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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Corwegh, Robert: Darmstädter Ausstellungen
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Darmstädter Ausstellungen.

ER mit Verständnis sidi in die Zeit
der „Empfindsamkeit“ eingelebt
hat, jene Zeit Darmstädter Ver-
gangenheit, der Goethe die Weihe
gab, wird als feiner Bcobadrter wahrnehmen,
daß Darmstadt nodi viele Züge von einstmals
bewahrte. Man kann in dieser Stadt nicht von
einer künstlerischen Atmosphäre reden; denn der
Spießbürger, der Leben und Straßenbild be-
herrsdrt, kümmert sidr um künstlerische Dinge
nidrt. Dodr wie ehemals wirken hier kleine
abgesdrlossene Kreise, in denen edite Liebe
zur Kunst blüht. Sie beschränken sidi nidrt
auf die Gesellschaftsklassen, denen der kunst-
liebende Großherzog nahesteht, sondern in
Winkeln, wo keiner es ahnt, treibt und keimt
es. Bald bittet ein sozialdemokratisdier Jüng-
lingsverein um Führung durch Ausstellungen,
oder im Sdraukasten einer Rahmenhandlung
tauchen Gemälde eines Telegraphenassistenten
auf; der Kreis um das radikale Blatt »Tribunal«
entspringt bürgerlichstem Bürgertum, und Ka-
simir Edsdimid ist in seinem Urgrund ein
echter Eduard Sdamid. Mit dieser Feststellung
seße idr nidats herab, sondern belege nur, was
idi oben andeutete. Diese kleinen Sonder-
gruppen bieten ständig Ansaßkiinste der Be-
wegung, sie bilden Sauerteig, und wer Darmstadt
lästern will, muß erst einmal gründlich LImsdiau
halten, um sodann zuzugeben: hier lebt in
engbegrenzten und in sidr abgeschlossenen
Gruppen immer ein Kulturwille, der ab und zu
Blüten treibt, die den Ruf Darmsfadts als
Kunststadt neu beleben. Die Ausstellung der
Darm städter Sezession erregte Aufsehen,
und audr der Präsident unseres Bildungsamtes,
Dr. Strecker, verkörpert einen so lebendigen
Kulturwillen, daß bald die Augen der Allge-
meinheit auf diese Stadt geriditet sein dürften.
Weniger erfreulidr war die Ausstellung
»Kunst des Jahres 1919«, Zu den Darm-
städter Jahres-Ausstellungen werden nur ein-
geladene Künstler zugelassen. Künstler von
Ruf sdreufen zum Teil in den unsicheren Zeiten
ihrer Eröffnung die Besdrickung, junge Talente

hatte man mit der Einladung nicht bedacht, da
in Kommissionen von Künstlern eine Einigung
über Wert und Bedeutung junger Konkurrenz
schwer zu erzielen ist. Wenn man nidrt in
urteilssichere Flände eines Einzelnen die Ver-
antwortung und das Recht zur Einladung legt,
läßt sidr der Rückgang dieser Ausstellungen
troß schöner Programme, auf gestellt vom Ver-
band bildender Künstler Hessens, nicht auf-
halten. Freilich muß man troß dieser Ein-
schränkung anerkennen, daß die Ausstellung
sehr gut behängt ist und daß die Zeit der Er-
öffnung Ende Mai 1919, durdr politische Ver-
hältnisse und Verkehrsnöte die denkbar schwerste
Zeit gewesen ist.
Nach Absicht der Kunstkomnrission sollte ein
Querschnitt durch das Kunstsdraffen des leßten
Jahres geboten werden. Alle Richtungen sollten
mit ihren jüngsten Werken zur Öffentlichkeit
spredren. Interessant in dieser Hinsidrt ist von
Lovis Cor int h ein »Raub der Helena«,
expressionistisdie Schilderung mit den Formen-
mitteln impressionistischer Maltedmik. Unter
den Impressionisten wirken bedeutsam: LI 1 rida
Hübner, Slevogt, Eugen Bradat in zwei
älteren Skizzen, Franz Eich hörst, Oskar
H. Hagemann, Ter Hell, Conrad Hommel,
K. v. Kardorff, Hans Kohlschein, Joseph
Oppenheimer, Paul P a e s ch k e. Eine Sonder-
stellung nimmt sdaon wegen seiner glänzenden
Aguarelltechnik der in einzelnen Kreisen sehr
beliebte Interieurmaler Franz Hut ein. Er ist
der künstlerische Historiograph von Darmstadts
Vergangenheit als großherzogliche Residenz.
LInter den Jüngeren fesselt mich persönlich
Erich Büttner’s »Komödianten«, ein Werk,
in dem sich besonders glücklida künstlerisdae
Darstellung mit der Vorstellung eines phantasie-
voll erhöhten Vorgangs decken. Erwähne ich
Carl Caspars »Auferstehung«, Josef Eberz’
»Artisten«, Julius Hütters »Zirkus«, Walter
Klemens »St. Franziskus«, Max Pechsteins
»Stilleben mit Pfeife«, Christian Rohlfs
»Patrizierhaus in Soest«, dann dürfte das Beste
Erwähnung gefunden haben. LInter den Plastiken


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