„Die Sätze liegen im Rhythmus anders als gewohnt gefaltet. Sic unterstehen der gleichen
Absidit, demselben Strom des Geistes, der nur das Eigentliche gibt. Melodik und Biegung
beherrsdrt sie. Dodr nidrt zum Selbstzweck, — die Sätze dienen in grober Kette hängend dem
Geist, der sie formt.“
„Audi das Wort erhält andere Gewalt. Das besdireibende, das umsdrürfende hört auf. —
Es wird Pfeil. Trifft in das Innere des Gegenstandes und wird von ihm beseelt.“
„Dann fallen die Füllwörter. Das Verbum dehnt sidi und verschärft sich, angespannt, so
deutlidi und eigentlidr den Ausdruck zu fassen“.*)
In der Tonkunst vorläufig nichts von diesem allem und künftig gewilj auch nicht! Sie.
die tedmisdiste aller Künste, — derart, dab ihre Lehrzeit nur von Theorie sich sättigt, kann
sidi nicht mit ruckweisen Eingriffen abgeben. Ihre Tonalität erwuchs der Natur selbst; ihr
Kontrapunkt wurde gesdraffen wie die Bäume, Felsen, das Meer. Alle Kunstwerke sind
Variationen des einen großen Themas. Wie gering für uns die Distanz weit auseinanderliegender
stilistisdier Epodien! Ob nun Palestrina in seiner Messe, Bach in seinen Passionen,
Beethoven in seinem «Dankgebet eines Genesenen an die Gottheit», Wagner in seinem
Parsival, Brahms in ernsten Gesängen zu seinem Sdiöpfer als dem Urgrund aller Dinge spricht, —
es ist der gleidre Stoff, die gleiche Spradre, die gleiche Weise. Mit bewußter Gotik, bewußter
Primitive, bewußtem Sdiema ist hier nidrts getan. Der Inhalt schafft sich selbst ihm gemäße
Form, Redlidikeit und Sauberkeit der Seele wird vorausgesetzt. Unklare Handlanger richten sidi
selbst. Im Bildersaal der Musik hangen nur wahrhaft erschaute und überzeugte Gemälde.
Halbe Taten gehen nicht in die Gesdiidite ein, deshalb sorge sidi niemand um diese Kunst.
Gefeit ist sie von der Natur: sie kann keine Mode werden.
Jetzt liegen Forderungen der Gegenwart auf offener Bahn. Es mu^te so kommen, dab
alle Ismen von der gut und tapfer bewehrten Tonkunst abprallten! Die Fehden der Schulen
sdilossen im Gegensatz zu anderen Künsten mit Friedensfesten. Der närrische Zwiespalt, den
Brahms und Wagner entfaditen, erwies sich als temperamentvolle Einseitigkeit verwandter
Stämme, beide der Urmiitter der Tongewalten angehörig. Sekten und Gruppen lösten sidi auf
in ein großes Volk von Verstehenden. Das Individuum des Schaffenden steht ihm allein gegen-
über, sein Gesetz nur aus sidi selbst, nicht von auf>en empfangend. In einer Sucht nadi Grausam-
keit, in einem Wirbel unklarer sozialer Variationen bleibt die Musik die aristokratischste aller
Künste, entgegen den soziologisdien Formen der Sinfonie und der Oper mit ihrem ideellen, tausend-
köpfigen Zuhörerkreis. Dies ist der Expressionismus der Musik und ihrer Bürger, — von
Max Reger angebahnt, und fürder von, adi, so wenigen verstanden! — dalz nur die Ein-
samkeit der Seele und des Körpers grob madit, dalz nur das Sicherheben über die Masse
läutert und notwendig idealisiert, daf> das freisdiwingende Gefühl allein Diktator sei. Das
Merkantile der Ersdieinung mub versdiwinden, die Materie zu winzigem Punkte zusammenschrumpfen.
Bewubt sei die Brücke zum Metaphysisdien iibersdiritten. Nur jenseits des Stofflichen und
Dinglidien lebt Erlösung, lebt geläuterte künstlerische Mitteilung. Bourgeoise Allüre oder nicht,
— proletarische Geste oder nidit, — nur im Menschlidien liegt unser Heil und unsere Hoffnung!
Zu ihm müssen wir hindurchdringen, die Technik emporläutern in harter Masdiinenarbeit des
kritischen Gefühls. Ringen müssen wir mit spröder Unendlichkeit, auf dab wir des Segens von
oben teilhaftig werden. Vielleidit hat sodann die Tonkunst allein die Mission erfüllt, die jedem
Geiste unserer Zeit gestellt ist: den verlorenen Gott wiederzufinden, der sdiaudernd kalte, lange
Jahrzehnte hindurdi diese entsefflidie Welt floh. Wir sdiämen uns nidit dessen, dab wir ihn sudien !
*) K. Edschmid: a. a. O. S. 65/66.
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Absidit, demselben Strom des Geistes, der nur das Eigentliche gibt. Melodik und Biegung
beherrsdrt sie. Dodr nidrt zum Selbstzweck, — die Sätze dienen in grober Kette hängend dem
Geist, der sie formt.“
„Audi das Wort erhält andere Gewalt. Das besdireibende, das umsdrürfende hört auf. —
Es wird Pfeil. Trifft in das Innere des Gegenstandes und wird von ihm beseelt.“
„Dann fallen die Füllwörter. Das Verbum dehnt sidi und verschärft sich, angespannt, so
deutlidi und eigentlidr den Ausdruck zu fassen“.*)
In der Tonkunst vorläufig nichts von diesem allem und künftig gewilj auch nicht! Sie.
die tedmisdiste aller Künste, — derart, dab ihre Lehrzeit nur von Theorie sich sättigt, kann
sidi nicht mit ruckweisen Eingriffen abgeben. Ihre Tonalität erwuchs der Natur selbst; ihr
Kontrapunkt wurde gesdraffen wie die Bäume, Felsen, das Meer. Alle Kunstwerke sind
Variationen des einen großen Themas. Wie gering für uns die Distanz weit auseinanderliegender
stilistisdier Epodien! Ob nun Palestrina in seiner Messe, Bach in seinen Passionen,
Beethoven in seinem «Dankgebet eines Genesenen an die Gottheit», Wagner in seinem
Parsival, Brahms in ernsten Gesängen zu seinem Sdiöpfer als dem Urgrund aller Dinge spricht, —
es ist der gleidre Stoff, die gleiche Spradre, die gleiche Weise. Mit bewußter Gotik, bewußter
Primitive, bewußtem Sdiema ist hier nidrts getan. Der Inhalt schafft sich selbst ihm gemäße
Form, Redlidikeit und Sauberkeit der Seele wird vorausgesetzt. Unklare Handlanger richten sidi
selbst. Im Bildersaal der Musik hangen nur wahrhaft erschaute und überzeugte Gemälde.
Halbe Taten gehen nicht in die Gesdiidite ein, deshalb sorge sidi niemand um diese Kunst.
Gefeit ist sie von der Natur: sie kann keine Mode werden.
Jetzt liegen Forderungen der Gegenwart auf offener Bahn. Es mu^te so kommen, dab
alle Ismen von der gut und tapfer bewehrten Tonkunst abprallten! Die Fehden der Schulen
sdilossen im Gegensatz zu anderen Künsten mit Friedensfesten. Der närrische Zwiespalt, den
Brahms und Wagner entfaditen, erwies sich als temperamentvolle Einseitigkeit verwandter
Stämme, beide der Urmiitter der Tongewalten angehörig. Sekten und Gruppen lösten sidi auf
in ein großes Volk von Verstehenden. Das Individuum des Schaffenden steht ihm allein gegen-
über, sein Gesetz nur aus sidi selbst, nicht von auf>en empfangend. In einer Sucht nadi Grausam-
keit, in einem Wirbel unklarer sozialer Variationen bleibt die Musik die aristokratischste aller
Künste, entgegen den soziologisdien Formen der Sinfonie und der Oper mit ihrem ideellen, tausend-
köpfigen Zuhörerkreis. Dies ist der Expressionismus der Musik und ihrer Bürger, — von
Max Reger angebahnt, und fürder von, adi, so wenigen verstanden! — dalz nur die Ein-
samkeit der Seele und des Körpers grob madit, dalz nur das Sicherheben über die Masse
läutert und notwendig idealisiert, daf> das freisdiwingende Gefühl allein Diktator sei. Das
Merkantile der Ersdieinung mub versdiwinden, die Materie zu winzigem Punkte zusammenschrumpfen.
Bewubt sei die Brücke zum Metaphysisdien iibersdiritten. Nur jenseits des Stofflichen und
Dinglidien lebt Erlösung, lebt geläuterte künstlerische Mitteilung. Bourgeoise Allüre oder nicht,
— proletarische Geste oder nidit, — nur im Menschlidien liegt unser Heil und unsere Hoffnung!
Zu ihm müssen wir hindurchdringen, die Technik emporläutern in harter Masdiinenarbeit des
kritischen Gefühls. Ringen müssen wir mit spröder Unendlichkeit, auf dab wir des Segens von
oben teilhaftig werden. Vielleidit hat sodann die Tonkunst allein die Mission erfüllt, die jedem
Geiste unserer Zeit gestellt ist: den verlorenen Gott wiederzufinden, der sdiaudernd kalte, lange
Jahrzehnte hindurdi diese entsefflidie Welt floh. Wir sdiämen uns nidit dessen, dab wir ihn sudien !
*) K. Edschmid: a. a. O. S. 65/66.
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