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dings alle schicklichen Arbeiten aufgenommen. Jn dem un-
geheuren Betriebe der neu entstandenen Kriegsämter find ste
unentbehrlich geworden. Jhr Gesichtskreis hat stch in der
Umwertung der Werte, die der Kneg mit stch gebracht hat,
erweitert, und sie find ohne die Forderungen der Zukunft
zu Bürgerinnen geworden. Bei der Frau des Arbeiterstandes
mag der Gedanke an das tägliche Brot eine größere Rolle
spielen, als das Gefühl der nötigen Mitwirkung für das
Ganze. Aber auch in ihr hat der Krieg manche Klarheit
gcschaffen. Nicht die Werberinnen der Frauenbewegung, son-
dern das ihr durch den Krieg aufgegangene Verständnis da-
für, was es heißt, wenn der Staat in Gefahr ist, haben sie
ihr beigebracht. Wohl war es eine Organisation, die dieses
schuf, die wunderbarste, die wir in dem Kriege erlebten: die
Organisation der deutschen Seele. Jn England veranstalteten
die bilderstürmenden Mannweiber Umzüge, um aus Memmen
Männer zu machen, und hinweisend auf die Hintertüren des
Asquithschen Wehrpflichtgesetzes zogen die Mädchen ihre Schätze
zu den Standesämtern, um aus Männern Memmen zu machen.
Die deutsche Frau gibt ihrem Gatten, Bräutigam und Bruder
das Gewehr über die Schulter und läßt ihn ausziehen mit
der Gewißheit, daß sie nach besten Kräften daheim seinen Platz
verwalten wird, während er das Vaterland verteidigt.

Hunderttausende von Männern in Deutschland stnd jetzt von
Frauen abgelöst. Ganze Armeen stellen dadurch die Frauen
dem Vaterlande. Jn Berufen, die niemals für sie vorgesehen
waren, tun ste tadellosihrePflicht. Sie verzichten aufallekleinen
weiblichen Eitelkeiten, ziehen den weiten Dienstmantel mit den
gelben Metallknöpfen an und setzen sich die Dienstmütze auf.
Auf den Berliner Bahnhöfen tragen sie als „Knipserinnen"
der Fahrkarten ein Metallschild mit der Aufschrift „Bahn-
polizei" an der Brust. Bei der Berliner Hoch- und Unter-
grundbahn haben ste zu Dienstmütze und Dienstjacke weite
Pumphosen an. Sie sind als Bahnsteigschaffnerinnen beschäf-
tigt, stellen die Richtungstafeln, nötigen das Publikum mit
Zuspruch und Handbewegung in den zur Abfahrt bereiten Zug
und rufen ihr „Fertig!" Zu Tausenden stnd sie als Schaffne-
rinnen bei der Großen Berliner Straßenbahn angestellt. Sie
haben Dienst wie Männer, auch nachts und am ftühen Morgen.
Ausdauer und Verläßlichkeit stnd größer, als man angenommen
hatte. Man hat Frauen sogar als Wagenführerinnen aus-
gebildet und für tauglich befunden. Bei dem Berliner Verkehr,
der in den Hauptstraßen auch während des Krieges nicht nach-
gelassen hat, erschien das als Wagnis, doch es glückte. Die
Poft machte es nach und setzte Frauen als Postillone auf den
Bock der Paketwagen. Man sieht die weiblichen Postillone jetzt
die Peitsche schwingen, und kein Mensch lacht über das Bild.
Kein Mensch lacht, wenn in ihrer Uniform die weiblichen
Schaffnerinnen und Briesträgerinnen über die Straße gehen.
Man lächelt über den Gegensatz und die Ungewohntheit und
empfindet zugleich den tiefen Ernst, der hier zum Ausdruck
kommt. Die Frauenarbeit hat mit einem Male einen höheren
Wert als den des Erwerbes bekommen. Ihre allaemeine Ein-
schätzung ift gestiegen durch ihren größeren Zweck. In Berlin
hat das jüngst ein bemerkenswerter Fall dargetan. Eine Schaff-
nerin der Straßenbahn befiel während der Fahrt die Ohnmacht.
Ohne langes Besinnen nahm eine junge Dame, die Tochter
eines Berliner Arztes, der Schaffnerin Fahrkarte und Tasche
ab und leistete den Dienst, bis sie sich erholt hatte. Von der
Jnvalidenftraße bis zur Kochstratze, also etwa eine halbe
Stunde verkehrsreicher Fahrt, dauerte die Vertretung des
jungen Mädchens. Nicht, daß dadurch eine Verkehrsstockung
verhindert wurde, ist das Gute an der Sache, sondern daß
Pflichtgefühl, ernste Auffaffung und Verantwortung in der
Frau selbstverständlich geworden stnd und Arbeiten jetzt als eines
jeden Schuldigkeit gilt, ob Schaffnerin oder „hvhere Tochter".

Durch ihre Leistung ist das Selbstvertrauen der Frau ge-
stiegen, aber sicher nicht bis zum Frauenstimmrecht. Darüber
enthebt uns schon das eigene Vertrauen, das wir für die Ar-
beit dcr Frauen im Knege haben. Die Behörde vertraut
ihnen wichtige AmtsgeschSste zur Erledigung; die Gasgesell-
schaften überlassen ihnen die Prüfung der Gasmesser; der
Kaufmann läßt stch seine Buchhaltung von ihnen besorgen.
Tie Normaluhren auf den Plätzen Berlins werden von Frauen
in Ordnung gehalten. In den kleineren Rasierstuben hilft die
Frau des an der Front kämpfenden Jnhabers krästig mit, da-
mit das Geschäft nicht stocke. In den Zigarrengeschästen ftehen
Frauen und Mädchen hinter dem Ladentisch. Tausende kleinerer
Geschäftsleute brauchen stch im Felde um ihren Beruf nicht zu
sorgen, weil ihre Frau daheim tapfer ist. Tapferkeit daheim
hilst den Krieg ebenso stegreich beenden, wie Tapferkeit drau-
ßen. Das Menschenmöglichste traut den Frauen die Berliner
Wach- und Schließgesellschaft zu. Sie hat eine Anzahl Frauen
al« — Nachtwächterinnen ausgerüstet. Mit Dienstmütze und
Mantel, umgeschnallter Brownmg, umgehängter Laterne und
Signalpfeife und einem tzund an der Seite, so ziehen diese
Frauen aus. Sie beobachten die Straßen, schließen die Häuser
auf, leuchten die darin befindlichen, versicherten Geschästsräume
ab und wachen furchtlos über ihren Stadtteil, der dadurch,

rs

daß Berlin jetzt nach ein Uhr nachts vollständig tot ist, nicht
sicherer geworden ist. Die Verfechterinnen der Frauenarbeit
müffen ein Hochgefühl haben, wenn ste ihren Weizen so blühen
sehen. Am ftühen Morgen beginnt die männliche Frauen-
arbeit, wenn mit dem ersten Zuge die Arbeiterinnen aus den
Munitionswerkstätten von der Nachtschicht heinikehren oder
die Straßenbahnschaffnerinnen zu ihrem Schuppen fahren, und
nimmt in der Nacht kein Ende, in der die Nachtwächterinnen
zum Dienst antreten.

Alle Frauen aller Stände haben gearbeitet. Die Liebes-
tätigkeit und Kriegsfürsorge haben wahrhaft männliche Aus-
dauer und Kräste gefordert. Unzählig waren die Gelegen-
heiten, bei denen die Frauen und Mädchen unseres in seiner
Gestnnung unantastbaren, guten Bürgertums Ersatz für die
fehlende Männerarbeit boten. Viele von ihnen werden da
zum ersten Male in das Räderwerk eines großen Zusammen-
greifens des Staatsgetriebes geblickt und durch den Krieg ge-
lernt haben, wie alles klappen muß, damit das Werk nicht
aus den Fugen geht. Besonders das soziale und wirtschaft-
liche Leben wird vielen bei ihrer Arbeit nahe getreten und ver-
ständlicher geworden sein. Es wäre ja unendlich schlimm,
wenn wir daheim aus dem Kriege nichts gelernt hätten. Der
Genius der deutschen Frau hat stch so wunderbar bewährt,
daß er aus der schweren Not der Zeit verjüngt und ge-
ISutert hervorgehen wird. Jhr Gesichtskreis ist geweitet und
von dem kleinen Jch zu dem größeren Selbst gelenkt wor-
den. Jndem sie ihr Selbst ganz walten ließ, hat sie der
Sache treu und stegreich gedient. Wie viele haben inmitten
ihrer Pflichterfüllung ein Heldentum, reich an Opfern, still in
sich hergetragen. Vor einiger Zeit hielt die Sozialdemokratin
Lily Braun über: „Die Frau von übermorgen" einen Vor-
trag in Berlin. Sie fühlte wohl selber das Heldentum unserer
Frauen in diesen Tagen heraus, und daß es schlecht paffe zu
den Tönen sozialdemokratischer Zukunftsmusik. Sie wollte uns
den Zwiespalt zwischen Erwerbs- und Mutterpflichten dadurch
klarer machen, daß sie uns das Bild der auf dem Lande hart
arbeitenden Frau malte, der zwei Kinder hemmend am Rocke
hangen. Das ist ein falsches Bild. Gerade auf dem Lande
legt die Familienarbeit bei manchem Arbeiter den Grund zu
einer eigenen kleinen Scholle. Jetzt hat der Krieg gezeigt,
wie die Frauen an ihrem deutschen Heimatboden hasten.
Sie haben ihn bestellt und uns trotz des Aushungerungsplanes
Englands zu Brot und Kartoffeln verholfen. Sie haben ihre
Kinder angehalten, sich dabei nützlich zu machen. Sie haben
nicht nur Feldarbeitsdienste sondern auch Verwaltungs-
dienste geleistet. Die Frauen des Gutsherrnhauses und des
Beamtenhauses haben den Kreis ihrer Pflichten erkannt
und mit selbstverständlicher Hingabe ausgefüllt. Die kernige
Einfachheit des Landlebens, das tiefinnerlich mit der Natur
unlösbar verknüpst ist, war so gesund geblieben, daß ste
in der Not den Grund und Boden als einzige Liebe emp-
fand. Die männlichen Frauen auf dem Lande gehören in
erster Reihe zu der Heimarmee, von deren Siege das Heil
des Vaterlandes genau so abhängt, wie von dem Siege
unserer bewaffneten Söhne draußen. Den wirtschastlichen Sieg
hat in diesem Siege die Frau miterfochten. Äuch in der Er-
nährungsftage darf man ihr Durchhalten nicht vergessen. Jm
Haushalten zum Wohle des Ganzen haben sie sich musterhaft
bewährt. Unsaubere Elemente gibt es überall. Bei uns
konnten ste den Schild der heimischen Waffenehre nicht be-
flecken. Als die Regierung die beiden fleischlosen Tage in der
Woche einsuhrte, da war es für jede deutsche Hausftau selbst-
verständlich, ste auch für den eigenen tzaushalt zu übernehmen.
Dieses Verständnis, das sofort zum Pflichtbewußtsein wurde,
hat bewiesen, daß der Blick für das Ganze der deutschen Frau
auch ohne ausdrückliche Belehrung innewohnte ...

Die Organisatorinnen der Frauenarbeit werden sehen, daß
nach dem Kriege ihr Weizen auf dem Halme verdirbt. Denn
dann wird die Kurve wieder sinten. Schon aus dem einfachen
Grunde, weil die Männer in ihre Arbeitsstellen und Berufe
zurückkommen und die Arbeit aufhören wird, die für seine
eigensten Zwecke der Krieg hervorgebracht hat. Dann werden
die männlichen Frauen wieder Gattinnen, Mütter und Haus-
frauen werden, und gleich ihnen Tausende von Mädchen.
Aber die Bürgerinnen, die fie vollwertig im Kriege gewesen
sind, mögen sie im Frieden nicht verlernen. „Jn dem unge-
heuren Erleben dieses Krieaes wird ein neues Geschlecht
groß ... Die geschlagenen Wunden heilen und neues Leben
hervorwachsen laffen aus den gewaltigen Taten und Opfern
unseres Volkes wird unsere allergrößte Aufgabe sein, sobald
der Frieden siegreich erstritten ist," hieß es m der Thronrede
zum letzten preußischcn Landtag. Ein neues Geschlecht der
Pflicht und der Verantwortung werde groß! Es kann nicht
fehlen, da die Frauen Miterzieherinnen sein werden, wie ste
jetzt Mitstreiterinnen stnd.

Männlicher Geist durchziehe das kommende Geschlecht, da-
mit es ftitzisch bleibe. Wehe, wenn es wieder durch eine Frau
beschämt wird, die da sagen kann: „Wir haben die Zeit auf
den Lorbeeren der Vergangenheit verschlafen."
 
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