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Fliegende Blätter — 6.1847 (Nr. 121-144)

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Nr. 135
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113

Soldatenstücklein.

mochren wohl den Karrenbüchsen und Doppelhaken aus den
Zinnen der Burg nicht recht trauen, weil sie nicht ahnten, wie
schlecht es um dcn Much der Leute bei den Geschützen bestellt
war. Die Besatzung bestand meist aus Krüppeln und ausge-
mustertem Volk, den Oberbefehl führte einstweilen ein eisgraues
Männlein, gebeugt von der Jahre Last, stumpfsinnig und schier
kindisch vor Alter. Die Ankömmlinge empfing bebend eine
! bleiche Schaar. Der Befehlshaber sank vor Wernher in die Kniee,
erhob gegen ihn die Hände und flehte mit seiner gebrochenen
Greisenstimme um Schutz für sein aruies Leben. „Ein Kind,
das nicht schlafen gehen will, obwohl es die Augen nimmer
| aufbehalten kann," brummte der General, halb mitleidig, halb
verächtlich; dann hieß er den Alten ausstehen, um die Veste
in aller Ordnung der neuen Obhut zu übergeben. „Zu Befehl,"
antwortete der: „wir beginnen gleich mit den Gefangenen. Ich
habe sic einstweilen in die Keller sperren lassen." — „Nicht
doch," meinte Wernher: „wir fangen mit den Werken und
den Geschützen an. Die Gefangenen entlaufen nicht, doch der
Feind könnte uns über den Hals kommen."

Der Befehlshaber hatte recht. Bevor es dunkelte, wimmelten *
die Abhänge des Gebirges von Reitern, zeigte sich eine Schaar
Fußvolk auf dem schlangenfönnigen Damm, welcher die Straße
i über den Sumpf trug. Hinausdeutend sagte Wernher zu Eber-
j hard: „Klug war' eS, eine Abtheilung mit Schanzkörben und
zwei Stücken auf de» Damm hinauszuschickcn."— Der Haupr-
mann spürte keine Lust, den Auftrag zu übernehmen, der doch
auch keinem andern zufallen konnte, und suchte daher nach
l Ausreden. Die Mühe sei unnütz, meinte er, weil die feind-
? liche Srreisparlei doch keine Geschütze mit sich führe. — „Was
wir nicht wissen können," sagte Wernher. — Ferner behauptete
Eberhard, seien die Leute müd' und matt; auch müßte erst
Fuhrwerk für die Stücke herbeigeschaffr werden, deren Räder
i verfault und schadhaft seien; kurz, er wußte der Einwände und
Schwierigkeiten so viel, daß Wernher sich bestimmen ließ, die
\ Maßregel bis zum nächsten Tag zu verschieben. Der wackre
General war eben auch nicht mehr der straffe Kriegsmann von
! ehedem, sonst hätte keine Einrede gegen seine Ueberzeugung
gefruchtet. Seine Nachgiebigkeit hätte aber nie so zur Unzeit
kommen mögen, wie diesmal. Die Kuruzzen waren nicht so
ganz ohne grobes Geschütz, als die Angegriffenen wähnten,
und benutzten Zeit und Oertlichkeit so gut. daß sie im Morgen-
grauen aus einer Skückschanze die Burg mit Kernschüffen be-
schießen konnten. Die Laufgräben ersetzte der hohe Damm,
an welchem ein paar Durchstiche gemacht worden, wohindurck
, der Fein» immer die geschützte Seite gewinnen konnte. Den
! Stoff zu Aufwürfen und zur Füllung der Schanzkörbe hatten
j reichlich und bequem der morastige Boden, der nahe Wald
! geliefert. —

Der Geschütze rauhe Zwiesprach erfüllte viele Seelen mit
! Angst, und ließ den Tüchtigsten nicht ohne Sorge. Nur einer
in der Burg lauschte mit Wohlgefallen dem höllischen Lärm:
ein Gefangener, der, seit dem vorigen Tage vergessen, im Keller
' schmachtete. Bitterlicher Hunger wühlte in seinen Eingeweiden,

vor Durst llebte die Zunge ihm am Gaumen, doch wacker
wurden ihm Herz und Augen beim Gedanken an die mögliche
Befreiung. „Freiheit!" flüsterten schier lautlos die Lippen;
„Freiheit!" jauchzte die Seele, während die Brust vor Jast
und Ungeduld zu springen meinte. Gegen Abend fiel eS von
oben durch das Tagloch wie ein Schatten, und der Gefangene
schrie hinauf: „Wer ihr auch seid, sorgt, daß ich aus dem
Verließ erlöst werde. Ich verschmachte, ich ersticke hier." —
„Gleich, mein Freund," antwortete eines Engels Stimme: „ich
eile, euerer Roth abzuhelfen." — „Wär' ich im Paradies an-
gelangt, bevor ich den Tod empfunden?" fragte der Gefangene
sich selber: „ich vernahm Laute, die auf Erden nimmer zu
meinem Ohr dringen durften..." — 3m Himmel war er nicht,
der arme gefangene und entehrte Eckbrecht. Er sollte das bald
empfinden; doch zuvor blühte ihm noch eine Himmelssteude.
Er durste zu Romana's Füßen ihre Hände an die Lippen
drücken, ihr tief in die überströmenden Augenblicken. — Welch j
ein Wiedersehen! Keines WörtleinS mächtig, stammelten die
Beiden unzusammenhängende Laute, und dennoch war es jedem,
als redete des andern Mund von der Liebe Lust und Leid, von
Trennungsqual und unverbrüchlicher Treue. Voll Erstaunen
sah der Schließer dem Auftritt stumm und unthätig zu. Bald
aber kam einer, der nicht schwieg und nicht feierte. Ein
Schmähwort schlug an EckbrechtS Ohr, ein Etteich der flachen
Klinge was seine Schultern, und neben sich erblickte er seinen
ehemaligen Fähnrich. Dem Schließer seinen Stab entteißen,
wüthend auf Eberhard eindringen, war für den Gefangenen
das Werk eines Augenblickes. Der Angegriffene hatte Mühe,
sich der rasenden Stteiche zu erwehren; vielleicht wäre er mit
dem Degen gegen einen Stock unterlegen, hätten der Lärm
und des Schließers Hülferuf nicht Leute herbeigelockt, unter
ihnen den Befehlshaber selber.

Eckbrechts Anblick überraschte den General und bettaf ihn
schmerzlich. „Du hier, mein Sohn?" fragte er mit sichtlicher
Rührung. Eckbrecht hatte nicht Auge, nicht Ohr für des Väter-
liche» Freundes Erscheinung und Anrede: selbst seiner Liebe
schien er nimmer eingedenk im Gefühl der Schmach, die ihm
so eben widerfahren. Vier handfeste Leute hielten ihn mit Mühe,
während er mit schäumendem Munde brüllte: „Laßt mich, daß
ich den Buben züchtigt, der mich geschlagen." — „Er hat ihn
geschlagen," stüstette Roman» ihrem Vater zu: „der Elende
hat den Wehrlosen zu mißhandeln gewagt." Wogegen Eber-
hard: „Welcher Lärm um eines Züchtlings willen? Laßt ihm
doch einen wackern Schilling aufstreichen, daß er sich zur Ruh'
gebe." — „Rache," schnaubte Eckbrecht: „blutige Rache!"
Wernher trat auf den Wüthenden zu. „Vergönne mir ein
Won," sagte er: „die Rache ist näher, als du glaubst." Ter
Gefangene horchte hoch auf. Wernher unterrichtete ihn von
der Lage des Schlosses und fügte hinzu: „Was begehrst du
mehr? In wenigen Stunden Frist wird der Kuruzz mit stür-
mender Hand dieses Haus nehmen. In unserm Blute magst
du dann Brüderschaft mit den Aufrührern trinken und unter
des großen Emerich Tököly Fahnen dir neue Sporen verdienen."
Die letzten Wotte ttafen wie Schlangenstich EckbrechtS Seele;

IS *
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