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Fliegende Blätter — 6.1847 (Nr. 121-144)

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162

Der Ball der Nationalgarde.

Pari«, keu 12. März.


Aen ersten republikanischen Ball, der gestern im Winter-
garten stattfand, glaubte ich besuchen zu müssen, um beobachten
zu können, wie weit der Geist der Freiheit fich wohl der Ge-
mücher bemächtigt hätte. Denn vor allen Dingen wird man
letztere doch nur in dem Falle frei nennen können, wenn fie
im Stande find, früher bereits gehabte Genüsse mindestens
mit derselben Unbefangenheit wieder zu empfinden. Nun tveiß
man wohl, daß die Franzosen aus Herzenslust ranzen, und es
mußte daher interessant, ja für die Beurtheilung der allgemeinen
Ettmmung sogar wichtig sein, zu beobachten, ob diese Lust
noch dieselbe sei. Der Wintergarten, der ungefähr am Ende
der eliseischen Felder gelegen ist, übertrifft an Größe unv
Pracht alle ähnlichen Gebäude der Art. Ein großer, zu einer
Gemäldegallerie sehr geeigneter Vorsaal, sühn über eine Art
Plattform, die man auf einer breiten kurzen Treppe herunter -
steigt, in den riefigen Hauptsaal, in dem an gewöhnlichen
Tagen die Blumen massenweise auf Estraden stehen. Der Treppe
gegenüber läuft der Hauptsaal in eine schiffförmige Gallerte
auS, die, wenn man den gegenübergelegenen Vorsaal mit in
Anschlag bringt, dem ganzen Gebäude die Form eines etwas
unregelmäßigen Kreuzes gibt.

Die Gallerie, die teraffenförmige Wege hat, wird in der
Mitte von ttopischen Baumgruppen eingenommen, die in ihrer
Mitte den schönsten Rasenplatz haben. AuS diesen ragt unter
anderen eine Avaucavia excelsa von seltener Größe hervor,
dieselbe, die früher im Pstanzengarten stand, und wegen der
Niedrigkeit deS Gewächshauses verkauft werden mußte. Man
denke fich nun in diesem vom kühnsten Eisenwerke gettagenen
Bau, rauschende CaScaden, die die vollsten Blumenbeete be-
wässern, auf allen Seiten Prachtgruppen von blühenden Rhodo-
dendron’s, in den Winkeln aus Draht geflochtene Fasanerien,
kunstvoll gearbeitete- Gartenzeug, Stamen aus Marmor, Erde
und GypS und über alles dies eine ttikolore Decoration aus
Fahnen und Emblemen, zwischen denen Laternen und Lampen
in den drei revolutionairen Farben brannten, um fich von dem
betäubenden Eindrücke, den alles dies hervorbrachte, eine Vor-
stellung zu machen. Die grandiosen Dimenfionen des Gartens
verloren durch die Masse der Zierrachen an Einfachheit, und
überdies hatte man die Embleme auf die unfinnigste Weise
zusammengestellt. Die Inschriften auf den scheibenförmigen
Laternen folgten einander genau in folgender Reihe: Contlance,
Medeah, Probite, Isly, Honneur, Milan, Alger, Gloire, Mogador,
Armee, Tanger, Union, Tayti, Liberte, 27, 28, 29 Juillet,
22, 23, 24 Fevrier, Egalite, Constantine, Patrie, Ancone,
Force, Smahla, Victoire, Anvers, Courage, Ulloa, Concorde,
Peuple, Mazagran, Ecoles. Man hätte zum Schluß Charivari
setzen können. Eben so unfinnig war die Aufstellung von mittel-
alterlichen Ritterrüstungen in einem Saale, in welchem die
Republik chren ersten Ball gab.

In diesen Saal, an dem, bezeichnend genug für die jetzigen
Zustände, meist nur Fiaker anfuhren, kam nun nach und nach

eine Gesellschaft von der eigenchümlichsten Physiognomie. Sie
sah weder adelig noch reich, noch bürgerlich, noch volksthüm-
lich auS, und hatte schlechterdings nichts Freies, nichts Leben-
diges in ihrer ganzen Bewegung. Die Nationalgarde hatte
sich spärlich eingefunden, wenigstens war fie nicht erkennbar,
denn die Offiziere erschienen, mit wenigen Ausnahmen, nicht,
wie man fie eingeladen hatte in Uniform. Die polytechnische
und andern Militärschulen wohnten dem Ball in Uniform bei,
von den Mitgliedern der Regierung hatten fich jedoch nur
einige: Cremieur, Garnies Pages u. s. w. eingefunden. Dahin-
gegen waren die Frauen sämmtlicher Mitglieder deS Gouver-
nements, als Harnes patronesses zugegen; fie trugen, wie die
Commiffaire deS Balles, von denen die meisten zu ihrer Familie
gehörten, dreifarbige Schleifen. Man hatte auf dem Pro-
gramm versprochen: Die Rachel würde die Marseillaise
singen (ich irre mich nicht im Schreiben, singen sollte fie
die Marseillaise, nicht deklamiren.) Sie hat dies letztere
nämlich im Theätre franqais unmittelbar nach der Revolution
gethan, das Volk aber, das der Gratis-Vorstellung im jetzigen
Theätre de la Republique beiwohnte, und dem daö steife De-
klamiren gar nicht recht gefallen wollte, erinnerte fich des ehe-
maligen Bänkelsängerstandes der Gefeierten, und gab zu verstehen,
daß die Marseillaise gesungen werden müßte. Und seit jenem
Tage fingt die Rachel die geliebte Hymne unter ungeheurem
Jubel im Theätre de la Republique. Die gestrige Nacht halte
mit den nüchternsten Quadrillen und Polka's bereits dem
Morgen entgegengetanzt, da fing man, da die Rachel nicht
kam, auf eigne Faust an die Marseillaise zu fingen. Die hier
„aux armes“ ertönen ließen, waren alle in Handschuhen, und
würden, wenn fie den Ausgang der Ereignisse geahnt hätten,
nicht einmal „vive la Reforme“ geschrieen haben. Die Repu-
blik ist dieser genußsüchtigen Bürgerklaffe ein Grauen: fie
sehen in ihr nur die Tendenz zum Communismus. Die ab-
surdeste Plünderungsangst ist über fie gekommen, fie verkaufen
Pferde und Wagen, Bilder und Kostbarkeiten aller Art, um
in der Provinz oder im Auslande ihre Geldsäcke zu beschützen.
Das war's, was mich auf diesen Ball trieb: ich wollte sehen,
wie weit die Furcht fich im lachenden Ballkleide verstecken kann.
Nun fie konnte eS so weit die Beine reichten, die langen Ge-
sichter aber straften das Tanzen Lüge. Der Enthusiasmus
für die ftanzöfische Republik ist überall größer, als in diesem
Augenblicke in Frankreich, denn selbst das sonst so generöse
Volk spricht jetzt von Nichts als von der Verbesserung seiner
materiellen Lage. Wenn diese fich entschieden günstiger wird
gestaltet haben, wenn auch die reicheren Klassen zu der Ueber-
zeugung gekommen sein werden, daß die Proletarier am Ende
nur gegen Mißbräuche geschützt sein wollen, dann wird man
fich erst für das ebenso durch Ereignisse als durch Thaten
Geschehene begeistern.

Dr. Bamberg.
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