162
Der gute Onkel.
lieben Kinderln!"
Ein Abenteuer in der Residenz.
(Fortsetzung.)
„Wenn der Referendar doch nicht so ganz Unrecht hätte",
murmelte er vor sich hin, „es wäre doch schändlich, wenn —
Halt", unterbrach er seinen Monolog, „ich consultire meine
Marie und deren Vater, und wenn auch sie es für besser halten,
dann in Gottes Namen." Er wagte es nicht, den Gedanken
auszudenken, strich seufzend seine Locken in den Nacken und be-
gab sich in fliegender Eile zum Kreisphysikus. Marie lächelte
hoffnungsfreudig, als Nikodemus ihr die Depesche in die Hand
drückte, und der Kreisphysikus klopfte, ihm Glück wünschend,
freundlich auf die Schulter. Etwas verlegen und zögernd brachte
nun Käserling die Rede ans sein Lockenhaupt und erzählte, was
der Referendar für Bedenken gegen dasselbe geäußert. Der alte
Kreisphysikus lachte zwar und meinte, der Referendar sei ein
Schelm; dann aber fügte er doch ganz ernsthaft hinzu: „Ich
kenne Ihre kleine Schwäche betreffs Ihrer Aehnlichkeit mit
unserem großen Nationaldichter, lieber Käferling, und es würde
mir nie eingefallen sein. Ihnen etwas darüber zu sagen, denn
Sie sind sonst ein anständiger und fleißiger Mensch und ein
tüchtiger Apotheker. Im Allgemeinen aber halte ich cs für
besser, wenn man alles Auffällige vermeidet, und da Sie, lieber
Provisor, nun doch einmal kein Dichter, sondern ein ehrsamer
Provisor sind, so ist es gewiß besser, wenn Sic dem Cultus-
minister auch äußerlich keinen Zweifel iibcr Ihren Beruf lassen.
Denn darin hat der Referendar gelviß recht, daß mit großen
Herren nicht immer gut Kirschen essen ist, und gerade im Um-
gänge mit diesen das Sprüchwort von den kleinen Ursachen und
großen Wirkungen oft genug zur Wahrheit wird."
Nach dieser Rede des Kreisphysikus seufzte Nikodemus tief
auf und, nach einem zärtlichen Blick ans Marie, sagte er mit
trübem Lächeln: „Nun denn, ich füge mich der Nothwendigkeit,
und das Verderben gehe seinen Gang."
Der alte Kreisphysikus gab ihm seine besten Glückwünsche
mit auf den Weg, und Marie versicherte ihm nach einem langen
Abschiedsknsse unter der Hausthüre: wenn nur Alles gut ginge,
so würde auch eine andere Haarfrisnr nichts in ihrer Liebe zu
ihm ändern.
Einen Augenblick dachte Käferling noch daran, trotz der
vorgerückten Abendstunde den Barbier des Ortes aufzusuchen
und sein Dichterhaupt der unerbittlichen Scheere desselben an-
zuvertrauen ; aber bald besann er sich eines Besseren: nur einem
Residenz-Friseur sollte diese wichtige Prozedur anvertraut werden.
Als Nikodemus Käferling am anderen Morgen mit der
schweren Postchaise und unter schmetternder Hornfanfare des
Postillons am Hause des Kreisphysikus vorüberrollte, erhaschte
er noch eine Kußhand seiner Marie, und pochenden Herzens
ging es nun der Residenz entgegen. Glücklich und zur be-
stimmten Stunde erreichte er auch die Bahnstation und vertraute
sich dort dem Dampfroß an. Schon >var die Hälfte des Wegs
Der gute Onkel.
lieben Kinderln!"
Ein Abenteuer in der Residenz.
(Fortsetzung.)
„Wenn der Referendar doch nicht so ganz Unrecht hätte",
murmelte er vor sich hin, „es wäre doch schändlich, wenn —
Halt", unterbrach er seinen Monolog, „ich consultire meine
Marie und deren Vater, und wenn auch sie es für besser halten,
dann in Gottes Namen." Er wagte es nicht, den Gedanken
auszudenken, strich seufzend seine Locken in den Nacken und be-
gab sich in fliegender Eile zum Kreisphysikus. Marie lächelte
hoffnungsfreudig, als Nikodemus ihr die Depesche in die Hand
drückte, und der Kreisphysikus klopfte, ihm Glück wünschend,
freundlich auf die Schulter. Etwas verlegen und zögernd brachte
nun Käserling die Rede ans sein Lockenhaupt und erzählte, was
der Referendar für Bedenken gegen dasselbe geäußert. Der alte
Kreisphysikus lachte zwar und meinte, der Referendar sei ein
Schelm; dann aber fügte er doch ganz ernsthaft hinzu: „Ich
kenne Ihre kleine Schwäche betreffs Ihrer Aehnlichkeit mit
unserem großen Nationaldichter, lieber Käferling, und es würde
mir nie eingefallen sein. Ihnen etwas darüber zu sagen, denn
Sie sind sonst ein anständiger und fleißiger Mensch und ein
tüchtiger Apotheker. Im Allgemeinen aber halte ich cs für
besser, wenn man alles Auffällige vermeidet, und da Sie, lieber
Provisor, nun doch einmal kein Dichter, sondern ein ehrsamer
Provisor sind, so ist es gewiß besser, wenn Sic dem Cultus-
minister auch äußerlich keinen Zweifel iibcr Ihren Beruf lassen.
Denn darin hat der Referendar gelviß recht, daß mit großen
Herren nicht immer gut Kirschen essen ist, und gerade im Um-
gänge mit diesen das Sprüchwort von den kleinen Ursachen und
großen Wirkungen oft genug zur Wahrheit wird."
Nach dieser Rede des Kreisphysikus seufzte Nikodemus tief
auf und, nach einem zärtlichen Blick ans Marie, sagte er mit
trübem Lächeln: „Nun denn, ich füge mich der Nothwendigkeit,
und das Verderben gehe seinen Gang."
Der alte Kreisphysikus gab ihm seine besten Glückwünsche
mit auf den Weg, und Marie versicherte ihm nach einem langen
Abschiedsknsse unter der Hausthüre: wenn nur Alles gut ginge,
so würde auch eine andere Haarfrisnr nichts in ihrer Liebe zu
ihm ändern.
Einen Augenblick dachte Käferling noch daran, trotz der
vorgerückten Abendstunde den Barbier des Ortes aufzusuchen
und sein Dichterhaupt der unerbittlichen Scheere desselben an-
zuvertrauen ; aber bald besann er sich eines Besseren: nur einem
Residenz-Friseur sollte diese wichtige Prozedur anvertraut werden.
Als Nikodemus Käferling am anderen Morgen mit der
schweren Postchaise und unter schmetternder Hornfanfare des
Postillons am Hause des Kreisphysikus vorüberrollte, erhaschte
er noch eine Kußhand seiner Marie, und pochenden Herzens
ging es nun der Residenz entgegen. Glücklich und zur be-
stimmten Stunde erreichte er auch die Bahnstation und vertraute
sich dort dem Dampfroß an. Schon >var die Hälfte des Wegs
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der gute Onkel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1885 - 1885
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 83.1885, Nr. 2104, S. 162
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg