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Die höchst merkwürdige Geschichte von der Prinzessin Ludmilla.

leichter ihm dies von statten ging, desto vergnügter war er, und
er blickte dann mit großer Genugthnung auf die Bilder seiner
Ahnen. Früher hatte er ohne sichtbare Anstrengung innerhalb
weniger Minuten mehrere Laubthaler in zwei gleiche Hälften nüt
der bloßen Hand zerbrechen können. Seit fünf Jahren vermochte
er nicht mehr, dies zn Stande zn bringen, was ihn so sehr
betrübte, daß er keinen Laubthaler mehr ansah und seine Hof-
leute niemals vor ihm den Namen dieser Münze nennen durften.

Er war früh Wittwer geworden. Der Verlust seiner Ge-
mahlin hatte ihm aber nicht das Herz gebrochen und es kostete
ihm keine Ueberwindung, sie zu vergessen. Sie hatte ihm ein
einziges Kind, eine Tochter, zurückgelassen, die eben den zwan-
zigsten Geburtstag gefeiert.

Sie hieß Ludmilla.

Ich könnte nun Ludmilla's goldene Locken, ihre Vergiß-
meinnichtsaugen, ihre Rosenwangcn, ihren Marmorbnsen, ihren
Alabasternacken, ihre Pcrlenzähne, ihren Purpurmund, ihre
Lilienhändchen, ihre Aschenbrödelfüßchen, ihre junonische Gestalt
und ihren majestätischen Gang schildern, und die Schilderung mit
der Behauptung schließen, daß jeder Zoll an ihr eine Prin-
zessin war. Ich thue dieß aber deßhalb nicht, weil mir die Wahr-
heit über alles geht und ich meine Leser um keinen Preis
hintcrgehen möchte. Ich bleibe also bei der Wahrheit und sage,
daß Ludmilla weder für eine Schönheit ersten, noch zweiten
Ranges gelten konnte. Ihr Wuchs erinnerte nicht an Juno,
ihre Lippen erinnerten nicht an Purpur, ihre Zähne nicht an
Perlen. Ihr Busen erinnerte weder an den Marmor von Paros,
noch an den Marmor von Carrara. Sie hatte weder Händchen,
noch Füßchen, sondern Hände und Füße, und wer nicht wußte,
daß sie die Tochter eines Fürsten war, hätte an ihrer äußeren
Ankündigung nichts weniger als eine Prinzessin crrathen.

Indessen war Ludmilla doch ein hübsches Mädchen. Sie
war gutmüthig, wohlwollend, und liebte die Einsamkeit. Wie
ihr Vater, zeigte auch sie seinen Untcrthanen sich sehr selten.
Sic hatte eine Scheu, mit dem wirklichen Leben in Berührung
zu kommen und brachte die Tage und einen großen Theil der
Nächte niit der Lektüre romantischer Dichtungen des Morgen-
und Abendlandes zu. Ihre Bibliothek bestand ausschließlich aus
solche» Büchern, und diese waren durch den häufigen Gebrauch
sehr abgenutzt und zum Theil ganz verschlissen. Sie hätte übri-
gens gar nicht zu lesen brauchen, denn sie wußte ihre Bücherei
fast auswendig. Durch den langen anhaltenden Umgang mit
den Helden und Heldinnen der romantischen Poesie, bewegten sich
in ihrer Einbildungskraft dieselben so lebhaft, als ob sic von
Fleisch und Bein gewesen wären.

Ludmilla's Liebe zur Einsamkeit hatte seit einigen Mo-
naten so sehr zugenomme», daß sie selbst den abgeschlossenen
fürstlichen Park nicht mehr besuchte. Sie verließ nicht mehr ihre
Gemächer und verfiel in sichtbare Schwermuth. Inzwischen ge-
langten au ihren Vater viele Briefe, in denen man mit den
schmcichelhaftestcu Ausdrücken um die Hand seiner Tochter warb.
Es kündigte sich auch der Besuch mehrerer Prinzen an, die von
dem Wunsch beseelt waren, Ludmillas persönliche Bekanntschaft
zu machen und sie als Gattin heimzuführen. Nun kennen meine

Leser, die im Besitze heirathsfähiger Töchter sind, die Sehn-
sucht eines solchen Vaters, sich in einen Schwiegervater zu
verwandeln, so gut, daß ich nicht erst besonders zu schildern
brauche, wie sehr Ludmillas Vater sich nach einem Schwieger-
sohn sehnte. Man hat gut Fürst sein, man will doch nicht, daß
die Tochter sitzen bleibe. Ein Mädchen mit einer vierzig- oder
fünfzigjährigen Jungfräulichkeit hat immer eine höchst unan-
genehme Stellung, und die grauen Zöpfe sind eben so grau
an einer alten Prinzcssinjungfer, wie an einer alten Jungfer
aus dem allerordinärsten Bürgerstand.

Der Herzog — der oft erwähnte Fürst war ein Herzog
— beschloß also, seine Tochter zu einem entscheidenden Schritte
zu bewegen und lud sie, nachdem er im Geiste lange und nicht
ohne Anstrengung an einer väterlichen Rede gearbeitet, zu einer
Unterhaltung ein.

„Meine Tochter," begann er, als Ludmilla sich bei ihm
cinfand, „meine Tochter, ich habe ein wichtiges Wort mit dir
zu reden."

„Mein fürstlicher Vater," erwiderte Ludmilla, indem sic
sich neben ihm niederließ, „ich' werde mit gehorsamster Hoch-
achtung zuhören."

Der Fürst sprach ein Langes und Breites über die Ehe
im Allgemeinen und dann ein Breites und Langes über die
Ehe seiner Tochter im Besonder», und nachdem er diese Einleit-
ung glücklich zu Stande gebracht, hielt er einige Sekunden inne,
in der Erwartung einiger Worte von der Seite der Prinzessin.
Diese saß jedoch, die Hände auf den Schooß gelegt und die
Blicke auf die Hände gerichtet, ernst, schweigend und unbeweglich
wie eine Marmorstatue ans einem Grabmal.

Ihr Vater schüttelte dreimal den Kopf und begann die
Vorzüge jedes Freiers aufzuzählen. Er entwickelte dabei eine
große Kenntniß der Geschichte unzähliger deutscher Fnrsten-
samilicu und übertraf dabei den Sänger der Ilias an Episoden.

Der Fürst, der mit seiner Bcrcdtsamkeit sehr zufrieden war
und sich gern hörte, wurde nach und nach unwillig, als er seine
Tochter in der eben beschriebenen Stellung verharren sah.

„Ich habe wie ein zärtlicher Vater gesprochen," schloß er,
„ich warte auf deine Antwort."

„Mein theurer Vater," antwortete Ludmilla," ich bin an
Ihrer Seite so glücklich, daß ich nichts weniger als eine Ver-
änderung meines Schicksals wünsche."

„Aber ich wünsche diese Veränderung," bemerkte der Herzog
mit einer gewisse» Heftigkeit. „Jeder Vater will sich in seinen
Enkeln verjüngt sehen."

Ludmilla crröthetc und schwieg.

Der Fürst wurde so ungeduldig, daß er in diesem Augen-
blick gewiß einen zinnernen Teller wie eine Pfeffcrdütc zusammen-
gerollt haben würde, wenn er einen solchen in der Hand gehabt
hätte. Er beruhigte sich jedoch schnell wieder und sagte: „Meine
Mitthcilung kam dir unerwartet und du bist von derselben viel-
leicht zu überrascht, um allsogleich einen Entschluß fassen zu
können. Nun, ich lasse dir acht Tage Bedenkzeit. Nach Ablauf
dieser Frist aber erlvarte ich einen festen Entschluß."

Ludmilla küßte die Hand ihres Vaters und ging.
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