DIE ÄSTHETISCHE ERZIEHUNG DER FRAU.
Ein Versuch.
Adele Wygozinski, Bonn.
IR alle haben es ja bis zum Uberdruh
gehört: die Frau soll — die Frau
muh — die reidre brau hat — die
arme Frau kann nidrt — eines allein
ist ridrtig: die Frau darf nicht gesdrmacklos sein,
das nur ist die Sünde wider den heiligen Geist!
Die Frauen sind meist wie die Kinder, naiv und
egoistisdr, schnell zum Nehmen bereit; sorglos
im Fallenlassen, sind sie irgendwelcher Dinge
müde geworden. Nun aber wollen wir ihnen sagen:
Die ästhetischen Aufgaben, die ästhetisdre
Bildung der Frau ist keine Tändelei, keine
Spielerei, kein Zeitvertreib für milbige Stunden.
Es ist eine ernste und nidrt leidrte Sadre, eine
Aufgabe, ein Ziel, ein Inhalt, eine allgemeine
Angelegenheit. Es geht alle Frauen an, nicht
die begüterten allein, nidrt die armen allein, es
ist im Gegenteil ein Band, das sie alle vereint,
wie die Liebe zum Mann, zum Kinde. Es sind,
trivial ausgedrückt, die Fragen:
„Wie erkenne ich, was schön ist?“
„Wie lerne idr, selbst schön zu sein?“
Die Frau ist Hauptkonsunrentin, sechzig Prozent
des Volkseinkommens gehen durch ihre Hand.
Sie kauft Kleidung, Möbel und Geräte, aber sic
ist sidr dieser ihrer Madrt nidrt bewuht. Es
wird audr wieder einmal die Zeit kommen, da
wir nidrt ausgehungert und aller Bedarfsgüter
beraubt sind, da wir wählen können und be-
stimmen, was wir wollen. Bis dahin muh die
Frau wissen, was gut und sdrledrt ist, was
sdrön und häljlicfr. Das jetzige, fast voll-
kommene Vakuum an fast allen Gebrauchs-
gütern, an Stoffen, Kleidern, Wäsche, Möbeln,
Wohnungen, Häusern, bietet eine Möglichkeit
für die Käuferin, wie sie reizvoller, lockender,
verantwortungsvoller gar nidrt gedadrt werden
kann. Die Zertrümmerung der Wirtsdraft
gewährt die vollendete Gelegenheit zur Wieder-
aufrichtung, zum Neubau; innen und auhen.
Es ist sdron viel zur Aufklärung, Anregung,
Beeinflussung gesdrehen; Werkbund, Zeitsdrriften,
1 ageszeitungen, Ausstellungen, Vorträge haben
glücklidre Erfolge gehabt. Was man an Ein-
ridrtungsgegenständen allenthalben sieht, ist
durdrweg einfadr und gut in der Form.
Das ist Element der Frau aller Klassen:
wählen, kaufen, einridrten. Weldre Frau täte das
nidrt leidensdraftlidr gern? Der Warenhausrausdr,
das Wühlen in Stoffen, Bändern, Spitzen, das
ist Gefühl, wie es nur eine Frau kennt, eine
kindlidre Art, eine spielerisdre Lust, die einen
Teil ihres Wesens ausmadrt. Ob reidr, ob arm,
die Freude am glänzenden Ding ist dieselbe,
oft gleich belustigend für den Mann. Eine Naivität,
Überbleibsel aus der Urzeit des Mensdren, ver-
wandt dem Vergnügen der primitiven Rassen
an Glasperlen und barbarisdrenr Schmuck.
Als Käuferin ist die Frau aktiv. Meist ist
ihre geistige Aufnahmefähigkeit geschmeidiger
als die des Mannes, sie geht schneller auf
Wechsel, Umstellung, Neues ein. Dies hängt
mit ihrem labileren Gleidrgewidrt, der tieferen
Erdgebundenheit ihres Gesdrlechtes zusammen.
Der Wedrsel ist ihr nicht so sdiwer — durdr die
Mode ist sie daran gewöhnt. Und wiederum
sind Frauen — die Hartnäckigsten im Fest-
halten am überkommenen. Die schwierigste
Kunst, Tradition zu bewahren und sidr zugleidr
dem Fremden gegenüber willig zu verhalten,
ist Bedingung für käuferische Fähigkeiten
aller Art. Meist sind es Frauen, die einer
neuen Kunstridrtung eifriger folgen; eine
Freude am Nodrnichtdagewesenen, eine leb-
haftere eigene Phantasie reibt sie fort. Sie
verstehen und empfinden mehr, als sie selber
produzieren können; glühender denken sie sidr
in fremdes Fühlen hinein. Ihre Kritik ist, aus
dieser psydrisdren Veranlagung heraus, sdrärfer
und unvorsidrtiger einerseits, feinnerviger, be-
glückender andererseits. Dem Werke gegenüber,
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Ein Versuch.
Adele Wygozinski, Bonn.
IR alle haben es ja bis zum Uberdruh
gehört: die Frau soll — die Frau
muh — die reidre brau hat — die
arme Frau kann nidrt — eines allein
ist ridrtig: die Frau darf nicht gesdrmacklos sein,
das nur ist die Sünde wider den heiligen Geist!
Die Frauen sind meist wie die Kinder, naiv und
egoistisdr, schnell zum Nehmen bereit; sorglos
im Fallenlassen, sind sie irgendwelcher Dinge
müde geworden. Nun aber wollen wir ihnen sagen:
Die ästhetischen Aufgaben, die ästhetisdre
Bildung der Frau ist keine Tändelei, keine
Spielerei, kein Zeitvertreib für milbige Stunden.
Es ist eine ernste und nidrt leidrte Sadre, eine
Aufgabe, ein Ziel, ein Inhalt, eine allgemeine
Angelegenheit. Es geht alle Frauen an, nicht
die begüterten allein, nidrt die armen allein, es
ist im Gegenteil ein Band, das sie alle vereint,
wie die Liebe zum Mann, zum Kinde. Es sind,
trivial ausgedrückt, die Fragen:
„Wie erkenne ich, was schön ist?“
„Wie lerne idr, selbst schön zu sein?“
Die Frau ist Hauptkonsunrentin, sechzig Prozent
des Volkseinkommens gehen durch ihre Hand.
Sie kauft Kleidung, Möbel und Geräte, aber sic
ist sidr dieser ihrer Madrt nidrt bewuht. Es
wird audr wieder einmal die Zeit kommen, da
wir nidrt ausgehungert und aller Bedarfsgüter
beraubt sind, da wir wählen können und be-
stimmen, was wir wollen. Bis dahin muh die
Frau wissen, was gut und sdrledrt ist, was
sdrön und häljlicfr. Das jetzige, fast voll-
kommene Vakuum an fast allen Gebrauchs-
gütern, an Stoffen, Kleidern, Wäsche, Möbeln,
Wohnungen, Häusern, bietet eine Möglichkeit
für die Käuferin, wie sie reizvoller, lockender,
verantwortungsvoller gar nidrt gedadrt werden
kann. Die Zertrümmerung der Wirtsdraft
gewährt die vollendete Gelegenheit zur Wieder-
aufrichtung, zum Neubau; innen und auhen.
Es ist sdron viel zur Aufklärung, Anregung,
Beeinflussung gesdrehen; Werkbund, Zeitsdrriften,
1 ageszeitungen, Ausstellungen, Vorträge haben
glücklidre Erfolge gehabt. Was man an Ein-
ridrtungsgegenständen allenthalben sieht, ist
durdrweg einfadr und gut in der Form.
Das ist Element der Frau aller Klassen:
wählen, kaufen, einridrten. Weldre Frau täte das
nidrt leidensdraftlidr gern? Der Warenhausrausdr,
das Wühlen in Stoffen, Bändern, Spitzen, das
ist Gefühl, wie es nur eine Frau kennt, eine
kindlidre Art, eine spielerisdre Lust, die einen
Teil ihres Wesens ausmadrt. Ob reidr, ob arm,
die Freude am glänzenden Ding ist dieselbe,
oft gleich belustigend für den Mann. Eine Naivität,
Überbleibsel aus der Urzeit des Mensdren, ver-
wandt dem Vergnügen der primitiven Rassen
an Glasperlen und barbarisdrenr Schmuck.
Als Käuferin ist die Frau aktiv. Meist ist
ihre geistige Aufnahmefähigkeit geschmeidiger
als die des Mannes, sie geht schneller auf
Wechsel, Umstellung, Neues ein. Dies hängt
mit ihrem labileren Gleidrgewidrt, der tieferen
Erdgebundenheit ihres Gesdrlechtes zusammen.
Der Wedrsel ist ihr nicht so sdiwer — durdr die
Mode ist sie daran gewöhnt. Und wiederum
sind Frauen — die Hartnäckigsten im Fest-
halten am überkommenen. Die schwierigste
Kunst, Tradition zu bewahren und sidr zugleidr
dem Fremden gegenüber willig zu verhalten,
ist Bedingung für käuferische Fähigkeiten
aller Art. Meist sind es Frauen, die einer
neuen Kunstridrtung eifriger folgen; eine
Freude am Nodrnichtdagewesenen, eine leb-
haftere eigene Phantasie reibt sie fort. Sie
verstehen und empfinden mehr, als sie selber
produzieren können; glühender denken sie sidr
in fremdes Fühlen hinein. Ihre Kritik ist, aus
dieser psydrisdren Veranlagung heraus, sdrärfer
und unvorsidrtiger einerseits, feinnerviger, be-
glückender andererseits. Dem Werke gegenüber,
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