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Das Gasthaus zur Eisnase.
„Sehen Sie doch, welch' ein Betrüger — die Marke
ist vom vorigen Jahr! Sagen Sie mir, wer ist er
denn?"
Beauty erbebte bei dieser Frage. „Nun, wenn
Sie es wissen wollen — mein Bräutigam!"
„Wie, Ihr —" aber er brachte das Wort
nicht über die Lefzen. Der garstige Mops, den sie
den ganzen Abend mehr als gemieden hatte, und
der ihre Mutter mit Zähnefletschen begrüßte — ihr
Bräutigam! Flick wußte Alles und Nichts. Wie
konnte sie sich an solch' ein Scheusal fesseln — das war
ja wie ein Spott auf ihr ganzes Wesen!
Beauty hatte wieder die Herrschaft über sich
gewonnen und fliisterte ihrer bestürzten Mutter einige
beruhigende Worte zu; dann wendete sie sich zu Flick,
legte ihre Pfote in die seine und sprach: „Flick,
Sie flößen mir Vertrauen ein. Hören Sie denn mein
Verhängnis;: Bis vor acht Tagen war ich das
heiterste und sorgloseste Geschöpf von der Welt.
Ich lief und sprang, wie es mich freute, und
that Niemand etwas zu Leide; denn Katzen gab's bei uns
keine. Denken Sie nur, da brach in N., wo ich mit meiner
Mutter still und zufrieden hauste, die Wuthkrankheit aus;
und wer auch nur mit einem Wuth - Befallenen in Be-
rührung gekommen war, deß Leben verfiel der Strenge des
Gesetzes. Neulich lag meine Mutter allein in ihrer Hütte, als
auf einmal der wuthkranke Hassan herbeistürzte; meine Mutter
hatte noch Geistesgegenwart genug, ihr Wasserbecken auf ihn
zu stoßen, worauf er entfloh. Aber kaum war dies geschehen,
als der Mops mit teuflischem Grinsen heranhinkte — Sie
sehen, sein linkes Hinterbein ist zu kurz — er hatte Alles
gesehen. Alles errathen. Als ich nach Hanse kam, traf ich
meine Mutter, dem Mopse zu Füßen, psotenringend um ihr
Leben flehend. Der Bube grinste so eigenthümlich, als wollte
er den Kaufpreis seines Schweigens, woran ihr Leben hing,
angeben; ich habe seither den Gedanken nicht lassen können,
als habe er selbst den unglücklichen Hassan zu meiner Mutter
gelockt. — „Ah, da kommt ja Beauty!" rief er. „Wie schön
Sie geworden sind, Beauty!" Ich blickte ihn verächtlich an,
er aber kehrte sich nicht daran und fuhr, zu meiner Mutter
gewendet, fort: „Wie wäre cs, gnädige Frau, wenn wir diese
malheureuse Affaire dadurch beendeten, daß ich Ihr — Schwieger-
sohn würde?!" Meine Mutter zitterte noch mehr als zuvor;
eine peinliche Minute verging, aber ich wußte, was ich meiner
Mutter schuldig war — morgen, hier in X., soll unsere —■
Hochzeit sein!"
Beauty endete, indem sic in leises Winseln ausbrach; Flick
brachte kein Wort hervor — die Geschichte war zu einfach und
doch zu furchtbar. Er wagte nicht, ihren Schmerz durch ein
Wort zu stören, denn das wahre Mitleid kennt kein Winseln
und kein Wedeln. Mitleid? •— Er fühlte schon mehr, als
das, und seine Nase erglühte bei dem Gedanken, von diesem
holden Wesen für immer scheiden zu sollen.
Der freche Mops schien sich der Pflichttreue des Engels
bewußt, dessen Besitz er sich anmaßte; er erschien wieder in der
Nähe der beiden Hündinen, um sic zum Aufbruch zu zwingen.
Beauty erhob sich und reichte Flick die Pfote. „Also auf
immer?"
„Auf immer!" flüsterte Beauty. „Denken Sie manch-
mal an mich!" Flick verlor fast die Besinnung; er sah sie
fortziehen und wußte nicht, was beginnen.
Schon waren sie nur mehr ivenige Schritte vom Ansgang
entfernt, als plötzlich draußen ein großer Lärm entstand, die
Das Gasthaus zur Eisnase.
„Sehen Sie doch, welch' ein Betrüger — die Marke
ist vom vorigen Jahr! Sagen Sie mir, wer ist er
denn?"
Beauty erbebte bei dieser Frage. „Nun, wenn
Sie es wissen wollen — mein Bräutigam!"
„Wie, Ihr —" aber er brachte das Wort
nicht über die Lefzen. Der garstige Mops, den sie
den ganzen Abend mehr als gemieden hatte, und
der ihre Mutter mit Zähnefletschen begrüßte — ihr
Bräutigam! Flick wußte Alles und Nichts. Wie
konnte sie sich an solch' ein Scheusal fesseln — das war
ja wie ein Spott auf ihr ganzes Wesen!
Beauty hatte wieder die Herrschaft über sich
gewonnen und fliisterte ihrer bestürzten Mutter einige
beruhigende Worte zu; dann wendete sie sich zu Flick,
legte ihre Pfote in die seine und sprach: „Flick,
Sie flößen mir Vertrauen ein. Hören Sie denn mein
Verhängnis;: Bis vor acht Tagen war ich das
heiterste und sorgloseste Geschöpf von der Welt.
Ich lief und sprang, wie es mich freute, und
that Niemand etwas zu Leide; denn Katzen gab's bei uns
keine. Denken Sie nur, da brach in N., wo ich mit meiner
Mutter still und zufrieden hauste, die Wuthkrankheit aus;
und wer auch nur mit einem Wuth - Befallenen in Be-
rührung gekommen war, deß Leben verfiel der Strenge des
Gesetzes. Neulich lag meine Mutter allein in ihrer Hütte, als
auf einmal der wuthkranke Hassan herbeistürzte; meine Mutter
hatte noch Geistesgegenwart genug, ihr Wasserbecken auf ihn
zu stoßen, worauf er entfloh. Aber kaum war dies geschehen,
als der Mops mit teuflischem Grinsen heranhinkte — Sie
sehen, sein linkes Hinterbein ist zu kurz — er hatte Alles
gesehen. Alles errathen. Als ich nach Hanse kam, traf ich
meine Mutter, dem Mopse zu Füßen, psotenringend um ihr
Leben flehend. Der Bube grinste so eigenthümlich, als wollte
er den Kaufpreis seines Schweigens, woran ihr Leben hing,
angeben; ich habe seither den Gedanken nicht lassen können,
als habe er selbst den unglücklichen Hassan zu meiner Mutter
gelockt. — „Ah, da kommt ja Beauty!" rief er. „Wie schön
Sie geworden sind, Beauty!" Ich blickte ihn verächtlich an,
er aber kehrte sich nicht daran und fuhr, zu meiner Mutter
gewendet, fort: „Wie wäre cs, gnädige Frau, wenn wir diese
malheureuse Affaire dadurch beendeten, daß ich Ihr — Schwieger-
sohn würde?!" Meine Mutter zitterte noch mehr als zuvor;
eine peinliche Minute verging, aber ich wußte, was ich meiner
Mutter schuldig war — morgen, hier in X., soll unsere —■
Hochzeit sein!"
Beauty endete, indem sic in leises Winseln ausbrach; Flick
brachte kein Wort hervor — die Geschichte war zu einfach und
doch zu furchtbar. Er wagte nicht, ihren Schmerz durch ein
Wort zu stören, denn das wahre Mitleid kennt kein Winseln
und kein Wedeln. Mitleid? •— Er fühlte schon mehr, als
das, und seine Nase erglühte bei dem Gedanken, von diesem
holden Wesen für immer scheiden zu sollen.
Der freche Mops schien sich der Pflichttreue des Engels
bewußt, dessen Besitz er sich anmaßte; er erschien wieder in der
Nähe der beiden Hündinen, um sic zum Aufbruch zu zwingen.
Beauty erhob sich und reichte Flick die Pfote. „Also auf
immer?"
„Auf immer!" flüsterte Beauty. „Denken Sie manch-
mal an mich!" Flick verlor fast die Besinnung; er sah sie
fortziehen und wußte nicht, was beginnen.
Schon waren sie nur mehr ivenige Schritte vom Ansgang
entfernt, als plötzlich draußen ein großer Lärm entstand, die
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Gasthaus zur Eisnase"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)