wieder gehen und brauchen
mir für die Zeit, die Sie da wohnten, gar Nichts zu zahlen."
Das war nun jedenfalls ein Antrag, den Müller unbe-
dingt annahm, und er ging sogleich zu seinem Nachtwächter, um
seine wenigen Habscligkcitcn hcrbeizuschaffen. Bald hatte er sich
wohnlich eingerichtet, eingcrüumt war sehr schnell, denn er konnte
für jedes einzelne Stück seiner Wäsche ein Fach der dastehen-
den Chiffonisrc benützen, und nun fühlte er das behagliche Selbst-
bewußtsein, welches der Mensch nur in einer anständigen Wohn-
ung empfinden kann; er war in der Stimmung einen Artikel
zu schreiben gegen die allgemeine Wohnungsnoth. Seit der
Flucht aus seinem väterlichen Hause, welche aus Neigung zur
Bühne geschah, hatte er solche Gefühle nicht empfunden, er hatte
das Comptoir seines Vaters mit dem wcchsclvollen Bühnenleben
vertauscht, welches ihn von allen sogenannten spießbürgerlichen
Gedanken abzog. Aber auch jetzt war das bald vorbei, er
mußte zur Probe und hatte Abends eine große Rolle zu spielen.
Dieses brachte ihn schon wieder ans andere Gedanken. —
Es ist doch schön, wenn man eine große Rolle spielt. Gleich-
viel, wo und in welcher Eigenschaft, wenn es nur eine erste
Rolle ist, mit welcher man seine nächste Umgebung überragt.
Leichtlebige Menschen ziehen keinen weiteren Kreis. Wie klein
würde sich mancher Große fühlen, wenn er nur einen Schritt
aus seinem Kreise thäte.
(Fortsetzung folgt.)
Macht des Neides.
„Sic haben da zwei wunderschöne Kanarienvögel, Herr
Piepmcier!" — „Nu hären Se, so eegcntlich is Se blos der
eine a Kanarienvogel, der Md're is Se a Hänfling!" —
„Was? Der Gelbe ein Hänfling?" — „Ja sähen Se, die
Sache war Se so. Der Hänfling war Se a recht dummes Becst
un bracht' doch au weiter nischt nich auf's Tapet, als sei Wald-
gedndle. Da docht' ich: Wart, ich will dich schon krieg'n und
hing'n bei den Kanaricnhahn. Aber sähen Se, das is mir
noch nicht vorgekommcn in mei ganzen Leben nich, als ich Se
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1478, S. 155
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg