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199

Die Naja

aus seiner Pfeife gethan, „dort, wo gerade die Sonne im Unter-
gehen begriffen ist, liegt ein Eiland

Es ist nichts als ein großer Felsen mit wildem Pflanzenwuchs.
Aber in den Felsen führt weit hinein eine wunderbare Höhle, die
Najadengrotte.

Ich selber bin nur ein einziges Mal dort getvesen, und das
mögen schon an die dreißig Jahre sein — als ich einen Fremden,
der von den Wundern der Insel gehört hatte und diese nun auch
sehen wollte, hinüberrudcrtc.

Es war am frühesten Morgen. Dicke Nebel lagen noch ans
dem Meere, als wir uns mit dem Boot schon der Stelle näherten,
wo das Eiland liegen mußte. Sehen konnten wir's noch nicht, aber
ich kannte die Richtung genau und fuhr dcßhalb unbesorgt lveiter.

Während der Fahrt erzählte ich dem Herrn, um die Zeit ab-
zukürzen, eine Geschichte, die sich dort einmal zugetragen hat:

„Der Eingang zur Najadengrotte ist ziemlich schmal, doch kann
ihn ein Kahn noch bequem passiren. Innen erweitert sich dann
die Höhle, und beim Glanz der Fackeln geht ein eigenthümliches
Leuchten von ihren Wänden aus. Da drinnen sieht es gerade aus
wie in einem verzauberten Palast ans dem Feenreich eines Märchens.
Ihr mögt noch so leise ein Wort flüsteril, es geben Euch tausend
Helle, klare Stimmchen von allen Seiten, aus alle» Nischen und
Winkeln der Grotte Antwort darauf.

Das sind die Stimmen der Nixen, welche die Grotte bewohnen!
Diese führen dann nach Sonnenuntergang ihre Reigen nber'm Wasser
ans, und wehe dem Menschen, den sie da noch in der Höhle treffen
oder der so kühn wäre, so spät dort cinzndringen! Erbarmungslos
ziehen sie ihn auf den Grund!

Da hört der Fischer, der Abends am Eingang vorüberfährt,
wie tief drinnen ein melodisch Klingen und Singen anhebt, und
schaut er verstohlen durch den Eingang, so kann er weit hinten
manch' bläuliches Flämmchen sehen, das munter über'm Wasser-
spiegel hin und her hüpft.

Der Hans war zu meiner Zeit der keckste Fischerbnrsche weit
und breit. Er war mit dem schönsten Mädel unseres Orts, der
Stina, versprochen. Der hat im Uebcrmuth einmal mit seinen
Kameraden eine Wette gemacht, er wolle nach Sonnenuntergang,
wenn die Nixen im Felsen ihre Tänze beginnen, ganz allein hin-
einfahren — er werde schon mit den luftigen Gesellen fertig
werden.

Er hat's auch ausgeführt und ist hineingefahren. — Nach einer
Stunde aber kani sein Boot langsam, umgestürzt aus dem Eingang
zur Grotte Herausgetrieben. Seine Leiche lag am andern Tage am
Heimatstrand angeschwemmt im Seetang.

Wie die Stina das Unglück vernommen hat, das ihrem Ver-
lobten widerfahren war, ist sie erst ganz traurig geworden. Am
Abend hat sic dann ihres Vaters Boot losgcmacht und ist ganz
allein weggefahren in der Richtung zur Najadeninsel. — Auch sie
ist niinmer wieder gekommen — die Nixen kennen eben keinen
Spaß.»-

Etwa soweit war ich mit meiner Geschichte gekommen, als
sich die undurchsichtigen Nebel vor uns plötzlich theilten, und aus
ihnen traten in nächster Nähe die schimmernden Felsen des Eilandes,
röthlich beleuchtet von den ersten Strahlen der ausgehenden Sonne
— riesengroß warf diese unsere Leiden Schatten sauf die Riffe —
und dort rechts zeigte sich der Eingang zur Elfengrotte — — —»

Der alte Peter erhob sich plötzlich — die Sonne war unter-
gegangen und die Pfeife des Alten erloschen.

„Könnt Ihr mich morgen früh zum Sonnenaufgang »ach der
Najadengrotte führen?" — fragte ich den Alten.

dengrotte.

„„Ja — mußt aber zeitig aufstehen I — Gute Rächt I»

Und »vir trennten uns.

Ich legte mich zur Ruhe und träumte von den Wundern des
geheimnißvollen Eilandes da drüben.

* *

*

Wir fuhren am andern Morgen zeitig ab.

Auch heute geschah es genau so, wie es der alte Peter erzählt
hatte. Dicker Nebel lag über der See. Wir segelten ruhig in der
Richtung, in der wir das Eiland wußten.

Da! Ein hellerer Schein im Osten — plötzlich riß die Ncbel-
schichtc, und vor uns stand — welch' überwältigender Eindruck I —
in riesigen Lettern ans die steilen Felsen der Insel geschrieben:
„Müllcr's Cacao ist der beste ans der Welt!»

Und dicht darunter: „Continental Bodega-Company!»

Längs der uns zugekehrten Seite der Insel war ein elegantes
Trottoir angelegt, dessen Randsteine Ankündigungen trugen, wie:
„Keine Hühneraugen mehr!» — „Huste nicht!» — Ferner standen
große Tafeln da, von denen wir allerdings nur die zunächst stehen-
den lesen konnten. „Diese lauteten: „Sanjana Heilmethode!» —
„Pfarrer Kneipp's Rathschläge!» — „Nanmann's Fahrräder n. s. w.

Oben auf der Insel ragte ein Gebäude empor mit der Riesen-
aufschrift: „Grand Hotel Najadcnlust». (Logis und Bäder im
Hause.)

Vergeblich aber suchten >vir den Eingang zur Höhle selbst.

„Dort muß er sein!» sagte mein Führer und zeigte in der
Richtung, wo eine große Tafel den Weg zur Grotte noch verdeckte.

Wir fuhren näher und fanden nun richtig den Eingang. Der-
selbe war durch eine Gitterthüre verschlossen, über welcher eine ge-
treue Abbildung einer Singer-Nähmaschine sich befand.

Wir stiegen ans, betraten das künstliche Trottoir und näherten
uns der Gitterthüre. Da stand ans einem kleinen Schild:

„Die Thüre öffnet sich „nur» gegen Einwurf von 50 Pfg. in
den Spalt oberhalb der Thürklinke.»

Wir thaten, wie vorgeschrieben war, und traten ein. In
diesem Augenblick erstrahlte von der Decke des Gewölbes ein elek-
trisches Bogenlicht.

Ein Kahn war hier in der Grotte überflüssig; denn über
den geheimnißvollen Wasserspiegel war ein Brctterboden gelegt
worden, der die Besichtigung zu Fuß ermöglichte. Gleich mit
Eingang sahen wir einen Chocolade-Antoinaten. Weiterhin folgte
ein Orchestron, das gegen Einwnrf von 20 Pfg. die Liszt'schc
Rhapsodie hören ließ. Automaten für „Kölnisch-Wasscr», Cigarren,
Reiselektüre rc. wechselten mit Spieldosen und Sammelbüchsen.
Ganz im Hintergründe endlich hing ein Plakat: „Wer sich in der
Elfengrotte erkältet hat, versäume nicht den Versuch mit Dr. Jäger's
Normalhemden» und dicht daneben: „Das beste Mittel gegen Stör-
ungen der Berdauungsorgane sind Magenpillen.» --

Wir wendeten uns wieder dem Ansgang zu.

Offenbar war aber unsere Anwesenheit auf der Insel bereits
bemerkt worden; denn bei unserm Austritt wurden wir von zwei
Oberkellnern empfangen, welche uns lebhaft das Hotel „zur Najaden-
lust» als im Besitze der vorzüglichsten Belten empfahlen. Ein Buch-
händler bot uns Photographien der Insel zum Kaufe und zwei
ältere Mädchen in Fischertracht legten uns Elfenbeinschnitzereien zur
Besichtigung vor.

Ein anwesender Schnellphotograph hatte bereits einen Hinter-
grund aufgestellt, der die getreueste Ansicht der Wunderinsel bot.

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