Eine Spitzengeschichte.
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wahr: Wenn die Noth am größten, ist unser lieber Herrgott
mit seiner Hilfe am nächsten. Nun Sie aber Kapitalistin ge-
worden sind," setzte er mit komischem Ernste hinzu, „so lassen
Sie uns nun berathen, was wir mit dem vielen Gelde anfangen.
Ich möchte Sie eigentlich am liebsten bitten, mich zum Ver-
walter desselben zu ernennen — wenn Sie genug Vertrauen zu
mir haben — natürlich. Sehen Sie, so einem alten Frauchen,
wie Ihnen, kann so verschiedenes passiren — es gibt ja leider
viel schlechte Menschen in der Welt. Da möchte ich Ihnen
! denn Vorschlägen, daß wir das Geld in die Sparkasse legen
und Sie sich dann nach Bedarf Zinsen und Capital bei mir
abholen — so viel Sie brauchen. Damit wir aber das Capital
nicht zu sehr angreifen und damit Sie auch einen kleinen Zeit-
vertreib haben, will ich gern hie und da für eine Arbeit sorgen,
die Sie nicht anstrengt, und mit deren Erlös Sie Ihre Ein-
künfte vervollständigen können. Sind Sie damit einverstanden?"
Ein Strom von Dankesthränen schoß statt aller Antwort
aus den Augen der nun so beglückten Frau. Hastig suchte sie
nach den Händen ihres Wohlthäters, um sic zu küssen, aber
eben so rasch entzog sie ihr dieser, um seine eigenen Thräncn
damit zu verbergen. Scherzend suchte er sich den überströmenden
Aeußerungen ihres mächtigen Dankgefühles zu entziehen und
entließ sie endlich mit beseeligtem Herzen und sorgenloser Aus-
sicht in die Zukunft. Wankend, wie im Traume, erreichte unser
Mütterchen ihr armseliges Stübchen wieder. Es war schon spät
am Abend geworden, als sie dort ankam. Tiefe Dunkelheit
und eine feuchte Kälte herrschte darin; aber ohne dessen zu
achten — ohne Licht zu machen — kniete sie inmitten des engen
Raumes nieder und sendete ein heißes, inniges Dankgebct zum
Himmel für die so glückliche Wendung ihres bisher so bitteren
Geschickes, und flehte alle seine Segen auf das Haupt ihres
Retters herab.
Wohl mag am Schlüsse ihres brünstigen Gebetes noch eine
Bitte mit eingelaufen sein — eine Bitte für das Schicksal
ihres Sohnes, ihres einzigen Kindes — welches unter die Tobten
zu zählen sich ihr Mutterherz nimmermehr entschließen konnte.
Wenn der jetzt in diesem Augenblicke erschienen wäre — ver-
kommen, abgezehrt, als Flüchtling vor der Hand des Gesetzes
— sie hätte alles, was sie eben erhalten, mit Freuden hin-
gegeben, um ihn zu retten, um ihn zu schützen — sie hätte
mit Freuden von Vorne angefangcn zu hungern und zu frieren,
um nur ihn zu speisen und zu kleiden.
So sind die Mutterherzen. Ihr Sohn aber war wohl
todt — genug, er kam nicht mehr, und so geschah alles, wie
der Spitzenhändlcr es geplant hatte.
Zwei Jahre lebte unser Mütterchen noch, theils von ihrem
Gelde, theils vom Erlöse der kleinen Arbeiten, mit welchen sie
der Kaufmann getreulich versah, und als sie starb, waren von
jenem Tausender noch volle zweihundert Gulden übrig. Diese
wurden ihrem letzten frommen Wunsche gemäß theils zur be-
scheidenen Bestattung ihrer Leiche, theils zur Verthcilung an die
Armen ihrer Umgebung verwendet.
-t- *
*
Unser biederer Bürger aber saß unlängst im trauten
Freundeskreise am Stammtische seines gewohnten Gasthauses.
Die Gesellschaft befand sich in der besten Stimmung — es
war schon zu vorgerückter Nachtzeit — und man unterhielt sich
von mancherlei Dingen, hauptsächlich aber mit Erinnerungen
aus dem alten, lustigen, gemüthvollen Wien. Jedes der ver-
sammelten, bemoosten Häupter hatte etwas zu erzählen — einen
tollen Streich aus seiner Jugend, eine ernstere Geschichte aus
seinen Mannesjahren. Nur unser Bekannter schwieg. — Da
faßte ihn ein Freund am Arme und forderte ihn energisch auf,
doch auch sein Theil zu beichten und nicht immer nur schweig-
sam zuzuhören. Lange ließ er sich bitten, aber als endlich
die ganze Gesellschaft ihn bestürmte, gab er nach und erzählte
anspruchslos in schlichten Worten und gedämpftem Tone obige
Begebenheit.
Die Augen waren ihm feucht geworden, als er mit den
Worten schloßt „Dieß war der schönste Tag in meinem Leben."
Seine Freunde, die bis dahin andächtig seiner Erzählung ge-
lauscht, brachen jetzt in lauten Jubel aus. „Prosit, bravo
Kamerad! Sollst leben, Alter!" klang es von allen Seiten,
und die Gläser klirrten lustig durcheinander,
Abseits von dieser schönen Scene aber saß einsam und
allein der Schreiber dieser Zeilen hinter seinem Glase — außer
der Gesellschaft nur noch der einzige Anwesende. Ohne es zu
wollen, hatte er an der Unterhaltung der Gesellschaft theil-
genommen, gleich dieser der Erzählung gelauscht und gleich ihr
seine Helle Freude d'ran gehabt.
Ist cs nun der vorstehenden Wiedergabe derselben gelungen,
dem freundlichen Leser auch nur einen Theil jener Freude nach-
empfinden zu lassen, so ist ihr Zweck vollständig erfüllt.
Iran? pseuffer.
Gründers Trost.
„Wer Wechsel geritten, Gummi gefahren, Pleite ge-
gangen — der kann auch einmal sitzen!"
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wahr: Wenn die Noth am größten, ist unser lieber Herrgott
mit seiner Hilfe am nächsten. Nun Sie aber Kapitalistin ge-
worden sind," setzte er mit komischem Ernste hinzu, „so lassen
Sie uns nun berathen, was wir mit dem vielen Gelde anfangen.
Ich möchte Sie eigentlich am liebsten bitten, mich zum Ver-
walter desselben zu ernennen — wenn Sie genug Vertrauen zu
mir haben — natürlich. Sehen Sie, so einem alten Frauchen,
wie Ihnen, kann so verschiedenes passiren — es gibt ja leider
viel schlechte Menschen in der Welt. Da möchte ich Ihnen
! denn Vorschlägen, daß wir das Geld in die Sparkasse legen
und Sie sich dann nach Bedarf Zinsen und Capital bei mir
abholen — so viel Sie brauchen. Damit wir aber das Capital
nicht zu sehr angreifen und damit Sie auch einen kleinen Zeit-
vertreib haben, will ich gern hie und da für eine Arbeit sorgen,
die Sie nicht anstrengt, und mit deren Erlös Sie Ihre Ein-
künfte vervollständigen können. Sind Sie damit einverstanden?"
Ein Strom von Dankesthränen schoß statt aller Antwort
aus den Augen der nun so beglückten Frau. Hastig suchte sie
nach den Händen ihres Wohlthäters, um sic zu küssen, aber
eben so rasch entzog sie ihr dieser, um seine eigenen Thräncn
damit zu verbergen. Scherzend suchte er sich den überströmenden
Aeußerungen ihres mächtigen Dankgefühles zu entziehen und
entließ sie endlich mit beseeligtem Herzen und sorgenloser Aus-
sicht in die Zukunft. Wankend, wie im Traume, erreichte unser
Mütterchen ihr armseliges Stübchen wieder. Es war schon spät
am Abend geworden, als sie dort ankam. Tiefe Dunkelheit
und eine feuchte Kälte herrschte darin; aber ohne dessen zu
achten — ohne Licht zu machen — kniete sie inmitten des engen
Raumes nieder und sendete ein heißes, inniges Dankgebct zum
Himmel für die so glückliche Wendung ihres bisher so bitteren
Geschickes, und flehte alle seine Segen auf das Haupt ihres
Retters herab.
Wohl mag am Schlüsse ihres brünstigen Gebetes noch eine
Bitte mit eingelaufen sein — eine Bitte für das Schicksal
ihres Sohnes, ihres einzigen Kindes — welches unter die Tobten
zu zählen sich ihr Mutterherz nimmermehr entschließen konnte.
Wenn der jetzt in diesem Augenblicke erschienen wäre — ver-
kommen, abgezehrt, als Flüchtling vor der Hand des Gesetzes
— sie hätte alles, was sie eben erhalten, mit Freuden hin-
gegeben, um ihn zu retten, um ihn zu schützen — sie hätte
mit Freuden von Vorne angefangcn zu hungern und zu frieren,
um nur ihn zu speisen und zu kleiden.
So sind die Mutterherzen. Ihr Sohn aber war wohl
todt — genug, er kam nicht mehr, und so geschah alles, wie
der Spitzenhändlcr es geplant hatte.
Zwei Jahre lebte unser Mütterchen noch, theils von ihrem
Gelde, theils vom Erlöse der kleinen Arbeiten, mit welchen sie
der Kaufmann getreulich versah, und als sie starb, waren von
jenem Tausender noch volle zweihundert Gulden übrig. Diese
wurden ihrem letzten frommen Wunsche gemäß theils zur be-
scheidenen Bestattung ihrer Leiche, theils zur Verthcilung an die
Armen ihrer Umgebung verwendet.
-t- *
*
Unser biederer Bürger aber saß unlängst im trauten
Freundeskreise am Stammtische seines gewohnten Gasthauses.
Die Gesellschaft befand sich in der besten Stimmung — es
war schon zu vorgerückter Nachtzeit — und man unterhielt sich
von mancherlei Dingen, hauptsächlich aber mit Erinnerungen
aus dem alten, lustigen, gemüthvollen Wien. Jedes der ver-
sammelten, bemoosten Häupter hatte etwas zu erzählen — einen
tollen Streich aus seiner Jugend, eine ernstere Geschichte aus
seinen Mannesjahren. Nur unser Bekannter schwieg. — Da
faßte ihn ein Freund am Arme und forderte ihn energisch auf,
doch auch sein Theil zu beichten und nicht immer nur schweig-
sam zuzuhören. Lange ließ er sich bitten, aber als endlich
die ganze Gesellschaft ihn bestürmte, gab er nach und erzählte
anspruchslos in schlichten Worten und gedämpftem Tone obige
Begebenheit.
Die Augen waren ihm feucht geworden, als er mit den
Worten schloßt „Dieß war der schönste Tag in meinem Leben."
Seine Freunde, die bis dahin andächtig seiner Erzählung ge-
lauscht, brachen jetzt in lauten Jubel aus. „Prosit, bravo
Kamerad! Sollst leben, Alter!" klang es von allen Seiten,
und die Gläser klirrten lustig durcheinander,
Abseits von dieser schönen Scene aber saß einsam und
allein der Schreiber dieser Zeilen hinter seinem Glase — außer
der Gesellschaft nur noch der einzige Anwesende. Ohne es zu
wollen, hatte er an der Unterhaltung der Gesellschaft theil-
genommen, gleich dieser der Erzählung gelauscht und gleich ihr
seine Helle Freude d'ran gehabt.
Ist cs nun der vorstehenden Wiedergabe derselben gelungen,
dem freundlichen Leser auch nur einen Theil jener Freude nach-
empfinden zu lassen, so ist ihr Zweck vollständig erfüllt.
Iran? pseuffer.
Gründers Trost.
„Wer Wechsel geritten, Gummi gefahren, Pleite ge-
gangen — der kann auch einmal sitzen!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gründers Trost"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 71.1879, Nr. 1778, S. 58
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg