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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Müller-Wulckow, Walter: Durch die Kunst zur Kultureinheit
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DURCH DIE KUNST ZUR KULTUREINHEIT
W. Miiller-Wulckow

Den Einsichtigen braucht es nicht erst nachgewiesen zu werden: wir haben
keine einheitlich sich aufgipfelnde, also keine monumentale Kunst. Nur wer
auf die seif 1870 entstandenen umfänglichen Werke der Architektur, der Plastik
und Malerei pocht, — ohne zu merken, wie hohl es klingt, — wer mit dem Mab--
sfab der Expansion den Zweifler schlagen will, dem sei es gesagt: wenn wir eine
eigene, einige Kunst hatten, wozu dann die dauernden Anleihen bei früheren
Zeiten und anderen Regionen? Warum mu^te man Kaiserpfalzen und Bahnhöfe
romanisch, Paläste italienisch und nach deutscher Renaissance, Verwaltungs-
bauten barock, Fabriken und Kasernen gotisch und wie Festungen bauen? Wie
konnte man sich einbilden, die Einheit eines Lebensstils zu gewinnen, indem man
von Zimmer zu Zimmer wie mit Schlemihls Stiefeln in die Formenkreise der ver-
schiedensten Jahrhunderte übertrat, ohne doch chamäleonshaft sich durch Blut-
wallung und Empfindungsübereinsfimmung anpassen zu können? Ist nicht diese
Ratlosigkeit in der Form das deutlichste Zeichen, dab man das Vertrauen zu den
inneren triebfähigen Prämissen verloren? Dab man dieses Bewubfsein innerer
Grobe überhaupt nicht mehr besah? Nur so erklärt sich der groteske Irrtum, dah
man durch die äuheren Voraussetzungen, Reichsgründung und alles damit Zu-
sammenhängende, das Recht auf eine monumentale Kunst zu haben glaubte und
sich sträubte gegen die damals einzig zeitgemäß, die impressionistische. Dieser
Widersinn hat die Organe, die eindrucksfähig hätten bleiben sollen, geradezu
verstopft. Auf dem Wege, auf dem Reichfümer an Eindrüdcen hätten gesammelt
werden können, ist wenig erreicht worden. Gleichzeitig wurde der blinde und taube
Schlauch von den eigenen unverdauten Meinungen aufgebläht, und dies hielt man
für Monumentalität. Wer das Groteske dieses Wachstums kennt, weih auch über
die Hohlheit nur zu gut Bescheid.
Der Kunsifrieb hat am Ende des Jahrhunderts mit Hilfe aubenseüiger, näm-
lich moralischer Qualifizierung aus seiner Abwendigkeif befreit werden können.
Moral, in diesem Sinn ein Gegengift gegen die Wucherung des Ungeschmacks,
keinesfalls aber ein positiver Antrieb zur Hervorrufung künstlerischer Werfe, so
wenig wie der Patriotismus, das Völkische, die Heimatkunsf oder sonst eine auher-
künsflerische Rücksicht im Verlaufe des Jahrhunderts den verfahrenen Verhält-
nissen hafte aufhelfen können.
Zu Wachstum und Fortschritt gehören nun einmal Widerstände so notwendig
wie Triebkräfte. Selbstverständliche Dinge können niemals in der Weise wie un-
gewohnte, durchgefrohte Ereignisse im Bewuhtwerden den gewichtigen Akzent
erhalten, der sie aus der gleichförmigen Rhythmik des alltäglichen Lebens
lusfbefonf hervorhebf. Damit Triebe zum Licht dringen, müssen Erdschollen

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