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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Moser, Hans-Joachim: Nationalismus und Internationalismus in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0209

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NATIONALISMUS UND INTERNATIONALISMUS
IN DER MUSIK.

Privat dezent Dr. Hans Joachim Moser (Halle a. S.)

N diesen Zeiten, wo das schwer
verstimmte Konzert der Mädite neu
intoniert werden soll, um auf mög-
lichst lange Zeit »d'accord« zu
bleiben, sucht man unwillkürlich auf allen Lebens-
gebieten, die Berührungspunkte für zwisdien-
völkisdie Beziehungen bieten, Inventur auf-
zunehmen und sidi über die zu erwartende
Weltkonstellation klar zu werden.
Die Tonkunst gilt gemeinhin als derjenige
Boden, auf dem sidi die Nationen noch am
ehesten ohne Dolmetscher verstehen lernen, als
das vorläufig einzig wirkliche Volapük, und der
Gedanke liegt nahe, daß die Deutschland so
nötige Aufnahme in den vielberedefen Völker-
bund, der natürlich auch eine entsprechende
Versöhnung im Bereich der kulturellen Imponde-
rabilien dringendst zur Seite gehen mühte, von
einer guten, Erfolg versprcdienden, ethischen
Propaganda durch die von uns so meisterlidr
beherrschte Spradie der Töne begleitet werden
könnte. Sdion während des Kriegs hat die
deutsche Regierung ja allerseits nadi Neutralien
1 onkünstler, Orchester und Chöre entsandt, die
vielleicht in der Tat ein Wesentliches zugunsten
deutschfreundlicher Stimmung gewirkt haben,
hreilich — Kunst allein tut’s nicht; bei zu ein-
seitiger Betonung unserer unpolitischen, rein
ästhetischen Potenzen geraten wir in die Gefahr,
das Sdiicksal der Hellenen nadi der Zerstörung
von Korinth zu teilen : als sdiöne, müde Schmuck-
Sklaven ohne staatlichen Rückhalt der reali-
stischeren Tatenwelt zum luxuriösen Zeitvertreib
zu dienen. Man braucht nicht gleidi Alldeutscher
zu sein, um einen solchen Ausgang unseres
nationalen Seins als grauenvoll zu empfinden.
Wir wollen, wir müssen, wir werden ein
selbständiges Volk bleiben, geistig und körperlich
Herren in unserem wenn auch armen Hause,
aber es gilt das Hödiste, dieses Haus richtig
für die spartanischen Zeitläufte des kommenden

Menschenalters einzurichten. „Sdiußzoll oder
Manchestertum ?u — diese Grundfrage jeder
modernen Wirtsdiaftspolitik wird audi in Kunst-
dingen nicht unerörtert bleiben dürfen. Denn
wenn künstlerische Bewegungen lebten Endes
gewiß elementar und unabwendbar sind, so
kann unsere Zeit der Organisation und der
bewußten Großwirtschaft dodi recht viel dazu
tun, um blindes Drängen auf verheißungsvolle
Bahn zu leiten und durch die rechten Losungen
der Erzeugung wirklicher Werke günstige
Bedingungen zu schaffen. Wieviel Künstler-
schaft zerreibt sidi in Plan- und Direktions-
losigkeit, wieviel Streben und Arbeit hochwertiger
Individualitäten sdieitert am Mangel einer als
heilsam erkannten, gebundenen Marschroute. . .
Unter der Alternative „Nationalismus oder
Internationalismus?“ lassen sidi die wichtigsten
Probleme gedrängt betrachten, welche der
deutschen Musik in den nächsten Jahren als
lösungsbedürftig entgegentreten werden. Vielleidit
verhilft die kurze Darlegung der einschlägigen
Tatsachen diesem und jenem Künstler zur
Klarheit über das seiner Natur im Kern Not-
wendige und regt den Kunstfreund an, einen
eigenen Standpunkt zu den ihm begegnenden
Einzelfällen des tonkünstlerischen Geschehens
zu gewinnen.
Das musikalisdie Gemeineigentum der weißen
Rasse ist ein ziemlich großes: unser akustisches
Tonsystem, unsere Grundzüge der Harmonielehre,
Kontrapunktik, Formenlehre — eben alles ge-
wissermaßen durch objektive Natur Gestiißte.
Erst wo die Formen in subjektive Inhalte
überzugehen beginnen, fangen die musikalischen
Nationalstile*) sidi zu scheiden an, und sie
bedeuten ihrerseits wiederum eine seltsame
Mischung von naiver und (im Schiilerschen
Wortgebrauch) sentimentaler Kunstgestaltung.
*) Uber die Abgrenzung des Volksstils gegen Persönlidikeits-, Zeit-
und Werkstil darf idr auf meine Abhandlung »Zur Methodik der
musikalischen Geschichtssdireibung« in Dessoirs Zeitschrift für Ästhetik 1919
verweisen.


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