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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Verweyen, Johannes Maria: Gebete eines Gottlosen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0839

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GEBETE EINES GOTTLOSEN
JOHANNES VERWEYEN

Ihr Sterne da droben — meine Sterne! Zu euch wend’ ich den suchenden Blick,
spendet mir euer belebendes Licht, wenn es in meiner Seele zu nächten beginnt!
Du vor allem, Polarstern meiner großen Liebe, weise mir als sicherer Kompab
den Weg auf dem Meere der mich bedrohenden Wirrungen!
Ihr knorrigen Eichen des deutschen Waldes, auch von euch erflehe ich Kraft in
Stunden, da der Boden mir wankt und ich fürchte, vom Sturmwind der Schicksale
entwurzelt zu werden!
Ihr frischen Bergeslüfte, meine beseligenden Lüfte! Tragt midi hinweg aus
irdischer Schwüle in die klaren, befreienden Weiten des Alls!
Sonne, du mein Herz durchglühende Sonne! Lab mit dir midi fliegen durch die
unendliche Welt und lalj dein unermüdliches Verschenken von Wärme und Licht
mir Vorbild sein bis zum Ende der Tage!
Ihr brandenden Meere und flutenden Gewässer, o lehrt midi die Lust des allzeit
beweglichen schaffenden Lebens und hütet mein Herz vor Erstarrung!
Säuselnde, die Bäume sanft kosende Winde, seid mir ein Gleichnis, dafs vor
Milde und Güte die Menschen sich eher neigen als vor grimmer Wut!
Schüttle mich Schicksal und wirble mein Inneres wild durcheinander, cla^ es erprobt
werde in seiner Kraft bis auf den tiefsten Grund!


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