Schlagworfe der Kunst.
Dr. Bernhard Diebold (Frankfurt a. M.).
CHLAG WORTE sind F anfaren. Sie
sind nidrt Melodie, sondern Kampfruf.
Sie sind die Sturmböcke streitbarer
Programme. Sie sind absolutistische
Definitionen. Ihre Krankheit freist Blindheit gegen
alle Sphäre, die nicht die ihre ist. Ihr Mißbrauch
heilst Unvermögen der Mit- und Nachläufer.
Ihre Eitelkeit heibt Snobismus. Ihr Sieg aber
— ehrlich errungen — leuchtet wie heiliges Wort,
das dem Zeitgeist den Namen gibt.
In ihren Sdrlagworten erkennt man den Willen
einer Epodre, ihre Erkenntnisridrtung, ihre Sehn-
sudrt. Nicht aber ihr Können und ihre Vollendung.
Weit eher offenbart sidr in ihnen, was sie
verneinen, als was sie bejahen. Ihre Opposition
ist kräftiger, fanatisdrer, deutlidier als ihre
sdröpferisdre Ziindkraft. Denn das Zukunfts-
werk, das sie entzünden wollen, ist ja nodr
nidrt da. Je weiter vom erzielten Ideal, desto
lauter der Ruf nach seiner Erscheinung. Ist
die Tat geleistet, so verhallt des Sehnsüchtigen
Schrei. Er verliert seine Wut, er gibt den Hab
preis und wird ruhige Aussage, historischer
Begriff, — ferminus fechnicus.
Naturalismus, Verismus und Impressionismuo
sind heute leidenschaftslose Benennungen für
kulturelle Bestrebungen der Väter-Generation,
Natur, Wahrheit und Unmittelbarkeit der Sinnes-
erfassung forderte der damalige Künstler
gegenüber dem romantischen Kostümzauber
akademisdier Pinselprofessoren und genial
krawattierter Goldschnittlyriker. Aber jene
„Natur“, jene „Wahrheit“ wurde nach einem
knappen Menschenalter als zu „natürlich“, als
zu „wahr“ erkannt. Jener Kampf gegen die
romantische Künstlichkeit erzeugte allzu oft nur
Kunstlosigkeit. Ohne dab man mit vollendeter
Natur oder letzter Wahrheit entsdrädigt wurde.
Man hatte den Schwindel der Butpcnsdieiben-
Phantasie mit naturwissenschaftlicher Wirklidi-
keitsbeobaditung durchleuchtet; das Mikroskop
wurde zum Symbol des Sehers, nur die Materie
fand nodr Glauben. Alles Seelisdre war zur
Psydrologie analysiert worden, alles Geistige
hieb nur biologische Energie. Schlieblich wurde
mit skeptisdrer Ernüchterung erkannt, dab man
von all der „Natur“ und all der „Wahrheit“
nur stoffliche Teile in der Hand hielt. Da suchte
man das geistige Band.
Und nun bradr der Sturm los gegen die
altgewordenen Sdrlagwörter. Gegensdrlagworte
tönten auf zur Versdiinrpfung der Vorgänger.
Naturalismus wurde auf einmal zum geistlosen
Abklatsch der Natur; Impressionismus galt als
Kopiererei; jene „Wahrheit“ wurde Nüdrternheit
und Unkunst gescholten. Noch war der neue
Geist nicht da, als man sein Kleid sdron pries:
das war der Stil. In seinem Gefolge kamen
Kunstgewerbe, Aphorismus, Dekoration und
neuartig verschämtes Pathos. Man strebte weg
von den kümmerlichen Besonderheiten der Lidrt-
eindrücke, der individuellen Charaktere, von
der Prosa unerbittlidier Gegenwart. Und über
Neuromantik und Neuklassizismus in Kunst und
Dichtung hinweg weht der Zug der Zeit von
allem Einzelnen ins Allgemeine. Der „Stil“
bot das vorzeitige Instrument zur Abkehr vom
Detail, wurde dann aber bald als „kunst-
gewerblich“ verleugnet. Der Farbfleck sehnte
sidi nach dem formalen Kontur, der Charakter
in der Diditung nadr dem Typus, die Erde
wurde vom Kosmos überstrahlt. Mit der Materie
hatte man abgerechnet. Der Weltkrieg erzeigte
ihre scheublidren Triumphe als Teufelswerk. Und
es hallten auf einmal die neuen Sdireie: Seele,
Geist, Gott, Kosmos, Aktivismus, Äternismus —
Expressionismus.
- - - -ismus! -- -ismus klingt verdädrtig
als Name einer Kunst, -ismus ist unsinnliche
Verbegrifflichung. Es tönt grau, theoretisdr,
philosophisdr, — als ob die Kunst Mittel zu
einem unfrohen, unfarbigen, ungesfalflidren Zweck
wäre. Antike, Gotik, namentlidr Barock, — das
hat Klang und Wesen ; und gar „Rokoko“ tanzt
seinen eigenen frivolen Sinn. Klassizismus aber
riecht nach gelehrtem Kopistengeist und Epi-
gonentum, Impressionismus nach Psydrologie
und Optik, Expressionismus nadr Programm,
öS
Dr. Bernhard Diebold (Frankfurt a. M.).
CHLAG WORTE sind F anfaren. Sie
sind nidrt Melodie, sondern Kampfruf.
Sie sind die Sturmböcke streitbarer
Programme. Sie sind absolutistische
Definitionen. Ihre Krankheit freist Blindheit gegen
alle Sphäre, die nicht die ihre ist. Ihr Mißbrauch
heilst Unvermögen der Mit- und Nachläufer.
Ihre Eitelkeit heibt Snobismus. Ihr Sieg aber
— ehrlich errungen — leuchtet wie heiliges Wort,
das dem Zeitgeist den Namen gibt.
In ihren Sdrlagworten erkennt man den Willen
einer Epodre, ihre Erkenntnisridrtung, ihre Sehn-
sudrt. Nicht aber ihr Können und ihre Vollendung.
Weit eher offenbart sidr in ihnen, was sie
verneinen, als was sie bejahen. Ihre Opposition
ist kräftiger, fanatisdrer, deutlidier als ihre
sdröpferisdre Ziindkraft. Denn das Zukunfts-
werk, das sie entzünden wollen, ist ja nodr
nidrt da. Je weiter vom erzielten Ideal, desto
lauter der Ruf nach seiner Erscheinung. Ist
die Tat geleistet, so verhallt des Sehnsüchtigen
Schrei. Er verliert seine Wut, er gibt den Hab
preis und wird ruhige Aussage, historischer
Begriff, — ferminus fechnicus.
Naturalismus, Verismus und Impressionismuo
sind heute leidenschaftslose Benennungen für
kulturelle Bestrebungen der Väter-Generation,
Natur, Wahrheit und Unmittelbarkeit der Sinnes-
erfassung forderte der damalige Künstler
gegenüber dem romantischen Kostümzauber
akademisdier Pinselprofessoren und genial
krawattierter Goldschnittlyriker. Aber jene
„Natur“, jene „Wahrheit“ wurde nach einem
knappen Menschenalter als zu „natürlich“, als
zu „wahr“ erkannt. Jener Kampf gegen die
romantische Künstlichkeit erzeugte allzu oft nur
Kunstlosigkeit. Ohne dab man mit vollendeter
Natur oder letzter Wahrheit entsdrädigt wurde.
Man hatte den Schwindel der Butpcnsdieiben-
Phantasie mit naturwissenschaftlicher Wirklidi-
keitsbeobaditung durchleuchtet; das Mikroskop
wurde zum Symbol des Sehers, nur die Materie
fand nodr Glauben. Alles Seelisdre war zur
Psydrologie analysiert worden, alles Geistige
hieb nur biologische Energie. Schlieblich wurde
mit skeptisdrer Ernüchterung erkannt, dab man
von all der „Natur“ und all der „Wahrheit“
nur stoffliche Teile in der Hand hielt. Da suchte
man das geistige Band.
Und nun bradr der Sturm los gegen die
altgewordenen Sdrlagwörter. Gegensdrlagworte
tönten auf zur Versdiinrpfung der Vorgänger.
Naturalismus wurde auf einmal zum geistlosen
Abklatsch der Natur; Impressionismus galt als
Kopiererei; jene „Wahrheit“ wurde Nüdrternheit
und Unkunst gescholten. Noch war der neue
Geist nicht da, als man sein Kleid sdron pries:
das war der Stil. In seinem Gefolge kamen
Kunstgewerbe, Aphorismus, Dekoration und
neuartig verschämtes Pathos. Man strebte weg
von den kümmerlichen Besonderheiten der Lidrt-
eindrücke, der individuellen Charaktere, von
der Prosa unerbittlidier Gegenwart. Und über
Neuromantik und Neuklassizismus in Kunst und
Dichtung hinweg weht der Zug der Zeit von
allem Einzelnen ins Allgemeine. Der „Stil“
bot das vorzeitige Instrument zur Abkehr vom
Detail, wurde dann aber bald als „kunst-
gewerblich“ verleugnet. Der Farbfleck sehnte
sidi nach dem formalen Kontur, der Charakter
in der Diditung nadr dem Typus, die Erde
wurde vom Kosmos überstrahlt. Mit der Materie
hatte man abgerechnet. Der Weltkrieg erzeigte
ihre scheublidren Triumphe als Teufelswerk. Und
es hallten auf einmal die neuen Sdireie: Seele,
Geist, Gott, Kosmos, Aktivismus, Äternismus —
Expressionismus.
- - - -ismus! -- -ismus klingt verdädrtig
als Name einer Kunst, -ismus ist unsinnliche
Verbegrifflichung. Es tönt grau, theoretisdr,
philosophisdr, — als ob die Kunst Mittel zu
einem unfrohen, unfarbigen, ungesfalflidren Zweck
wäre. Antike, Gotik, namentlidr Barock, — das
hat Klang und Wesen ; und gar „Rokoko“ tanzt
seinen eigenen frivolen Sinn. Klassizismus aber
riecht nach gelehrtem Kopistengeist und Epi-
gonentum, Impressionismus nach Psydrologie
und Optik, Expressionismus nadr Programm,
öS