Fliegende Blätter (71.1879 (Nr. 1771-1796))

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Erscheinen wSchentlich ein >v!al. Einzelne Nummer 30 -ist

Der rette

In ein Coups II. Waffe des Triester Nachtzuges, welches
von dem kleinen Oellämpchen nur schwach erleuchtet wurde,
waren zwei Reisende cingcstiegen, die sich bis iibcr die Ohren
in ihre Pelze hüllten, denn es herrschte eine arge Kälte. Einer
wie der Andere hatte, nachdem ihr Handgepäck auf den Ständern
versorgt war, in einer Ecke Platz genommen und harrte der
Abfahrt des Zuges. „Wenn sich nur noch Reisende im Coups
einfinden möchten," dachten sich Beide; cs schien ihnen unheim-
lich, nur in Gesellschaft eines einzigen Passagiers die lange
Nachtfahrt zu inachen, und zuden: hatten sie in letzter Zeit viel
von Eiscnbahn-Attciltatcn sowie -Bcraubungcn gehört. Allein
ihr sehnlicher Wunsch ging nicht in Erfüllung, und der Zug
brauste, ohne das; ein neuer Reisender ihre Zahl vermehrt hätte,
von dannen.

ndc Engel.

Ihre gegenseitige Besorgnis; stieg, da sie die Phpsiognomie
ihres Partners in der Verhüllung nicht zu erkennen vermochten,
um aus ihr seine Vertrauenswürdigkeit scststcllcn zu können. Die
beinahe abweisende Ruhe, die Einer dem Andern vis ä vis,
wahrscheinlich in Folge der Besorgnis;, zur Schau trug, war
auch nicht dazu angcthan, sic zu beruhigen.

Alles an dem fremden Rcisegescllschaftcr kam ihnen ver-
dächtig vor: seine Verhüllung, die doch dem Bedürfnisse, sich
gegen die Kälte zu schützen, entsprang, seine Ruhe, die auch
für ganz natürlich gelten konnte, und besonders, daß er sich
nicht einmal eine Cigarre nnbrannte. Beide nämlich wagten
es nicht, zu rauchen, ja sic scheuten sich, allch nur ein Lebens-
zeichen von sich zu geben — wie sich ja gemeinhin die Furcht eine
äußere Ruhe aufzwingt. Sie wollten sich gegenseitig täuschen
und sich schlafend stellen, insgeheim aber wach bleiben, um
jeder Bewegung des unheimlichen Partners folgen zu können
und in einem eventuell kritischen Momente vollkommen bereit
zu sein. Jeder hatte fest bei sich beschlossen, koste es auch, was
cs wolle, keinesfalls cinznschlafen, denn im Schlafe war Alles
von dem Verdächtigen zu befürchten, und konnte er da auch
seine schnöden Anschläge am leichtesten vollbringen.

Mit geschlossenen Augen, scheinbar schlafend, lag Jeder in
seiner Ecke. Die ersten Stunden vergingen unter diesen bangen
Gedanken und Empfindungen, unter den Versuchen, den Gegner
zu täuschen, leidlich; aber später steigerten sich ihre Qualen,
denn die Natur begann, gebieterisch ihr Recht zu fordern. Da-
zu gesellte sich noch das Schreckliche: die Angst, cinznschlafen.
„Du darfst nicht einschlafen," sagte Jeder zu sich, „sonst bist
du rettungslos verloren!"

Sie kämpften einen Riesenkampf gegen den Schlaf. Ihre
Lage war die qualvollste, und selbst die einzige Hoffnung, die
ihnen geblieben war, daß ans irgend einer Zwischcnstation
Jemand einsteigen tvürde, blieb bisher unerfüllt.

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