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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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März-Heft
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Müller-Wulckow, Walter: Durch die Kunst zur Kultureinheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0526

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auf gebrochen werden. Unter dem revolutionären Kampfruf war damals der erste
Anlauf gegen die Widerstände leicht, die Enge des Bezirks komprimierte die
Kräfte, Durchbruch war greifbar nahes Zieh Dann jedoch schweiften die Willens-
kräfte ohne Gegendruck ins Weite, statt zu fernem Ziel sich zu sammeln.
Dabei zeterte man in dem ersten Jahrzehnt des künstlerischen Umschwungs
zuviel über die Gangbarkeit der Entwicklungswege. Leidenschaftlich erregtem
Bemühen stellte sidi die beschämende Geste kühlen Gleichmuts gegenüber: als
könne mit Vorbedacht Künstlerisches überhaupt nicht gepflegt werden, es müsse
„von selbst“ kommen. Gefährlichste Äu^erungsform der Resignation tritt damit
irreführend auf den Markt, Vielerlei Kulturproduktion gegenüber gewib im Recht,
verkennt dieses laisser faire, Jaisser aller die Wurzel künftigen Aufbaus, die
in der Synthese liegt. Zwar kommt auch diese sdilief^lich nur durch unbeeinflu^-
bare Intuition zustande, denn sie ist (die künstlerische Synthese) kein Addieren
der vorgebildeten, zuvor zergliederten Elemente. Wohl aber müssen diese, um zur
Abstraktion und geistigen Sublimierung zu gelangen, vom Verstand durchdrungen,
durchleuchtet! müssen in der Wärme des Gefühls verschmolzen werden.
Synthese sieht die Dinge mittels einer anderen Perspektive und gewinnt dabei
einen Tiefenmabstab, der Fernstes und Höchstes zu einheitlichem Bilde zwingt.
Zuvor hatten die materiell greifbaren Vordergrundserscheinungen übergebührliche
Wichtigkeit erlangt. Jetd geht es mit veränderter Optik um das Fernste und
Tiefste. Synthese hat kosmische, nicht mikrokosmische Einstellung.
Wer aber vermag heute mit gutem Gewissen und sicherer Hand das Gute
vom Belanglosen zu scheiden? Wer frohen Herzens Ziele seines Waltens sieht. Wer
auf festem Boden steht und seinen Geist über die Dinge schweifen läljt. Wer
oftmals den Weg durch die Jahrhunderte aufwärts und abwärts durcheilt hat. Wer
die Höhen und Tiefen kennt und den Sinn des Ganzen in sich zusammengezogen
hat zu dem keimenden Kern des Zukünftigen. Der allein wird sich an keinerlei
Vergangenheit verlieren. Ist doch ihre Überschätzung immer ein Zeichen zu kurzer
Bekanntschaft. Er wird scheitrecht über dem Heute sdiweben, weil die Zukunft
in ihm sidi erheben will. Die Gebärden aber, das krampfhafte Wollen lenkt die
Beachtung der Zeitgenossen viel zu sehr auf sich und verleitet zu Überschätzungen.
Deshalb verblühen die Blumen zeitgenössischer Ehrungen so rasch.
Was schiert uns der einzelne Künstler, wenn wir nach dem Stil trachten, lins
brennt das Verlangen nach der Kunst unserer Zeit im Herzen. Mancher möchte
wohl in der Vielzahl der Schaffenden, in der sie unterscheidenden Mannigfaltig-
keit ihrer persönlichen Eigenart den zugkräftigen Beweis für die Hoffnungsberech-
tigung unserer Kunst erblicken. Nicht darauf kommt es jetzt an, ein möglichst
farbiges Bukett unterscheidbarer Individualitäten zusammen zu steilen. Höher
gewertet mu^ das Gemeinsame in den künstlerischen Leistungen werden, und je
umfassender diese Einheit ist, desto näher sind wir dem Stil. Die Eigentümlich-
keiten der Künstler hervorzukehren, soll ihren Biographen überlassen werden.
Dennodi werden auch diese dem zu Charakterisierenden am besten dienen, wenn

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