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Nr. 13. Seitc 17

Melfach wurde überhaupt bezweifelt, daß es Frankreich mög-
lich sein würde, dieser Verpflichtung in der ausbedungencn
Frist von drei Jahren nachzukommen. Daß Frankreich finan-
ziell vernichtet werde, daran zweifelte niemand. Und doch hat
Frankreich die fünstausend Millionen gezahlt.

Wie war es möglich, eine so große Summe tatsächlich zu
zahlen? Wie war es möglich, das große Kapital ohne ge-
fährliche Erschütterungen des Geldmarktes aus dem Besitz
Frankreichs in den Deutschlands überzuführen? Welche Fol-
gen hatte die Zahlung für Frankreich und welche für Deutsch-
land?

Die über die Zahlung derKriegsentschädigung vorhandenen
Berichte sind nicht zahlreich. Man hat sich literarisch anscheinend
wenig hiermit befaßt. Intereffant ist der „Bericht über die
Zahlung der Kriegsentschädigung", der der französischen Kam-
mer von Leon Say 1874 erstattet wurde. Der Rechnungsrat
Giesecke in Straßburg hat über die dort erfolgten Zahlungen
berichtet; Lber die in Berlin geleisteten scheint nichts bekannt
gegeben zu sein.

Zu zahlen waren also fünftausend Millionen Franken.
Auch andere Münzsorten waren zugelassen, mit entsprechender
Umrechnung. Außer Gold- und Silbermünzen durften deut-
sches Papiergeld, preußische Banknoten, Noten der Banken
von England, der Niederlande und Belgiens in Zahlung ge-
geben werden, auch gute Wechsel und andere gute Order-
papiere. Die Zahlung in barer Münze allein zu bewirken,
wäre völlig unmöglich gewesen, da der gesamte Münzumlauf
in Frankreich einschließlich des Vorrats der Bank von Frank-
reich sich auch auf nur fünf Milliarden Franken belief. Wenn
die Zahlung allein in Silber hätte erfolgen sollen, dann würde
dazu Silbergeld im Gewicht von SOOOOO Zentnern nötig ge-
wesen sein und zu dessen Transport nicht weniger als fünf-
tausend gewöhnliche Eisenbahnwagen. Ein Zug mit solcher
Wagenzahl würde vierzig Kilometer lang sein. Hätte man
als Zahlmittel lediglich Gold gewählt, würde man auf ein
Gcwicht von 32500 Zentnern gekommen sein, zu deren Fort-
schaffung doch wohl mindestens 10000 kräftige Männer nötig
gewesen wären. Um eine so ungeheure Summe handelte es sich.

Der Frankfurter Friede bestimmte folgende Zahlungs-
termine:

500 Millionen Franken dreißig Tage nach Wiederhcrstellung

der Ruhe in Paris,

1000 Millionen im Laufe des Jahres 1871,

500 „ am 1. Mai 1872,

3000 „ am 2. März 1874.

Die letzten 3000 Millionen mußten vom 2. März 1871 an mit
jährlich fünf Prozent verzinst werden, was noch einen sehr
stattlichen Betrag ergab. Vorausbezahlung war zulässig, dann
fielen die entsprechenden Zinsen weg. Es ist zu beachten, daß
die französische Regierung sich das Recht ausbedungen hatte,
die Zahlungen früher zu leisten, als festgesetzt war. Sie hatte
das getan, um die Räumung des französischen Gebietes, das
von den Deutschen bis zur endgültigen Zahlung besetzt gehalten
werden sollte, nach Möglichkeit zu beschleunigen. Schon im
September 1873 war ganz Frankreich von deutschen Truppen
geräumt.

Selbstredend konnten die vereinbarten Zahlungen nicht an
einem Tage aeleistet werden; dazu waren die Summen zu
groß. Es haben demnach weitere Vereinbarungen bezüglich
der Erledigung der Zahlungen stattgefunden. Tatsächlich sind
gezahlt:

1871 am 1. Juni 40 Millionen Franken,

„ 8. „ 40
„ 15. „ 45

und dann in ähnlicher Weise weiter, bis die letzte Zahlung
am 5. September 1873 mit rund 273 Millionen erfolgte.

Außer dem Kapital von fünftausend Millionen sind etwas
über 301 Millionen Franken an Zinsen eingegangen.

Als Zahlmittel haben gedient: Wechsel rm Gesamrbetrage
von etwa 4chj Milliarden, Banknoten, deutsches und franzö-
stsches Gold und Silber im Werte von 742 Millionen Franken.
325 Millionen wurden als Kaufpreis der Eisenbahnen in
Elsaß-Lothringen von der Gesamtsumme abgezogen.

Von der Kriegsentschädigung ist in Straßburg mehr als
die Hälfte gezahlt worden, besonders die Gold- und Silber-
münzen, der Rest ging nach Berlin. Die in Straßburg ein-
gehenden Gelder wurden von dem Statthalter unmittelbar
quittiert und dann möglichst bald nach Berlin weitergesandt.
Doch mußte für die Zwischenzeit das Geld in Straßburg gelagert
werden, und die Weiterbeförderung konnte nicht immer gleich
erfolgen. Die ersten drei Teilzahlungen im Betrage von zu-
sammen 125 Millionen erfolgten in Banknoten und erledigten
sich rasch. Dann aber kamen Millionen in Gold und Silber
und verursachten viele Schwierigkeiten. Man hatte sich keinen
richtigen Begriff von der großen Summe gemacht und daher
ungenügende Vorkehrunaen getroffen. Es fchlte an Räumen,
die geeignet waren, als sichere Lagerstätten für diese Unmaffen
gemünzten Goldes und Silbers zü dienen. Galt es doch ein-
mal, gleichzeitig 226 Millionen Silber unterzubringen. Von

diesen lagerten dreißig Millionen in einem festen Gewölbe,
das 1866 zur Aufnahme der Kabinettsweine des Herzogs von
Nassau qedient hatte. Man hatte geglaubt, daß diese Lager-
stätte desonders sicher sei, eben weil der Nassauer Herzog ihr
seine wertvollen Weine anvertraut hatte. Äber insolge eines
Hochwassers im Rhein drang von unten Wasser in den Keller
und Lberschwemmte ihn. Als stch das Waffer verlaufen hatte,
stellte sich heraus, daß die leinenen Beutel, die das Silber
enthielten, völlig verstockt und zermürbt waren, so daß die
Silberstücke mit den Sackresten einen unentwirrbaren Haufen
bildeten. Dieser Haufen ist in einfacher Erledigung der Sache
an eine Straßburger Bank in Bausch und Bogen verkauft
worden, und diese soll ein gutes Geschäst dabei gemacht haben.

Anfangs wurde jeder Beutel aeöffnet und der Jnhalt,
der häufig aus kleinen MLnzen bestand, nachgezählt. Man
merkte aber bald. daß dies nicht allgemein durchzuführen war,
und begnügte sich damit, das Gewicht der Beutel festzustellen,
indem man sich auf die Inhaltsangabe des Verpackers verließ.
Differenzen haben sich in der Folge auch nicht ergeben. Das
Gold war in kleinen Beuteln verpackt, die dann immer zu
einem großen Beutel von 200000 Franken vereinigt wurden.

Die zur Zahlung gegebenen Banknoten wurden sämtlich
nachgezählt und geprüft. Dabei fand man eines Tages unter
den 25 Taler-Scheinen sogenannte Blüten, wie sie früher viel
für Reklamezwecke gebraucht wurden. Die gefundenen waren
Reklamescheine für die Gartenbau - Ausstellung in Hamburg,
die 1869 stattgefunden hatte. Diese Blüten wurden an das
französische Schatzamt zurückgegeben und ersetzt. Wie sie über-
haupt in die Masse hineingekommen sind, ist nicht aufgeklärt.

Die französischen Beamten brachten die Sendungen stets
in Ertrawagen oder Ertrazügen an; die Wagen waren mit
je hundert Zentnern beladen und mit französischen Zollschlössern
verschlöffen.

Erwähnt mag an dieser Stelle auch werden, daß von der
französischen Regierung im eigenen Lande für mehr als hundert
Millionen Franken deutsches Geld gesammelt und zur Zahlung
verwendet wurde. Dieses deutsche Geld war durch dre deut-
schen Truppen und wohl auch durch die zahlreichen Händler,
die die Armee begleiteten, ins Land gekommen. Möglich ist
es ja auch, daß auf diesem Wege auch die oben erwähnten
Blüten ins Land gekommen sind.

Die von der französischen Regierung gelieferten Wechsel —
es waren für etwa vier Milliarden — waren meistens inner-
halb eines Monats nach der Mergabe fällig. Die französische
Regierung hat Wechsel an allen in- und ausländischen Börsen
gekauft, und nicht alle sind bei Fälligkeit von den Akzeptanten
eingelöst worden, sondern mußten dem französischen Schatzamt
zurückgegeben werden. Der größte vorgekommene Wechsel
lautete äuf über 37 Millionen Mark und war von einem Ham-
burgerKonsortium akzeptiert. Selbstredend mußten alleWechsel,
die von Frankreich in Zahlung gegeben wurden, mit Marken
behufs Entrichtung der deutschen Wechselstempelabgabe beklebt
werden, was für Deutschland noch über eine Million Ein-
nahme gebracht hat. Für den genannten größten Wechsel zum
Beispiel waren 619 Zehntaler-Stempelmarken erforderlich.

Wir kommen nun zur zweiten Frage. Wie war es mög-
lich, solche gewaltigen Summen, wie sie die Zahlung der
Kriegsentschädigung erforderte, flüssig zu machen? Dies Ge-
schäft ist von Frankreich mit einer Umsicht und Vorsicht, einer
Feinheit der Ausführung erledigt worden, die zu allen Zeiten
die höchste Bewunderung hervorrufen wird. Allerdings lagen
die Porbedingungen für eine derartige Leistung kaum für ein
anderes Land so günstig wie für Frankreich, wobei aber auch
wieder zu berücksichtigen ist, daß Frankreich eben die große
Niederlage erlitten und die überschwemmung mit mehr als
einer Million Krieger ertragen hatte.

Selbstredend hatte das französische Schatzamt die fünf-
tausend Millionen nicht vorrätig in seinen Geldschränken liegen,
auch war es ausgeschlossen, die ungeheuren Summen als eine
einmalige Steuer von den französischen Staatsbürgern einzufor-
dern, sie mußten vielmehr auf dem Wege der Anleihe beschafft
werden. Schon für den Krieg hatte Frankreich Lber eine
Milliarde angeliehen, zur Beschaffung. der Mittel für die
Kriegsentschädigung sind dann angeliehen

im Juni 1871: 2776 Millionen 5 Prozent zu 82'/,,

im Juli 1872 : 4136 Millionen 5 Prozent zu 84'/..

Die Käufer der beiden Milliardenanleihen brauchten nun nicht
etwa die ganze Summe sofort nach der Zeichnung zu ent-
richten, sondern hatten Erleichterungen. Der Kaufpreis wurde
in monatlichen Raten entrichtet, bei der ersten Änleihe auf
siebzehn, bei der zweiten auf einundzwanzig Monate verteilt.
Die auf die Anleihen eingehenden Gelder wurden dann tun-
lichst bald zu Zahlungen an Deutschland verwandt.

Jn London hatte die französische Regierung eincn eigenen
Finanzagenten angestellt, der mit bestem Erfolge tätig war,
Zeichnungen auf die Anleihen entgegennahm, fremde, zur Zah-
lung an Deutschland geeignete Wechsel kaufte und angesam-
meltes Geld vorübergehend in Verzrnsung brachte. Die fran-
zösischen Anleihen waren nämlich auch im Ausland zur Zeich-

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