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Eine traurige Geschichte.
war, in einen Badeort, wo sie ihre kranken Fersen täglich drei-
mal in heißem Schwefelwasser baden mußte. Aber ach und
wehe! Auch das hals nichts, und man versuchte es nun mit
einer Reihe von Hausmitteln, von welchen sich eines nutzloser
als das andere erwies.
Der Gatte der unglücklichen Frau, schon ganz verzweifelt,
das Weib seines Herzens immer so leidend zu sehen, lief eines
Tages zu einem sashionablen Hofarzt, welcher, ein eifriger
Hydropath, in großem Rufe stand, und schon viele allerhöchste
Magengruben und Brustkasten von bedeutenden Nebeln befreit
hatte, mittelst Leibbinden, kalten Verhüllungen, Abklatschungen
und Sturzbädern. Der berühmte Hofrath Frischling nun con-
statirte, Frau von Rautenklee sei bisher ganz falsch und un-
sinnig behandelt worden, sie leide an einer Beinhautentzündung
und müsse sofort in die bekannte Heilanstalt nach Wässer-
lingen, um sich einer hochenergischen Kaltwasserkur zu unter-
ziehen. Die arme Frau gehorchte und machte täglich zweimal
die Procedur mit, die den Menschen zum Frosch umgestalten
möchte — und, o Freude! — nach drei Tagen war schon jede
Spur von Schmerz verschwunden, und überglücklich kehrte Frau
von Rautenklee in die Arme ihres wonnetrunkenen Gatten zu-
rück. Allein die Freude hatte kurze Dauer. Schon am nächsten
Morgen, als die Dame kaum zwei Stunden außer Bett tvar,
ging der Jammer von Neuem los!
Der Gemahl ward aus dem Comptoir, die Freundinnen
aus ihren Behausungen gerufen, man lamentirte, weinte und
rieth hin und her — und zuletzt verfiel man auf einen Mag-
netiseur, der einer der anwesenden Damen eine Warze von
der Nase wegmagnctisirt hatte und daher für einen Wunder-
mann erklärt wurde. Nun erschien dieser Wunderdoctor täglich
und schleuderte das „Fluidum" seiner Patientin zu — ver-
gebens während langer 14 Tage. Da erbarmte sich das
Schicksal ihrer und auch seiner!
Eines Morgens, als die Arme tvieder unerträglich litt,
nachdem sie sich mehr als sonst im Hause herumgethan, half
ihr der Wunderdoctor die behufs Magnetisirens abgelegten
Pantoffel anziehen, indem er die Schluchzende sanft zu trösten
suchte. Plötzlich rief er ungewöhnlich lebhaft: „Wissen Sic,
meine Gnädige, ich werde mir Ihre Pantoffel mit nach Hause
nehmen und sie mit meinem großen Apparat magnetisiren.
Das Eisen thut oft unglaubliche Wirkungen." — „Thun Sic
das, bester Doctor!" sagte die Dame matt. „Man muß ja
Alles versuchen, was helfen kann — und nicht hilft!" setzte
sie in Gedanken hinzu.
Der Doctor ging. Im Vorgemach trat ihm Lisette ent-
gegen. „Ich nehme sie mit!" rief er dem Mädchen zu, um
sie daheim zu magnetisiren!" und hielt ihr die Pantoffel hin.
„Wickeln Sie sie in Papier, liebes Kind!" — „Ach ja, Herr
Doctor," cntgegnete das Mädchen, „es wäre schrecklich, einen
der eleganten Schuhe zu verlieren! Es sind die Lieblings-
pantoffel meiner armen Gnädigen, sie war so böse, als ich
vergessen hatte, sie nach Wässerlingen mitzunehmen — so, Herr
Doctor, habe die Ehre!" Die Hausthür flog auf und zu,
und der Doctor nach seiner Behausung, wo er sofort aus einer
Kiste einen schilleren Hammer hcrvorzog und sich in seine Studier-
stube einschloß. Belauschen wir nun den Wundermann, wie
er die Schuhe der Frau von Rautenklee magnetisirte. Er
stellte die mit riesigen Absätzen versehenen Pantoffel vor sich
auf den Tisch und bearbeitete deren Inneres eifrigst mit den:
Hammer. „Ja, das Eisen muß Vieles heilen," brummte er,
„glaub's gerne, daß die Gute unerträgliche Schmerzen hatte!
Da geht sie nun seit Monaten auf den spitzen Holzpflöckchen
herum, mit welchen die Stöckel an diese Malefizschuhe befestigt
sind und die durch das Seidcnfutter stechen, hnhaha! Ein Hoch
meinen Herren Kollegen! Aber seid ruhig, Freunde — ich bin
ein guter Kamerad, und vor Allem: Ein Wunderdoctor! So,
nun wird der Magnetismus die arme Rautenklee gründlich ge-
heilt haben!" schloß er, das nun ganz glatte Innere der Schuhe
befühlend, „und ich habe ein neues Wunder vollbracht."
Und so war es auch. Frau von Rautcnklee bekam ihr
fatales Leiden nie wieder, der Wunderdoctor aber einen großen
Ruf. Die Dankbarkeit seiner Patientinnen verhalf ihm zu Reich-
thum und einem ganzen Museum von Stickereien; die schönsten
darunter stannntcn von Frau von Rautenklee. Die Hände der
Dame mußten den Dank der Füße abstattcn.
M. M.
Aus dem Examen.
„Sagen Sie mir einmal, Herr Candidat, was halten Sie
für die Grundbedingung des menschlichen Daseins?" — „Die
Zeit, Herr Professor!" — „Wie meinen Sie das?" — „Sehr
einfach! Wie kann ein Mensch cxistiren, wenn er nicht die
Zeit dazu hat!"
Eine traurige Geschichte.
war, in einen Badeort, wo sie ihre kranken Fersen täglich drei-
mal in heißem Schwefelwasser baden mußte. Aber ach und
wehe! Auch das hals nichts, und man versuchte es nun mit
einer Reihe von Hausmitteln, von welchen sich eines nutzloser
als das andere erwies.
Der Gatte der unglücklichen Frau, schon ganz verzweifelt,
das Weib seines Herzens immer so leidend zu sehen, lief eines
Tages zu einem sashionablen Hofarzt, welcher, ein eifriger
Hydropath, in großem Rufe stand, und schon viele allerhöchste
Magengruben und Brustkasten von bedeutenden Nebeln befreit
hatte, mittelst Leibbinden, kalten Verhüllungen, Abklatschungen
und Sturzbädern. Der berühmte Hofrath Frischling nun con-
statirte, Frau von Rautenklee sei bisher ganz falsch und un-
sinnig behandelt worden, sie leide an einer Beinhautentzündung
und müsse sofort in die bekannte Heilanstalt nach Wässer-
lingen, um sich einer hochenergischen Kaltwasserkur zu unter-
ziehen. Die arme Frau gehorchte und machte täglich zweimal
die Procedur mit, die den Menschen zum Frosch umgestalten
möchte — und, o Freude! — nach drei Tagen war schon jede
Spur von Schmerz verschwunden, und überglücklich kehrte Frau
von Rautenklee in die Arme ihres wonnetrunkenen Gatten zu-
rück. Allein die Freude hatte kurze Dauer. Schon am nächsten
Morgen, als die Dame kaum zwei Stunden außer Bett tvar,
ging der Jammer von Neuem los!
Der Gemahl ward aus dem Comptoir, die Freundinnen
aus ihren Behausungen gerufen, man lamentirte, weinte und
rieth hin und her — und zuletzt verfiel man auf einen Mag-
netiseur, der einer der anwesenden Damen eine Warze von
der Nase wegmagnctisirt hatte und daher für einen Wunder-
mann erklärt wurde. Nun erschien dieser Wunderdoctor täglich
und schleuderte das „Fluidum" seiner Patientin zu — ver-
gebens während langer 14 Tage. Da erbarmte sich das
Schicksal ihrer und auch seiner!
Eines Morgens, als die Arme tvieder unerträglich litt,
nachdem sie sich mehr als sonst im Hause herumgethan, half
ihr der Wunderdoctor die behufs Magnetisirens abgelegten
Pantoffel anziehen, indem er die Schluchzende sanft zu trösten
suchte. Plötzlich rief er ungewöhnlich lebhaft: „Wissen Sic,
meine Gnädige, ich werde mir Ihre Pantoffel mit nach Hause
nehmen und sie mit meinem großen Apparat magnetisiren.
Das Eisen thut oft unglaubliche Wirkungen." — „Thun Sic
das, bester Doctor!" sagte die Dame matt. „Man muß ja
Alles versuchen, was helfen kann — und nicht hilft!" setzte
sie in Gedanken hinzu.
Der Doctor ging. Im Vorgemach trat ihm Lisette ent-
gegen. „Ich nehme sie mit!" rief er dem Mädchen zu, um
sie daheim zu magnetisiren!" und hielt ihr die Pantoffel hin.
„Wickeln Sie sie in Papier, liebes Kind!" — „Ach ja, Herr
Doctor," cntgegnete das Mädchen, „es wäre schrecklich, einen
der eleganten Schuhe zu verlieren! Es sind die Lieblings-
pantoffel meiner armen Gnädigen, sie war so böse, als ich
vergessen hatte, sie nach Wässerlingen mitzunehmen — so, Herr
Doctor, habe die Ehre!" Die Hausthür flog auf und zu,
und der Doctor nach seiner Behausung, wo er sofort aus einer
Kiste einen schilleren Hammer hcrvorzog und sich in seine Studier-
stube einschloß. Belauschen wir nun den Wundermann, wie
er die Schuhe der Frau von Rautenklee magnetisirte. Er
stellte die mit riesigen Absätzen versehenen Pantoffel vor sich
auf den Tisch und bearbeitete deren Inneres eifrigst mit den:
Hammer. „Ja, das Eisen muß Vieles heilen," brummte er,
„glaub's gerne, daß die Gute unerträgliche Schmerzen hatte!
Da geht sie nun seit Monaten auf den spitzen Holzpflöckchen
herum, mit welchen die Stöckel an diese Malefizschuhe befestigt
sind und die durch das Seidcnfutter stechen, hnhaha! Ein Hoch
meinen Herren Kollegen! Aber seid ruhig, Freunde — ich bin
ein guter Kamerad, und vor Allem: Ein Wunderdoctor! So,
nun wird der Magnetismus die arme Rautenklee gründlich ge-
heilt haben!" schloß er, das nun ganz glatte Innere der Schuhe
befühlend, „und ich habe ein neues Wunder vollbracht."
Und so war es auch. Frau von Rautcnklee bekam ihr
fatales Leiden nie wieder, der Wunderdoctor aber einen großen
Ruf. Die Dankbarkeit seiner Patientinnen verhalf ihm zu Reich-
thum und einem ganzen Museum von Stickereien; die schönsten
darunter stannntcn von Frau von Rautenklee. Die Hände der
Dame mußten den Dank der Füße abstattcn.
M. M.
Aus dem Examen.
„Sagen Sie mir einmal, Herr Candidat, was halten Sie
für die Grundbedingung des menschlichen Daseins?" — „Die
Zeit, Herr Professor!" — „Wie meinen Sie das?" — „Sehr
einfach! Wie kann ein Mensch cxistiren, wenn er nicht die
Zeit dazu hat!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine traurige Geschichte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)