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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Kayser, Rudolf: Ueber Hermann von Boetticher
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0501

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LIEBER HERMANN VON BOETTICHER
Rudolf Kay'scr
„Was hilft’s? Wir sind Frager an Gott, alle.“
Die Liebe Gottes.
Die expressionistische Dichtung ist zum groben Teil Verheißung geblieben, die
sich nicht erfüllte. Zauberworte schlagen an neue Türen; Propheten reden;
junge Leidenschaften treiben empor, und doch kommen auch die Stärksten über
eine gewisse Linie nicht hinaus: wo zwar das Wort wieder Ausklang innerer Bewegt-
heit ist, das heißt nicht mehr Beschreibung, aber nodr keine Gestaltung herrscht
und neue Sinngebung der Welt; wo zwar ein neues (ethisdies) Wollen sich bietet,
ohne aber schon ein (geistiges) Müssen zu sein. Nach einem Jahrhundert von
Formalismen, (die sich sowohl von geschichtiidien Vorbildern wie von Naturwissen-
schaft ableiteten), haben wir allerdings wieder den Anblick subjektiver, an seelische
Quellen gebundener Dichtung, von allen äußeren Zwängen befreit. Doch jede
Wirklichkeit — die natürliche der Erfahrungswelt, die magische der Seele, die
konstruktive des Systems — ist wirklich nur dadurch, daß wir sie formen: durch
Raum, Zeit, Kausalität; durch Analogie und Rhythmus; durch Geseß und Or-
ganisation. Auch die magische Wirklichkeit des Innen wird deutlich nicht durch
aufzuckende Begleitgefühle, sondern durch Ballung ihrer Inhalte zu Geschehen,
Landschaft und Gestalt.
Vor dieser Linie stehen noch die Unruh, Becher, II äsen clever . . . , die poli-
tischen Dichter. Mit Bewußtsein hat sie bisher kaum einer überschritten und so
den Schritt vom Ekstatischen zum Wesentlichen getan. Andere aber, nicht einer
revoltierenden Jugend, sondern strenger Disziplin und sachlicher Geistigkeit ent-
stammend, kamen innerhalb ihrer eigenen Entwickelung zur anderen Seite hinüber.
Ihre Verantwortlichkeit, dieses einzige Wahrzeichen jeder mehr als spielerischen
Kunst, trifft nicht Entscheidungen zu irgend einer Art „Gesinnung-“-, sondern zu
dem Aufbau ihres Selbst. Sie schreiten Stufen herauf zu keinem vorgefaßten Ziel,
zu keinem Gegenwarts-Postulat, sondern nur unter dem Antriebe ihrer inneren
Musik. Sie suchen die Verbindung ihrer Gefühle mit der platonischen Ideenwelt,
ohne zu fragen, in welchen formalen und moralischen Zuständen sich gerade die
Zeit befinde.
Zu ihnen gehört Hermann von Boetticher,* Er ist Expressionist, soweit dies
(sehr banale) Wort den entschlossenen Aufbruch zum Geiste bedeutet. Er ist es
nicht, wenn damit eine Stilangelegenheit oder gar eine ethisch-politische Richtung
bezeichnet werden soll. Nicht aus der revolutionären Not des Zerbrechens von
Morschheiten kommt er zur Gestaltung, sondern aus angeborener Klarheit und
Seine Werke sind sämtlich im Verlage S. Fischer, Berlin, erschienen, mit Ausnahme der „Sonette des Zurückgekehrten“, die Bruno
Wohlbrück, Weimar, verlegte.

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