26
STIL DER RUNDPLASTIK
der Ausdruck der Gemütsbewegungen. Die Formphantasie der Ägypter war
ursprünglicher. Sie wurde nicht wie die griechische und die italienische durch
vorgestellte körperlich-seelische Aktionen bewegt, sondern unmittelbar durch
die ruhende Gestalt. Deshalb erscheinen die ägyptischen Plastiken unpsycho-
logisch und unpersönlich. Ihre Haltungen und Gesten sind die aller Menschen
und aller Zeiten. Sie beziehen sich niemals auf ein vorgestelltes Objekt außer-
halb des materiellen Raumes der Figur: sei es ein imaginärer Gegner wie
bei den Tyrannenmördern und dem Borghesischen Fechter oder eine Ver-
sammlung von Menschen, wie beim Matthäus des Ghiberti und dem Moses
des Michelangelo; ein Altar wie beim Idolino oder ein Wurfziel wie beim
Diskuswerfer. Sie schmiegen ihre Formen nicht gleich Praxitelischen Statuen
anmutig in die umgebende Luft; ihr Antlitz variiert nicht auf wunderbare
Weise den Ausdruck der Seele je nach der wechselnden Beschattung wie jener
merkwürdige frühgriechische Frauenkopf an der Säule des Artemision von
Ephesos. Sie weisen niemals über sich hinaus. Sie wahren ihren konstruktiven
Gedanken selbst unter ungünstigen Bedingungen. Jede ein geschlossenes, in
sich gefestigtes Gebilde, eine plastische Welt. Eine so orthodoxe Kunst wie
die ägyptische, konnte ihrer Natur nach nur die in Ruhe verharrende Gestalt
als einwandfreien plastischen Vorwurf gelten lassen. Sitzen, festes Stehen,
Hocken, Knieen sind ihre häufigsten Motive.
Schon der flüchtige Besucher ägyptischer Sammlungen bemerkt gewisse Züge,
die den Figuren der verschiedenen Epochen gemeinsam sind.
Die Ägypter verarbeiten auffällig oft neben dem Kalkstein und dem
selteneren Holz harte Gesteine, wie Diorit, Granit und Basalt zu Figuren.
Diese Auswahl sicherte ihren Statuen eine fast unbegrenzte Dauer und diente
zugleich der künstlerischen Absicht: Der Widerstand, den solche Gesteine selbst
dem geschicktesten Meißel entgegensetzen, zwang die Bildhauer immer aufs
neue, ihre Gestalten in großen und einfachen Zügen vorzustellen und bewirkte
eine beständige Schulung der plastischen Phantasie. Zweifellos bestärkte die
Wahl bunter Steine, des braungefleckten oder des Rosengranits, die Künstler
im konsequenten Bemalen ihrer Statuen, da sie ihre Formgedanken nicht den
koloristischen Launen der Natur ausliefern konnten. Die ägyptischen Skulpturen
scheinen überwiegend bemalt gewesen zu sein. Bei einer Reihe von Statuen
aus Granit, Diorit, Sandstein sind Spuren deckender Farben nachgewiesen.
Der poröse Kalkstein verlangte die farbige Decke wegen seines strukturlosen
STIL DER RUNDPLASTIK
der Ausdruck der Gemütsbewegungen. Die Formphantasie der Ägypter war
ursprünglicher. Sie wurde nicht wie die griechische und die italienische durch
vorgestellte körperlich-seelische Aktionen bewegt, sondern unmittelbar durch
die ruhende Gestalt. Deshalb erscheinen die ägyptischen Plastiken unpsycho-
logisch und unpersönlich. Ihre Haltungen und Gesten sind die aller Menschen
und aller Zeiten. Sie beziehen sich niemals auf ein vorgestelltes Objekt außer-
halb des materiellen Raumes der Figur: sei es ein imaginärer Gegner wie
bei den Tyrannenmördern und dem Borghesischen Fechter oder eine Ver-
sammlung von Menschen, wie beim Matthäus des Ghiberti und dem Moses
des Michelangelo; ein Altar wie beim Idolino oder ein Wurfziel wie beim
Diskuswerfer. Sie schmiegen ihre Formen nicht gleich Praxitelischen Statuen
anmutig in die umgebende Luft; ihr Antlitz variiert nicht auf wunderbare
Weise den Ausdruck der Seele je nach der wechselnden Beschattung wie jener
merkwürdige frühgriechische Frauenkopf an der Säule des Artemision von
Ephesos. Sie weisen niemals über sich hinaus. Sie wahren ihren konstruktiven
Gedanken selbst unter ungünstigen Bedingungen. Jede ein geschlossenes, in
sich gefestigtes Gebilde, eine plastische Welt. Eine so orthodoxe Kunst wie
die ägyptische, konnte ihrer Natur nach nur die in Ruhe verharrende Gestalt
als einwandfreien plastischen Vorwurf gelten lassen. Sitzen, festes Stehen,
Hocken, Knieen sind ihre häufigsten Motive.
Schon der flüchtige Besucher ägyptischer Sammlungen bemerkt gewisse Züge,
die den Figuren der verschiedenen Epochen gemeinsam sind.
Die Ägypter verarbeiten auffällig oft neben dem Kalkstein und dem
selteneren Holz harte Gesteine, wie Diorit, Granit und Basalt zu Figuren.
Diese Auswahl sicherte ihren Statuen eine fast unbegrenzte Dauer und diente
zugleich der künstlerischen Absicht: Der Widerstand, den solche Gesteine selbst
dem geschicktesten Meißel entgegensetzen, zwang die Bildhauer immer aufs
neue, ihre Gestalten in großen und einfachen Zügen vorzustellen und bewirkte
eine beständige Schulung der plastischen Phantasie. Zweifellos bestärkte die
Wahl bunter Steine, des braungefleckten oder des Rosengranits, die Künstler
im konsequenten Bemalen ihrer Statuen, da sie ihre Formgedanken nicht den
koloristischen Launen der Natur ausliefern konnten. Die ägyptischen Skulpturen
scheinen überwiegend bemalt gewesen zu sein. Bei einer Reihe von Statuen
aus Granit, Diorit, Sandstein sind Spuren deckender Farben nachgewiesen.
Der poröse Kalkstein verlangte die farbige Decke wegen seines strukturlosen