Stadtgrabung 32
Nutzpflanzenfunde des Mittelalters
und der frühen Neuzeit
aus der Gördelingerstraße
Maren Matthies
Bei den Stadtgrabungen Braunschweig-Gördelinger-
straße/Schützenstraße (Stgr. 32) und Braunschweig-
Ölschlägern/Langedammstraße (Stgr. 55) wurden
mehrere mittelalterliche und frühneuzeitliche Kloaken
und Brunnen untersucht. Da in den Füllschichten bzw.
Sedimenten durch Sauerstoffabschluß größere Men-
gen unverkohlter Pflanzenreste erhalten geblieben
waren, wurden Proben für die paläo-ethnobotanische
Analyse entnommen. Sie sind im Rahmen einer Di-
plomarbeit, die an der Universität Göttingen angefer-
tigt wurde, untersucht worden.*
Die Kloaken enthielten neben Fäkalien und Hausmüll
offenbar auch Abfälle der Nahrungszubereitung sowie
Pflanzenreste, die aus Gärten und von Äckern stam-
men. Daher konnten außer zahlreichen Nutzpflanzen
auch mehrere Unkräuter und Wildpflanzen nachge-
wiesen werden. Da selten auftretende oder schlecht
erhaltungsfähige Samen bzw. Früchte sich verständli-
cherweise oft erst bei der Analyse großer Materialmen-
gen finden, wurde durch vollständigere Durchsicht der
Proben dreier Fundstellen das Artenspektrum im Ver-
gleich zu ersten Untersuchungen im Überblick (vgl.
Beitrag Willerding in diesem Band, künftig 1985) er-
weitert.
Hier wird zunächst nur ein Einblick in die Vielfalt der
Nahrungspflanzen (Tab. 1) sowie der Gewürz- und
Heilpflanzen (Tab. 2) der Stadtgrabung 32 gegeben.
Bei paläo-ethnobotanischen Untersuchungen können
in der Regel nicht alle Arten erfaßt werden, die für die
Ernährung zur Verfügung standen. So fehlen z. B. die
Leguminosen-Arten. Wie andere Analysen zeigen,
wurden sie während des Mittelalters in Braunschweig
durchaus genutzt {Willerding 1985). Unverkohlte Be-
lege dieser Arten bleiben aber auch in Feuchtablage-
rungen kaum erhalten. Ihre Verkohlungschance ist
offensichtlich gering. Die Getreidearten Roggen, Ha-
fer, Weizen und Gerste erhalten sich ebenfalls meist
nur in verkohltem Zustand. Ihre Chance, bei der Nah-
rungszubreitung zu verkohlen, scheint etwas größer zu
sein, und so wurden vereinzelt Getreidekörner gefun-
den.
Bemerkenswert ist der Nachweis von Reis (Ory^a
sativa). Es wurden zwei unverkohlte Bruchstücke von
Spelzen gefunden. Sie tragen flache Längsrippen
(Breite ca. 0,05—0,08 mm), die mit abgerundeten Nop-
pen eng besetzt sind (Abb. 1). Die Noppen bilden
recht regelmäßige Querreihen, so daß ein fein-gitter-
artiger Eindruck entsteht.
Ein kleineres Bruchstück wurde in Stelle 5 der Stadt-
grabung 32 gefunden. Diese Kloake (Typ Via) stammt
aus dem 14. Jh. Sie wurde jedoch später geleert, so daß
nur noch Reste der mittelalterlichen Füllung vorhan-
den waren. Die Materialprobe wurde aus der sekun-
dären Füllung entnommen, die in die zweite Hälfte des
16. Jhs. datiert wird. In diese Zeit gehört also vermut-
lich der Reisnachweis. Allerdings ist nicht völlig aus-
zuschließen, daß sich in der Füllung des 16. Jhs. noch
umgesetzte Reste des älteren Materials befanden.
Bei diesem Spelzenrest ist nicht zu entscheiden, ob es
sich um eine Deck- oder Vorspelze handelt. Er ist 6 mm
lang. An einer Seite ist ein 1,9 mm langes Stück des
etwas verdickten und zur Innenseite umgebogenen
Randes erhalten.
Das größere Bruchstück stammt aus einer Dauben-
kloake (Typ IVa, Stgr. 55, St. 1) des 16. Jhs. Es ist an
der Basis wulstig verdickt (Abbruchnarbe des Ähr-
chens). Ein 3 mm langes Stück des Spelzenrandes ist
erhalten. An der Spitze findet sich ebenfalls eine leichte
Verdickung. Die Spelze ist somit vermutlich in voller
Länge vorhanden und liegt mit ihren 6,5 mm durchaus
im Variationsbereich rezenter bespelzter Körner, die
etwa 6,4 bis 7,1 mm lang sind (Mittelwert 6,7 mm; 10
Messungen).
Es handelt sich hierbei wohl um einen Teil einer Deck-
spelze; rezente Deckspelzen zeigen entsprechende
Skulptur und ähnliche Ausbildung der Abbruchnarbe.
Deck- und Vorspelze von Vergleichsmaterial sind
kahnförmig mit scharfem Kiel; die Deckspelze ist etwa
doppelt so breit wie die Vorspelze. Beide umschließen
das Reiskorn fest und werden mitgeerntet.
Da Reis eine Importfrucht ist, die wohl für lange Zeit
nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehörte, gibt es
bislang erst sehr wenige frühe Belege der Art in Mit-
teleuropa. Knörzer (1966) beschreibt einen Vorratsfund
verkohlter Körner aus dem römischen Militärlager
von Neuss, datiert ins 1. Jh. n.Chr. Da die Römer den
Reis als Nahrungspflanze, nicht aber den Reisanbau
kannten, handelt es sich zu dieser Zeit um Import aus
Indien (Teny 1859:229).
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Nutzpflanzenfunde des Mittelalters
und der frühen Neuzeit
aus der Gördelingerstraße
Maren Matthies
Bei den Stadtgrabungen Braunschweig-Gördelinger-
straße/Schützenstraße (Stgr. 32) und Braunschweig-
Ölschlägern/Langedammstraße (Stgr. 55) wurden
mehrere mittelalterliche und frühneuzeitliche Kloaken
und Brunnen untersucht. Da in den Füllschichten bzw.
Sedimenten durch Sauerstoffabschluß größere Men-
gen unverkohlter Pflanzenreste erhalten geblieben
waren, wurden Proben für die paläo-ethnobotanische
Analyse entnommen. Sie sind im Rahmen einer Di-
plomarbeit, die an der Universität Göttingen angefer-
tigt wurde, untersucht worden.*
Die Kloaken enthielten neben Fäkalien und Hausmüll
offenbar auch Abfälle der Nahrungszubereitung sowie
Pflanzenreste, die aus Gärten und von Äckern stam-
men. Daher konnten außer zahlreichen Nutzpflanzen
auch mehrere Unkräuter und Wildpflanzen nachge-
wiesen werden. Da selten auftretende oder schlecht
erhaltungsfähige Samen bzw. Früchte sich verständli-
cherweise oft erst bei der Analyse großer Materialmen-
gen finden, wurde durch vollständigere Durchsicht der
Proben dreier Fundstellen das Artenspektrum im Ver-
gleich zu ersten Untersuchungen im Überblick (vgl.
Beitrag Willerding in diesem Band, künftig 1985) er-
weitert.
Hier wird zunächst nur ein Einblick in die Vielfalt der
Nahrungspflanzen (Tab. 1) sowie der Gewürz- und
Heilpflanzen (Tab. 2) der Stadtgrabung 32 gegeben.
Bei paläo-ethnobotanischen Untersuchungen können
in der Regel nicht alle Arten erfaßt werden, die für die
Ernährung zur Verfügung standen. So fehlen z. B. die
Leguminosen-Arten. Wie andere Analysen zeigen,
wurden sie während des Mittelalters in Braunschweig
durchaus genutzt {Willerding 1985). Unverkohlte Be-
lege dieser Arten bleiben aber auch in Feuchtablage-
rungen kaum erhalten. Ihre Verkohlungschance ist
offensichtlich gering. Die Getreidearten Roggen, Ha-
fer, Weizen und Gerste erhalten sich ebenfalls meist
nur in verkohltem Zustand. Ihre Chance, bei der Nah-
rungszubreitung zu verkohlen, scheint etwas größer zu
sein, und so wurden vereinzelt Getreidekörner gefun-
den.
Bemerkenswert ist der Nachweis von Reis (Ory^a
sativa). Es wurden zwei unverkohlte Bruchstücke von
Spelzen gefunden. Sie tragen flache Längsrippen
(Breite ca. 0,05—0,08 mm), die mit abgerundeten Nop-
pen eng besetzt sind (Abb. 1). Die Noppen bilden
recht regelmäßige Querreihen, so daß ein fein-gitter-
artiger Eindruck entsteht.
Ein kleineres Bruchstück wurde in Stelle 5 der Stadt-
grabung 32 gefunden. Diese Kloake (Typ Via) stammt
aus dem 14. Jh. Sie wurde jedoch später geleert, so daß
nur noch Reste der mittelalterlichen Füllung vorhan-
den waren. Die Materialprobe wurde aus der sekun-
dären Füllung entnommen, die in die zweite Hälfte des
16. Jhs. datiert wird. In diese Zeit gehört also vermut-
lich der Reisnachweis. Allerdings ist nicht völlig aus-
zuschließen, daß sich in der Füllung des 16. Jhs. noch
umgesetzte Reste des älteren Materials befanden.
Bei diesem Spelzenrest ist nicht zu entscheiden, ob es
sich um eine Deck- oder Vorspelze handelt. Er ist 6 mm
lang. An einer Seite ist ein 1,9 mm langes Stück des
etwas verdickten und zur Innenseite umgebogenen
Randes erhalten.
Das größere Bruchstück stammt aus einer Dauben-
kloake (Typ IVa, Stgr. 55, St. 1) des 16. Jhs. Es ist an
der Basis wulstig verdickt (Abbruchnarbe des Ähr-
chens). Ein 3 mm langes Stück des Spelzenrandes ist
erhalten. An der Spitze findet sich ebenfalls eine leichte
Verdickung. Die Spelze ist somit vermutlich in voller
Länge vorhanden und liegt mit ihren 6,5 mm durchaus
im Variationsbereich rezenter bespelzter Körner, die
etwa 6,4 bis 7,1 mm lang sind (Mittelwert 6,7 mm; 10
Messungen).
Es handelt sich hierbei wohl um einen Teil einer Deck-
spelze; rezente Deckspelzen zeigen entsprechende
Skulptur und ähnliche Ausbildung der Abbruchnarbe.
Deck- und Vorspelze von Vergleichsmaterial sind
kahnförmig mit scharfem Kiel; die Deckspelze ist etwa
doppelt so breit wie die Vorspelze. Beide umschließen
das Reiskorn fest und werden mitgeerntet.
Da Reis eine Importfrucht ist, die wohl für lange Zeit
nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehörte, gibt es
bislang erst sehr wenige frühe Belege der Art in Mit-
teleuropa. Knörzer (1966) beschreibt einen Vorratsfund
verkohlter Körner aus dem römischen Militärlager
von Neuss, datiert ins 1. Jh. n.Chr. Da die Römer den
Reis als Nahrungspflanze, nicht aber den Reisanbau
kannten, handelt es sich zu dieser Zeit um Import aus
Indien (Teny 1859:229).
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