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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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August-Heft
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Sternberg, Leo: Der Träumer
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0897

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LEO STERNBERG
DER TRÄUMER
[di bin nicht allein — wie ihr immer tadelt. Ihr sagt mir ja selbst, daf> ich
keinen ansähe, wenn ich durch die Strafen ginge, sondern das Gesicht, von
dem tief in die Stirn gezogenen Hut beschattet, vertraulich auf jemand einzu-
sprechen scheine. Daf> ich eben stehen bliebe. Dann einen eifrigen Sprungschrift
machte, als ob ich mich beeilte, jemand einzuholen, der mich an seine Seife gewinkt.
Da^ ich hernach in Ratsherrngemessenheit überginge. Manchmal die Achsel
zuckte. Der leeren Luft wie bravosagend einen Faustknuff gäbe. Ja sogar, dal;
ihr mich im Nebenzimmer für mich hinsprechen hörtet. Wie könnt ihr also an-
nehmen, daf> ich allein sei?
Ich bin nie ohne Gesellschaft; ich gehe immer in einer Schar von Begleitern, in
bunter Unterhaltung. Das Gewoge der Gestalten, durchrankt und überzweigt
von Gebärden, umringt mich vielköpfig bewegt auf Schrift und Triff. Wir sind
ein Bund von unzertrennlichen Gefährten.
Freilich bin ich der einzig sichtbare. Denn die andern gehen, nur mir wahrnehm-
bar, in Tarnkappen: luftgleiche Schatten. Doch darauf kommt nichts an. Es
beruht nur auf Verabredung; und wir können das Spiel jederzeit so wenden, dah
ich mich als Schatten unter die Schaffen mische und einer von ihnen die körper-
liche Führung übernimmt.
Nur dürfen es nie zwei zugleich sein.
So unterhielt ich mich einmal mit dem Schatten der schlanken Prinzessin, die der
Schar meiner Begleiter, euch unsichtbar, angehörf. Unsere Arme auf dem Rücken
verschränkt, gingen wir plaudernd im Raume auf und ab. Und während sich die
Gruppen der anderen sihend, stehend im Hintergründe verloren, sagte sie, in
immer längeren, gleichsam zärtlichen Schriften ruhend: mich ohne die übrigen
ganz allein für sich zu haben, sei ihr so lieb wie nichts auf der Welf. Wenn ich
den Franziskaner oder den Kapitän oder die Griechin ins Gespräch zöge, gehörte
ich ihr nur zur Hälfte. Deshalb möchte sie in diesem einmal geschenkten Augen-
blick dann auch das ganze Einssein empfinden und gleich mir Körperlichkeit an-
nehmen. Sie drang mit so heilem, einschmeichelndem Eifer in mich, dah ich sie
mit einem, in rascher Hingerissenheif nur die Zähne treffenden Kuh ins Kreuz
bog und ihr die Tarnkappe dabei vom Haare streifte.
In demselben Augenblick aber, wo sie körperlich vor mir steht, geht die Türe auf
und hereinjubelt — mein Mädchen, das meiner Gefolgschaft das Bild der Prin-
zessin eingereihf hat.

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