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178 Heirathsantrag des ledigen Advokaten I)r. Prax an die großjährige Justizraths-Waise
Fräulein Lex.
Sehr geschätztes Fräulein!
Ich habe über Ihre Lebensverhältnisse, Ihr Vorleben und Ihre
Charaktereigenschaften behördliche Nachforschungen gepflogen, und
dieselben ergaben ein eminent günstiges Resultat.
Sie sind die erblnsser'sche Tochter des ohne Hinterlassung eines
Testamentes verstorbenen Justizrathes Herrn Lex, haben die Ihnen
ad intestato angefallene Erbschaft „unbedingt" angetreten, sind
gut beleumundet, bisher gerichtlich unbeanstandet, und besteht der
Ihnen laut Bescheid deS Verlassenschaftsgerichtes ddo. 25. Septem-
der 1885 Nr. 20255 ausgeantwortete Nachlaß aus den hypothek-
freien Realitäten in der Grabenstraße Nr. 15 im Schätzwerthe von
180,000 Mark.
Außerdem besitzen Sie eine angenehme Serie von Pfand-
briefen, die Sie verniinstiger Weise bei der Todfallsaufnahme
verheimlichten.
Aus dem Vorhergehenden können Sie mit pupillarmäßiger
Sicherheit schließen, daß ich Sic liebe, und zwar unbändig!
Was meine gesellschaftliche Stellung betrifft, so bin ich Advokat,
mit dem Amtssitze loco, und wird Ihnen mein Name, wenn nicht
aus bedeutenden Prozessen, so- doch sicherlich — aus dem Adreß-
kalender bekannt sein. Ich bin überdies gesucht als Spezialist in
„Hereinbringung dubioser Forderungen" und Arrangirung „wohl-
thucndcr Concurse", bei denen der Aermste meiner Clienten sich
noch immer ein Zinshaus in Baden oder eine kleine Villegiatur
am Königssee als Nothpfennig „retten" konnte.
Bezüglich meines Besitzes gebe ich ab Nachstehendes:
Vertrages, wechselseitigen Testamentes und Jntabulation alles Nöth-
ige veranlasse und Sie sohin ruhig leben, heirathen und — sterben
können. Urkund dessen meine eigenhändige Namensfertigung
Nachtrag. Dr' ^tn5'
Sollten Sie jedoch meinen ebenso vernünftigen als von den
edelsten Intentionen geleiteten Antrag nicht genehmigen und viel-
leicht auf einen Andern invigiliren, so wäre ich gezwungen, Ihnen
nachfolgendes Expensar zu gefälliger Begleichung zu unterbreiten.
Expensar.
Ausführliche, zeitraubende, kostspielige Nachforschungen und amtliche
Erhebungen bezüglich Vermögens, Jugend, Tugend, Herzens-
güte und andere Aktiva.Mark 00.—
Entwurf eines Heirathsanlrages. „ 6.—
Denselben als unpassend vernichtet . „ 2.—
Neuerlicher Entwurf und direkter Heirathsantrag. . „ 105.—
Schrift: Liebeserklärung unter den Symptomen von
Herzerweiterung. „ 10.—
Gemüthsbewegung und an den Tag gelegte Gemüths-
tiefe, 1 Stunde. „ 5.—
Begeisterung, eine Viertelstunde Zeitverlust .... „ 10.—
Eidesstättiges Vermögensbekennlniß, weil sehr umfang-
reich . „ 30.—
Expedition, Manipulation . „ 1.—
Kanzleipauschale: Papier, Feder, Tinte, Siegellack,
Streusand, Fließpapier, Abnützung des Petschaft
und Speichelverbrauch, nur.. . . . „ 10.—
Eidesstättiges Vermögensbekennlniß:
1. Realität: (Wegen der allgemeinen Entwerthung) Keine.
2. Sparkassebücher: (wegen der niederen Prozente) Keines.
3. Werthpapiere: (Wegen der fallenden Curse) Keine.
4. Baargeld: (Habe ich noch nicht nachgeztthlt).
5. Kleidung: Da ich mit der Aristokratie gernein Contakt stehe,
so kaufe ich nur . ganz neue von „Herrschaften abgelegte"
Herrenkleider.
6. Wäsche: (Papierwüsche). In Folge der jetzigen Papier-Baisse
leider sehr entwerthet.
Sollte Sie dieser Aktivstand nicht sehr befriedigen, so kann ich
Ihnen den Umstand entgegenhalten, daß ich unlängst die Vertretung
des Brauers X in seinem Prozesse contra Weingroßhandlung U
übernahm und wir uns — ich und der Vertreter der Gegenseite
nämlich — schon das Wort gegeben haben, den Prozeß vor mindestens
12 Jahren nicht zum Abschluß zu bringen.
Sehr „geschätztes" Fräulein und erblasser'sche Universalerbin!
Sie werden mit juridischem Scharfblicke schon längst bemerkt haben,
wo ich hinaus will. Nicht wahr? Auf die Schließung eines rand-
losen Ehe- und Erbvertrages nämlich. Mein Gut — Dein Gut!
Die Aktiva schlagen wir zusammen, und meine paar Passiva lassen
sich ja ganz gut auf Ihre Realitäten intabuliren. Ich würde in
diesem Falle die ganze Grundbuchshandlung gratis durchführen.
Mein Gott, man ist ja auch nicht von Stein!
Ich würde Sie stets mit der gesetzlich bestimmten Liebe und
Achtung behandeln und von dem, dem Ehemanne, im Landrecht
eingeräumten Züchtigungsrechte nur im Nothsälle Gebrauch machen.
Bei den Pandekten von Amalfi! Ich tvill nicht für meine eigene
Sache ptaidiren, aber — ganz unparteiisch! kann ich Ihnen rathcn:
greifen Sie zu!
Sie riskiren nichts dabei llnb für den möglichen Fall, daß
Sie früher stürben, als ich, errichten wir ein wechselseitiges Testament.
Also macht auch das nichts!
Ich bewillige Ihnen zur Erledigung dieser Angelegenheit gütigst
eine Frist voll 8 Tagen, bitte jedoch, mir die Erledigung womöglich
noch vor Ablauf derselben zur Benehmungswifsenschaft zukommeu
lassen zu wollen, damit ich zum Abschlüsse des Ehe- und Erb-
Zusämmcn Mark 230.—
P. 8. Der Ueberbringer dieses Schreibens ist ein Schreiber von
mir. Geben Sie ihm kein Trinkgeld! Diese Art von Leute
werden gleich Verschwender.
Feinde ringsum.
Ein medicinisches Trinklied von (Oslmr Iustinus.
Mel.: Mit Fischen in der Halle re.
Wie war der Mensch vor Zeiten
So glücklich und so frei!
Heut' tönt von allen Seiten
Vorsicht! und Kriegsgeschrei:
Die Wiege bis züm Grabe
Birgt Feinde in dem Schvoß;
Und geht er endlich abe —
Sie lassen ihn nicht los.
:,: Die Bazillen
Lltft erfüllen
Hub er kann sie nicht 'mal sch'n,
Aud'rc Bestien
Ihn belästigen,
Wie Orcst's Erinnyen. :,:
Wie warf sich sonst mit Verve
Der Säugling lind mit Lust
Ohn' jegliche Reserve
An seiner Mutter Brust:
Heut' aber heißt'«, ja Kuchen,
Mein Söhnchcn, schweig' fein still!
Man muß erst untersuchen,
Wie stchl's mit dem Bazill?
:,: So ein Ferkel
Setzt Tuberkel
Oft dem reinsten Nektar zu:
178 Heirathsantrag des ledigen Advokaten I)r. Prax an die großjährige Justizraths-Waise
Fräulein Lex.
Sehr geschätztes Fräulein!
Ich habe über Ihre Lebensverhältnisse, Ihr Vorleben und Ihre
Charaktereigenschaften behördliche Nachforschungen gepflogen, und
dieselben ergaben ein eminent günstiges Resultat.
Sie sind die erblnsser'sche Tochter des ohne Hinterlassung eines
Testamentes verstorbenen Justizrathes Herrn Lex, haben die Ihnen
ad intestato angefallene Erbschaft „unbedingt" angetreten, sind
gut beleumundet, bisher gerichtlich unbeanstandet, und besteht der
Ihnen laut Bescheid deS Verlassenschaftsgerichtes ddo. 25. Septem-
der 1885 Nr. 20255 ausgeantwortete Nachlaß aus den hypothek-
freien Realitäten in der Grabenstraße Nr. 15 im Schätzwerthe von
180,000 Mark.
Außerdem besitzen Sie eine angenehme Serie von Pfand-
briefen, die Sie verniinstiger Weise bei der Todfallsaufnahme
verheimlichten.
Aus dem Vorhergehenden können Sie mit pupillarmäßiger
Sicherheit schließen, daß ich Sic liebe, und zwar unbändig!
Was meine gesellschaftliche Stellung betrifft, so bin ich Advokat,
mit dem Amtssitze loco, und wird Ihnen mein Name, wenn nicht
aus bedeutenden Prozessen, so- doch sicherlich — aus dem Adreß-
kalender bekannt sein. Ich bin überdies gesucht als Spezialist in
„Hereinbringung dubioser Forderungen" und Arrangirung „wohl-
thucndcr Concurse", bei denen der Aermste meiner Clienten sich
noch immer ein Zinshaus in Baden oder eine kleine Villegiatur
am Königssee als Nothpfennig „retten" konnte.
Bezüglich meines Besitzes gebe ich ab Nachstehendes:
Vertrages, wechselseitigen Testamentes und Jntabulation alles Nöth-
ige veranlasse und Sie sohin ruhig leben, heirathen und — sterben
können. Urkund dessen meine eigenhändige Namensfertigung
Nachtrag. Dr' ^tn5'
Sollten Sie jedoch meinen ebenso vernünftigen als von den
edelsten Intentionen geleiteten Antrag nicht genehmigen und viel-
leicht auf einen Andern invigiliren, so wäre ich gezwungen, Ihnen
nachfolgendes Expensar zu gefälliger Begleichung zu unterbreiten.
Expensar.
Ausführliche, zeitraubende, kostspielige Nachforschungen und amtliche
Erhebungen bezüglich Vermögens, Jugend, Tugend, Herzens-
güte und andere Aktiva.Mark 00.—
Entwurf eines Heirathsanlrages. „ 6.—
Denselben als unpassend vernichtet . „ 2.—
Neuerlicher Entwurf und direkter Heirathsantrag. . „ 105.—
Schrift: Liebeserklärung unter den Symptomen von
Herzerweiterung. „ 10.—
Gemüthsbewegung und an den Tag gelegte Gemüths-
tiefe, 1 Stunde. „ 5.—
Begeisterung, eine Viertelstunde Zeitverlust .... „ 10.—
Eidesstättiges Vermögensbekennlniß, weil sehr umfang-
reich . „ 30.—
Expedition, Manipulation . „ 1.—
Kanzleipauschale: Papier, Feder, Tinte, Siegellack,
Streusand, Fließpapier, Abnützung des Petschaft
und Speichelverbrauch, nur.. . . . „ 10.—
Eidesstättiges Vermögensbekennlniß:
1. Realität: (Wegen der allgemeinen Entwerthung) Keine.
2. Sparkassebücher: (wegen der niederen Prozente) Keines.
3. Werthpapiere: (Wegen der fallenden Curse) Keine.
4. Baargeld: (Habe ich noch nicht nachgeztthlt).
5. Kleidung: Da ich mit der Aristokratie gernein Contakt stehe,
so kaufe ich nur . ganz neue von „Herrschaften abgelegte"
Herrenkleider.
6. Wäsche: (Papierwüsche). In Folge der jetzigen Papier-Baisse
leider sehr entwerthet.
Sollte Sie dieser Aktivstand nicht sehr befriedigen, so kann ich
Ihnen den Umstand entgegenhalten, daß ich unlängst die Vertretung
des Brauers X in seinem Prozesse contra Weingroßhandlung U
übernahm und wir uns — ich und der Vertreter der Gegenseite
nämlich — schon das Wort gegeben haben, den Prozeß vor mindestens
12 Jahren nicht zum Abschluß zu bringen.
Sehr „geschätztes" Fräulein und erblasser'sche Universalerbin!
Sie werden mit juridischem Scharfblicke schon längst bemerkt haben,
wo ich hinaus will. Nicht wahr? Auf die Schließung eines rand-
losen Ehe- und Erbvertrages nämlich. Mein Gut — Dein Gut!
Die Aktiva schlagen wir zusammen, und meine paar Passiva lassen
sich ja ganz gut auf Ihre Realitäten intabuliren. Ich würde in
diesem Falle die ganze Grundbuchshandlung gratis durchführen.
Mein Gott, man ist ja auch nicht von Stein!
Ich würde Sie stets mit der gesetzlich bestimmten Liebe und
Achtung behandeln und von dem, dem Ehemanne, im Landrecht
eingeräumten Züchtigungsrechte nur im Nothsälle Gebrauch machen.
Bei den Pandekten von Amalfi! Ich tvill nicht für meine eigene
Sache ptaidiren, aber — ganz unparteiisch! kann ich Ihnen rathcn:
greifen Sie zu!
Sie riskiren nichts dabei llnb für den möglichen Fall, daß
Sie früher stürben, als ich, errichten wir ein wechselseitiges Testament.
Also macht auch das nichts!
Ich bewillige Ihnen zur Erledigung dieser Angelegenheit gütigst
eine Frist voll 8 Tagen, bitte jedoch, mir die Erledigung womöglich
noch vor Ablauf derselben zur Benehmungswifsenschaft zukommeu
lassen zu wollen, damit ich zum Abschlüsse des Ehe- und Erb-
Zusämmcn Mark 230.—
P. 8. Der Ueberbringer dieses Schreibens ist ein Schreiber von
mir. Geben Sie ihm kein Trinkgeld! Diese Art von Leute
werden gleich Verschwender.
Feinde ringsum.
Ein medicinisches Trinklied von (Oslmr Iustinus.
Mel.: Mit Fischen in der Halle re.
Wie war der Mensch vor Zeiten
So glücklich und so frei!
Heut' tönt von allen Seiten
Vorsicht! und Kriegsgeschrei:
Die Wiege bis züm Grabe
Birgt Feinde in dem Schvoß;
Und geht er endlich abe —
Sie lassen ihn nicht los.
:,: Die Bazillen
Lltft erfüllen
Hub er kann sie nicht 'mal sch'n,
Aud'rc Bestien
Ihn belästigen,
Wie Orcst's Erinnyen. :,:
Wie warf sich sonst mit Verve
Der Säugling lind mit Lust
Ohn' jegliche Reserve
An seiner Mutter Brust:
Heut' aber heißt'«, ja Kuchen,
Mein Söhnchcn, schweig' fein still!
Man muß erst untersuchen,
Wie stchl's mit dem Bazill?
:,: So ein Ferkel
Setzt Tuberkel
Oft dem reinsten Nektar zu: