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74

„Znm Vergnügen."

Herr Müller kommt mit einem Geschäftsfreunde brieflich über-
ein, mit ihm an einem bestimmten Tage in Rauchenberg zusammen-
zutreffen. Rauchenberg ist eine Industriestadt, die mehr hohe Kamine
als Häuser hat, aber sie liegt so ziemlich in der Mitte der beider-
seitigen Wohnorte und ist also zu dem Rendezvous geeignet. In
Rauchenberg am bestimmten Tage eingetroffen, erfährt Herr Müller
durch ein Telegramm des Geschäftsfreundes, daß dieser erst drei
Tage später eintreffen könne. Was thun? Umkehren und noch
einmal nach drei Tagen die Reise machen, oder dableiben und
warten? Herr Müller entscheidet sich für's Letztere und bleibt in
Rauchenberg.

Der Gasthof, in denl er abgestiegen ist, gefällt ihm ganz
gut und lvie ihm das Fremdenbuch vorgelegt wird, schreibt er in
die Rubrik: Zweck des Aufenthalts: „Zum Vergnügen!" Schon
der erste Nachmittag und Abend überzeugt Herrn Müller, daß es
mit dem Vergnügen in Rauchenberg nicht viel auf sich habe.
Menschenleere Straßen, von Kohlenstaub geschwärzte Häuser, einige
kümmerliche Anlagen vor der Stadt — das war Alles. Doch Herr
Müller ruht einmal von seinen Geschäften gründlich aus; — so
ein Paar Tage Ruhe, ohne Verdruß und Aerger, wie sie der Beruf
mit sich bringt, ist auch ein Vergnügen.

Schon sind 24 Stunden überstanden. Herr Müller läßt sich's
an der tabls cl'Uüts vortrefflich schmecken, obwohl kaum sechs
Personen an derselben theilnehmen, darunter ein Herr mit einer

blauen Brille, der ihm gegenüber Platz genommen hatte, ohne
irgend wie sich an der Unterhaltung der Tischgäste zu betheiligen.
Rach dem Essen macht Herr Müller auf seinem Zimmer ein kleines
Schläfchen und will sich dann die Stadt besehen.

Wie er aus dem Hütel tritt, erblickt er wieder den Herrn mit
der blauen Brille, der auf der
Straße gewartet zu haben schien
und ihm alsbald auf seinem
Spaziergang folgte.

Herr Müller macht eine Pro-
menade um die Stadt; der Herr
mit der blauen Brille geht den-
selben Weg. Herr Müller kehrt
wieder um; der Herr mit der
blauen Brille thut desgleichen.

„Zufall," denkt sich Herr Müller
und biegt in die Stadt ein. Er
durchkreuzt dieselbe nach allen
Richtungen; der Herr mit der
blauen Brille folgt ihm überall.

So oft Müller durch Einbiegen
in eine Seitengasse seines Verfolgers los geworden zu sein hofft,

alsbald taucht an der nächsten
Ecke derselbe wieder auf und setzt
hinter ihm den Spaziergang fort,
als wäre er Müllers Schatten.

Aergerlich kehrt Herr Müller
in sein Hütel zurück und begibt
sich früh zu Bette. Am nächsten
Morgen, als er das Hütel ver-
läßt, da ist auch der Herr mit
der blauen Brille wieder hin-
ter ihm. Er geht auf den Bahn-
hof — der Herr mit der blauen
Brille auch; er tritt in die Re-
stauration — der Herr mit der
blauen Brille ebenso. Verdrieß-
lich begehrt Herr Müller einen
Schoppen — der Herr mit der blauen Brille gleichfalls. Müller zahlt
und geht ohne ausgetrunken zu haben — der Herr mit der blauen
Brille zahlt auch, trinkt aber rasch aus und folgt ihm.

„Herr", ruft Müller zornig, „wie kommen Sie dazu, mich heute
wieder zu verfolgen?" Der Herr mit der blauen Brille lächelt ver-
bindlich, ohne ein Wort zu entgegnen, aber er folgt Herrn Müller
bis an das Hütel, in das dieser wieder zurückeilt.

„Wer ist denn dieser unverschämte Kerl, der mir seit gestern
nachlauft?" fragt Müller den Kellner. Aber der Kellner lächelt
gleichfalls und thut, als wisse er nicht, wen Herr Müller meine.

„Nun der Herr mit der blauen Brille", ruft Müller ärgerlich,
„der gestern an der tavls el'lrüts speiste." Das Gedächtniß des
Kellners versagt scheinbar den Dienst — er weiß von keinem Herrn
mit blauer Brille. Müller eilt auf sein Zimmer, um nach ein

paar Stunden wieder einen Gang
durch die Stadt zu machen. Gott-
lob, wie er aus dem Hause tritt
und sich nach allen Seiten um-
sieht, da ist nichts mehr von
dem Herrn mit der blauen Brille
zu entdecken, aber kaum ist Herr
Müller einige Straßen weit ge-
gangen, da erblickt er den lästigen
Gesellen wieder. „Nun mach'
ich aber kurzen Prozeß", denkt
Herr Müller bei sich, „wenn der
Kerl mich wieder verfolgt, laß'
ich ihn arretiren." Ans diesen
Gedaitken brachte ihn ein Polizei-
diencr, den er beim Verlassen des

Hütels wahrgenommen hatte und
der nun auf demgegenüberliegen-
den Trottoire langsam dahin pa-
trouillirte. Nichtig, der Herr mit
der blauen Brille setzt die Ver-
folgung wie gestern und heute
Morgens auch jetzt wieder fort.
„Nun Hab' ich'S satt", ruft Herr
Müller ärgerlich und eilt auf den
Polizeidiener zu, der an einer
Straßenecke stehen geblieben war.
„Verschaffen Sie mir Ruhe vor
diesem lästigen Verfolger!" sagt
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Zum Vergnügen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1885
Entstehungsdatum (normiert)
1880 - 1890
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 83.1885, Nr. 2093, S. 74
 
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