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Fechheimer, Hedwig; Cohn, William [Editor]
Die Kunst des Ostens (Band 1): Die Plastik der Ägypter — Berlin: Bruno Cassirer Verlag, 1922

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IV. Stil der Rundplastik, Statuen
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https://doi.org/10.11588/diglit.63179#0037
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STIL DER RUNDPLASTIK

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psychologisch bestimmte, aus Affekten und Handlungen fließende Figurenmotive
zulassen. Solche Motive verwiesen die Ägypter mit ganz seltenen Ausnahmen —
wie einige dem Relief entlehnte Gruppen und die anekdotischen, fast nur in
kleinerem Maßstab gearbeiteten Dienerfiguren — in die Reliefplastik. Hier finden
sich athletische und Kampfdarstellungen und der Ausdruck der Gemütsbewe-
gungen. Die Formphantasie der Ägypter war ursprünglicher. Sie wurde nicht
wie die griechische und die italienische durch vorgestellte körperlich-seelische
Aktionen bewegt, sondern unmittelbar durch die ruhende Gestalt. Deshalb
erscheinen die ägyptischen Plastiken unpsychologisch und unpersönlich. Ihre
Haltungen und Gesten sind die aller Menschen und aller Zeiten. Sie beziehen
sich niemals auf ein vorgestelltes Objekt außerhalb des materiellen Raumes der
Figur: sei es ein imaginärer Gegner, wie bei den Tyrannenmördern und dem
Borghesischen Fechter, oder eine Versammlung von Menschen, wie beim Matthäus
des Ghiberti und dem Moses des Michelangelo; ein Altar, wie beim Idolino, oder
ein Wurfziel, wie beim Diskuswerfer. Sie schmiegen ihre Form nicht gleich
Praxitelischen Statuen anmutig in die umgebende Luft; ihr Antlitz variiert nicht
auf wunderbare Weise den Ausdruck der Seele je nach der wechselnden Be-
schattung, wie jener merkwürdige frühgriechische Frauenkopf an der Säule des
Artemision von Ephesos. Sie weisen niemals über sich hinaus. Sie wahren
ihren konstruktiven Gedanken selbst unter ungünstigen Bedingungen. Jede ein
geschlossenes, in sich gefestigtes Gebilde, eine plastische Welt. Eine so ortho-
doxe Kunst wie die ägyptische konnte ihrer Natur nach nur die in Ruhe ver-
harrende Gestalt als einwandfreien plastischen Vorwurf gelten lassen. Sitzen,
festes Stehen, Hocken, Knieen sind ihre häufigsten Motive.
Schon der flüchtige Besucher ägyptischer Sammlungen bemerkt gewisse Züge,
die den Figuren der verschiedenen Epochen gemeinsam sind.
Die Ägypter verarbeiten auffällig oft neben dem Kalkstein und dem selteneren
Holz harte Gesteine wie Diorit, Granit und Basalt, zu Figuren. Diese Auswahl
sicherte ihren Statuen eine fast unbegrenzte Dauer und diente zugleich der
künstlerischen Absicht; der Widerstand, den solche Gesteine selbst dem ge-
schicktesten Meißel entgegensetzen, zwang die Bildhauer immer aufs neue, ihre
Gestalten in großen und einfachen Zügen vorzustellen, und bewirkte eine be-
ständige Schulung der plastischen Phantasie. Zweifellos bestärkte die Wahl
bunter Steine, des braungefleckten oder des Rosengranits, die Künstler im
konsequenten Bemalen ihrer Statuen, da sie ihre Formgedanken nicht den

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