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Ein Abenteuer
Wuth, Er sprang von seinem Sitze ans und packte den Dicken
an den Rockanfschlägen. „Mann", schrie er zornig, „Pfuscher,
niederträchtiger - Sie - Sie wollen ein Barbier sein?"
„Hoho, hoho, nur immer kaltes Blut!" rief der Dicke da-
zwischen, indem er des wüthenden Provisors Hände von seinem
Rocke löste. „Ich war in meinem ganzen Leben noch nie
Barbier und habe das auch Ihnen gegenüber nie behauptet."
Käferling starrte ihn entsetzt an. „Sic sind nicht Barbier?"
stammelte er; „ja was sind Sie denn?"
Der Dicke verbeugte sich höflich. „Ich bin der Schiffs-
kapitain Smith, jetzt Bibliothekar im Kriegsministerium."
Der Provisor war das leibhaftige Bild des Jammers. Er
schnappte mühsam nach Luft wie ein Frosch. „Entschuldigen
Sic, Herr Kapitain, aber die Ledertasche
„Enthält meine Notizen, die ich mir bei meinem tägliche»
Besuche der königlichen Bibliothek für meine schriftstellerischen
Arbeiten zu machen pflege."
„Diese unglückselige Verwechslung!" stotterte Käserling;
„aber, mein Herr, wie konnten Sic nur ivirklich darauf cin-
gehcn, mir die Haare zu schneiden?"
„Ich bin ein sehr gutmüthiger Mensch", lachte der Dicke,
„und da Sic diese Prozedur als eine Gefälligkeit von mir
forderten, mich auch sonst gar nicht zu Worte kommen ließen, so
that ich Ihnen den Willen — und nicht ungern", fügte er mit
seinem Spott hinzu, „denn so wenig Anlage ich auch zum Friseur
zu haben scheine, vernünftiger sehen Sie jetzt immerhin aus,
als mit der Löwenmähne. Und nun, lieber Freund, eilen Sie
zum Minister und grüßen Sie den alten Herrn von mir.
Wenn er sich über Ihre Haarfrisur wundern sollte, dann er-
zählen Sie ihm nur, daß Ich Sie frisirt habe!" Mit diesen Wor-
ten und mit freundlichem Kopfnicken nahm der Schiffskapitain und
Bibliothekar Hut und Tasche und stampfte zur Thüre hinaus.
Dem unglücklichen Käserling standen die Thränen in den
Augen, und einen Moment dachte er wirklich daran, die Audienz
bei dein Minister im Stiche zu lassen. Dann aber faßte er
sich männlich und begann, sein entsetzlich verstümmeltes Haupt
mit Kamm und Bürste zu bearbeiten. Nachdem er es soweit
hergerichtet, als es ihm die unglücklichen Verhältnisse nur irgend
gestatteten — einen Blick in den Spiegel wagte er gar nicht
mehr zu werfen - vollendete er in fliegender Eile seine Toilette.
Als er die Thüre schon geöffnet hatte und im Begriff ivar,
das Zimmer zu verlassen, warf Käferling noch einen letzten
wehmüthigen Blick auf die ihm so schmählich geraubte Haupt-
zier. Etwas abseits von der übrigen Haarmasse lag eine be-
sonders zierliche, geringelte
Locke — sie beschloß der
Provisor aus der allgemeinen
Verwüstung zum ewigen
Gcdüchtniß an diesen Un-
glückstag zu retten. „Für
Marien", murmelte er, als
er die Locke, sorgfältig in
Papier gehüllt, aus dem
Schreibtische deponirtc. -
in der Residenz.
Punkt neun Uhr trat Käferling in das Vorzimmer des
Ministers, und wenige Minuten später stand er mit klopfendem
Herzen vor Seiner Excellenz.
„Herr Käferling?" fragte der Minister.
Der Provisor verbeugte sich tief, als ihn ein lautes Lachen
erschrocken wieder emporfahren, ließ. Es war wirklich der Minister
selbst, der so laut aufgelacht hatte und sich vergebens bemühte,
ein ernsthaftes Gesicht zu machen. Käferling stand ivie ein
armer Sünder vor dein Gestrengen.
„Entschuldigen Sic, Herr Käferling", begann endlich der
Minister, „aber wer um Himmelswillen ist denn Ihr Friseur?
Sie sehen ja ganz entsetzlich aus!" Und die Excellenz begann
von Neuem herzlich zu lachen.
Der arme Provisor glaubte vor Scham in den Boden
sinken zu müssen. Statt der memvrirten Anrede blieb ihm
nun nichts Anderes übrig, als dem Minister das unglückselige
Quiproquo von heute Morgen zu schildern, was den alten
Herrn in die höchste Heiterkeit versetzte.
„Das ist einmal wieder einer von den Geniestreichen meines
originellen alten Freundes Smith", rief der Minister vergnügt,
als der Provisor seine Erzählung beendet hatte. „Nun, trösten
Sie sich, Herr Käferling, Ihre Haare wachsen schon wieder,
und im Uebrigen gehen Sie mit Gott; es soll mich freuen.
Ihnen gute Nachrichten wegen Ihres Concession-Anliegens zu-
kommen lassen zu können."
Damit reichte der Minister ihm gnädig die Hand, und
mit erleichtertem Herzen verließ Käferling das Ministerhütel.
Sein nächster Weg führte ihn zu einem Friseurladen, und unter
den kunstgeübten Händen seines Inhabers erhielt der Provisor
den schönsten Malcontent-Kopf, der je einen Friseurladen ver-
lassen. Käferling kam sich vor wie ein für die Guillotine be-
stimmter Galeerensträfling. Den alten Onkel Medicinalrath
traf er leider nicht zu Hause an; derselbe war an das Kranken-
bett eines vornehmen Patienten, der in einem Badeorte weilte,
gerufen worden. Und so trat denn Käferling unverweilt die
Rückreise nach Messerwitz an. Als er ans der letzten Bahn-
station wieder den Postwagen bestieg, starrte ihn der wohl-
bekannte Postillon mit offenem Munde an. „I Herrjeh, Herr-
Provisor", rief er endlich, „sind Sie's nn, oder sind Sie's
nicht? Was haben sic denn mit Ihnen in der Hauptstadt
Ein Abenteuer
Wuth, Er sprang von seinem Sitze ans und packte den Dicken
an den Rockanfschlägen. „Mann", schrie er zornig, „Pfuscher,
niederträchtiger - Sie - Sie wollen ein Barbier sein?"
„Hoho, hoho, nur immer kaltes Blut!" rief der Dicke da-
zwischen, indem er des wüthenden Provisors Hände von seinem
Rocke löste. „Ich war in meinem ganzen Leben noch nie
Barbier und habe das auch Ihnen gegenüber nie behauptet."
Käferling starrte ihn entsetzt an. „Sic sind nicht Barbier?"
stammelte er; „ja was sind Sie denn?"
Der Dicke verbeugte sich höflich. „Ich bin der Schiffs-
kapitain Smith, jetzt Bibliothekar im Kriegsministerium."
Der Provisor war das leibhaftige Bild des Jammers. Er
schnappte mühsam nach Luft wie ein Frosch. „Entschuldigen
Sic, Herr Kapitain, aber die Ledertasche
„Enthält meine Notizen, die ich mir bei meinem tägliche»
Besuche der königlichen Bibliothek für meine schriftstellerischen
Arbeiten zu machen pflege."
„Diese unglückselige Verwechslung!" stotterte Käserling;
„aber, mein Herr, wie konnten Sic nur ivirklich darauf cin-
gehcn, mir die Haare zu schneiden?"
„Ich bin ein sehr gutmüthiger Mensch", lachte der Dicke,
„und da Sic diese Prozedur als eine Gefälligkeit von mir
forderten, mich auch sonst gar nicht zu Worte kommen ließen, so
that ich Ihnen den Willen — und nicht ungern", fügte er mit
seinem Spott hinzu, „denn so wenig Anlage ich auch zum Friseur
zu haben scheine, vernünftiger sehen Sie jetzt immerhin aus,
als mit der Löwenmähne. Und nun, lieber Freund, eilen Sie
zum Minister und grüßen Sie den alten Herrn von mir.
Wenn er sich über Ihre Haarfrisur wundern sollte, dann er-
zählen Sie ihm nur, daß Ich Sie frisirt habe!" Mit diesen Wor-
ten und mit freundlichem Kopfnicken nahm der Schiffskapitain und
Bibliothekar Hut und Tasche und stampfte zur Thüre hinaus.
Dem unglücklichen Käserling standen die Thränen in den
Augen, und einen Moment dachte er wirklich daran, die Audienz
bei dein Minister im Stiche zu lassen. Dann aber faßte er
sich männlich und begann, sein entsetzlich verstümmeltes Haupt
mit Kamm und Bürste zu bearbeiten. Nachdem er es soweit
hergerichtet, als es ihm die unglücklichen Verhältnisse nur irgend
gestatteten — einen Blick in den Spiegel wagte er gar nicht
mehr zu werfen - vollendete er in fliegender Eile seine Toilette.
Als er die Thüre schon geöffnet hatte und im Begriff ivar,
das Zimmer zu verlassen, warf Käferling noch einen letzten
wehmüthigen Blick auf die ihm so schmählich geraubte Haupt-
zier. Etwas abseits von der übrigen Haarmasse lag eine be-
sonders zierliche, geringelte
Locke — sie beschloß der
Provisor aus der allgemeinen
Verwüstung zum ewigen
Gcdüchtniß an diesen Un-
glückstag zu retten. „Für
Marien", murmelte er, als
er die Locke, sorgfältig in
Papier gehüllt, aus dem
Schreibtische deponirtc. -
in der Residenz.
Punkt neun Uhr trat Käferling in das Vorzimmer des
Ministers, und wenige Minuten später stand er mit klopfendem
Herzen vor Seiner Excellenz.
„Herr Käferling?" fragte der Minister.
Der Provisor verbeugte sich tief, als ihn ein lautes Lachen
erschrocken wieder emporfahren, ließ. Es war wirklich der Minister
selbst, der so laut aufgelacht hatte und sich vergebens bemühte,
ein ernsthaftes Gesicht zu machen. Käferling stand ivie ein
armer Sünder vor dein Gestrengen.
„Entschuldigen Sic, Herr Käferling", begann endlich der
Minister, „aber wer um Himmelswillen ist denn Ihr Friseur?
Sie sehen ja ganz entsetzlich aus!" Und die Excellenz begann
von Neuem herzlich zu lachen.
Der arme Provisor glaubte vor Scham in den Boden
sinken zu müssen. Statt der memvrirten Anrede blieb ihm
nun nichts Anderes übrig, als dem Minister das unglückselige
Quiproquo von heute Morgen zu schildern, was den alten
Herrn in die höchste Heiterkeit versetzte.
„Das ist einmal wieder einer von den Geniestreichen meines
originellen alten Freundes Smith", rief der Minister vergnügt,
als der Provisor seine Erzählung beendet hatte. „Nun, trösten
Sie sich, Herr Käferling, Ihre Haare wachsen schon wieder,
und im Uebrigen gehen Sie mit Gott; es soll mich freuen.
Ihnen gute Nachrichten wegen Ihres Concession-Anliegens zu-
kommen lassen zu können."
Damit reichte der Minister ihm gnädig die Hand, und
mit erleichtertem Herzen verließ Käferling das Ministerhütel.
Sein nächster Weg führte ihn zu einem Friseurladen, und unter
den kunstgeübten Händen seines Inhabers erhielt der Provisor
den schönsten Malcontent-Kopf, der je einen Friseurladen ver-
lassen. Käferling kam sich vor wie ein für die Guillotine be-
stimmter Galeerensträfling. Den alten Onkel Medicinalrath
traf er leider nicht zu Hause an; derselbe war an das Kranken-
bett eines vornehmen Patienten, der in einem Badeorte weilte,
gerufen worden. Und so trat denn Käferling unverweilt die
Rückreise nach Messerwitz an. Als er ans der letzten Bahn-
station wieder den Postwagen bestieg, starrte ihn der wohl-
bekannte Postillon mit offenem Munde an. „I Herrjeh, Herr-
Provisor", rief er endlich, „sind Sie's nn, oder sind Sie's
nicht? Was haben sic denn mit Ihnen in der Hauptstadt
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Abenteuer in der Residenz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1885
Entstehungsdatum (normiert)
1880 - 1890
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 83.1885, Nr. 2105, S. 170
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg